Cinema | Female Views

Perspektiven auf das Unsagbare

Ein Zusammenschluss an Organisationen hat am Samstag den Weltfrauentag im Filmclub mit bewegten, bewegenden Bildern begangen. Von Mariasilvia und anderen (Tricky) Frauen.
Mama Micra / Rebecca Blöcher
Foto: Mama Micra / Rebecca Blöcher
  • Die Vereinigten Bühnen Bozen, Vertreterinnen der monatlichen Filmclub-Reihe Female Views und B open, haben sich selbst einen Wunsch erfüllt, das bestätigte auch Angelika König bei ihren Grußworten zur „Trickfilm“-Schau um 17.30 Uhr. Sie zog dabei auch ein Resümee zum am Vormittag gezeigten, vielstimmigen Dokumentarfilm „Woman“ (mit angedeutetem Plural am Filmplakat) von 2020, für den Anastasia Mikova und Yann Arthus-Bertrand mit 2000 Frauen aus 50 Nationen gesprochen hatten. „All die Ungerechtigkeiten denen Frauen auf der ganzen Welt ausgesetzt sind wurden hier angesprochen. Es wurde im Dokumentarfilm gelacht, geweint, mit Wut gesprochen, aber auch mit viel Kraft, Energie und Stärke, sowie mit dem klaren Aufruf: Nehmen wir uns den Platz, der uns zusteht, auch in der Öffentlichkeit.“, so König. Besser hätte man den Film, den ich vor ein paar Jahren gesehen habe, nicht auf den Punkt bringen können. Gemeinsam mit Alma Vallazza hatte Angelika König dem 2001 ins Leben gerufenen Festival „Tricky Women – Tricky Realities“ in Wien einen Besuch abgestattet und die Idee einer Partnerschaft wurde geboren. Heuer schaffte das Wiener Animationsfilm-Festival mit internationaler und weiblicher Ausrichtung also den Sprung über den Brenner und zeigte den Programmpunkt „Transgressions“ im Bozner Programmkino. Zu sehen waren in insgesamt  62 Minuten sieben meist wortkarge, ausdrucksstarke Filme in verschiedenster Machart: vom Überlappen von realen Filmaufnahmen, malerischen Stilen, klassischerer Animation bis hin zur Stop-Motion-Produktion in Filz war für jeden Geschmack etwas dabei.

  • Übertritte

    Tricky Women: Das Team aus Wien schickte seine Grenzüberschreitungen mit einem Videogruß über den Brenner. Selbst war man in der Österreichischen Landeshauptstadt eingespannt. Foto: SALTO

    Aus den USA kam „Glazing“: Lilli Carré morphte einen Frauenkörper der in der Bildebene zwei Minuten lang in verschiedenste flüchtige Posen, die aus der Kunst- und Filmgeschichte erkennbar sind. Den Ausbruch verwehrte Carré der sich verflüssigenden, hin und her hastenden Figur bis zuletzt, als sie mit Blick in den Kinosaal einen Moment lang verharrt und abgeht, nachdem sie den Blick der Filmclubgäste ausgehalten und hinterfragt hat.

    „Flower Show“ der Finnischen Regisseurin Elli Vuorinen erzählt mit bedrohlichen Bildern vom Heranreifen und vom (zu jung) begehrt und bedrängt werden. Vor dem Hintergrund der gehobenen Gesellschaft und der Verschränkung von Blumen mit Weiblichkeit geht es um Zwang, Schönheit und den Wunsch auszubrechen. Ein besonderer Hingucker ist dabei der Abgang unserer Protagonistin durch eine Hecke, eine visuelle Hommage an ein bekanntes, bei den Simpsons ausgeliehenes, längst ein Eigenleben führendes Meme.

    Die Britin May Kindred-Boothby „The Eating of an Orange“ zeigt konforme Mädchen und Jungen in einer Art Heim oder Schulkontext. Animation nutzt die Regisseurin für ihren Kurzfilm als Mittel der gespenstischen Synchronität zwischen ihren identisch gekleideten Akteurinnen und Akteuren. Man denke an Wasserballett wo perspektivisch Chimären mit einem Körper aber vielen Armen, Beinen und Köpfen entstehen. Eine der Frauen wird durch eine Orange verführt, die ihr eine ältere, rittlings auf einer Mauer sitzende Frau ihr reicht. Die Versuchung durch eine Orange, die im Querschnitt eindeutig als Symbol für die Vulva gelesen wird verbindet Biblisches mit der Figur einer Zaunreiterin. Sinnlich, befreiend und schön.

    Mit „The Roe Deer“ nimmt die französische Regisseurin Delphine Priet-Mahéo die Perspektive einer stark gestressten Mutter ein, die ab einem gewissen Punkt – vom Lärm der eigenen Kinder und der hinterm Zaun aktiven Jäger und Jagdhunde umzingelt – beginnt sich von sich selbst zu dissoziieren. Irgendwann ist sie dem Reh, welches in ihren Garten zum Äsen kommt näher als der eigenen Familie und spiegelt damit auch dessen Angst. Spannende neun Minuten.

    Im Afghanischen Beitrag „Restart“ der Regisseurin Khadije Zafari wird aus der Erinnerung erzählt. Eine junge Frau erinnert sich rund um alltägliche Gesten an Schulbildung in der Heimat und an einem nicht näher identifizierten Fluchtpunkt. Die Bilder überschneiden sich, die Erinnerung ist präsent und mitgereist. Der Großteil der sechs Minuten Film plätschert ruhig dahin, bis die Bomben fallen.

    Durch „Shedding“ konfrontiert uns Vicky Smith mit einer Performance-Arbeit für die Bolex Kamera. Der Engländerin, die seit mehreren Jahrzehnten auf 16mm arbeitet gelingt in einer einzelnen Ausstellung die Illusion einer Überbelichtung, die sich allmählich auflöst, in überlappende Einstellungen des gleichen Gesichts, die sich nach und nach von sich selbst lösen.

    Den längsten, zwanzigminütigen Beitrag der „Transgressions“ bekommen wir zuletzt zu sehen. Als der Film mit den meisten Dialogen ist es angenehm für Untertitelskeptiker, dass „Mama Micra“ aus Deutschland stammt. Regisseurin Rebecca Blöcher entfilzt dabei die Beziehung zur Mutter und deren Erinnerungen an ihr unkonventionelles Leben in liebevoll und aufwändig gestalteter Stop-Motion-Animation in die auch Fotografien und andere Dokumente einfließen. Das unkonventionelle Leben der Mutter sah diese um die Welt tingeln und für zehn Jahre in einem kleinen Auto leben. Behutsam stellt die Regisseurin Fragen, die auch schmerzlich sind, etwa: Kann eine Mutter für ihr Kind „da“ sein, wenn sie selbst keinen festen Platz hat?

    Wenngleich das Team der „Tricky Women“, dessen Selektionen wir sehr gerne wieder in Bozen sehen würden davon nichts wusste, passte gerade „Mama Micra“ als Brückenschlag zum letzten Film des Abends bestens. „Faceva rima“, würde es auf italienisch heißen.

  • Das Drama der Mariasilvia Spolato

    Jemand und Niemand: Mariasilvia (Erica Zambelli) und Valeria (Martina Carletti) bei einer ihrer ersten Annäherungen. Die Schauspielerinnen erzählen, dass es bei der einzigen, sehr zahmen „Sexszene“ des Filmes sehr kalt war. Foto: Screenshot Trailer

    Ein ausgesprochen neuer Film – mit Kinostart in Italien am 6. März – beschloss den Abend. Die  anwesende Regisseurin und die beiden Hauptdarstellerinnen von „Io non sono nessuno“ durften sich über vollbesetzte Kinosessel und herzlichen Schlussapplaus freuen. So kam es, dass Geraldine Ottier, sowie Spolato-Darstellerin Erica Zambelli und deren Filmgeliebte Martina Carletti anfänglich zu gerührt für ein kurzes Gespräch nach dem Film mit Fragen aus dem Publikum waren.

    Der Film erzählt – gänzlich ohne IDM Förderung und ohne dass in der Provinz gedreht wurde – das Leben der in Bozen verstorbenen Mariasilvia Spolato. Bozen – präziser ein Fototermin im Altersheim, wo die für lange Zeit obdachlose Mariasilvia ihre letzten Jahre verbrachte – ist dabei die Klammer des Films. Lorenzo Zambellos Foto gehört zu den ausdrucksstärksten Dokumenten, die uns von ihr bleiben. Zeitzeugen, welche Spolato vor ihrem Ableben begegnet waren, bürgen im Kinosaal auch dafür, dass die Protagonistin in ihrer Art gut getroffen wurde.

    Im Spielfilm finden sich natürlich auch überspitzte und fürs Drama nützliche Interpretationen der Biografie, wie etwa der übergriffige und schmierige Arbeitskollege an einer Schule, einem Edgar Allan Poe Verschnitt, der sich übertrieben oft an den Schnauzer fasst. Immer wieder werden auch Zuggeräusche in die Szenenübergänge geschnitten, eine dunkle Vorahnung auf die ersten Jahre der Obdachlosigkeit, in denen Spolato vielfach in Zügen schlief. Zum donnernden und stampfenden Lärm mischen sich auch, als Spolato eine mentale Krise durchleidet, die klassischen 

    „Stimmen im Kopf“, mit der eine Psychose im Kinosaal uns akustisch umzingeln kann. Bei diesen künstlerischen Entscheidungen kann man über Geschmäcker diskutieren und auch über die Auslegung der Regisseurin Geraldine Ottier, dass Spolato der Zuglärm vielleicht auch geholfen hat diese Stimmen zu überlagern. Eindringlich ist der Sound von „Io non sono nessuno“ – auch die Filmmusik der Florenzer Band Rumorerosa – inklusive rührendem Schluss-Track mit Titel des Films. Das digitale Pendant des Filmalbums soll diese Tage übrigens auf Spotify erscheinen.

    Nachdem sich Geraldine Ottier dankbar zeigte, dass ihr Film in jener Stadt „in der Mariasilvia aufgenommen wurde und die sie gern hatte“ so gut ankam, fand der Präsident der kommenden Alto Adige Pride Südtirol (28. Juni) auch mahnende Worte: Mariasilvia sei bis zu ihrem Tod von vielen vergessen worden, auch von der eigenen Community. Er mahnte zu mehr Erinnerungskultur und auch dazu, dass die Geschichte der LGBTQIA+ Bewegung(en) besser aufzuarbeiten sei.

    Der Abend sollte bei Drinks und Klängen der DJ Sara Louis allerdings fröhlich ausklingen. Da hatte man auch noch Zeit, die Filmschaffenden nach dem ungewöhnlichen, grammatikalisch männlich endenden Titel des Films zu fragen: Es handelt sich um eine aufgegriffene Falschübersetzung zu einem der beliebtesten Gedichte von Emily Dickinson. Die Liebesgeschichte der alleine gestorbenen Spolato, die ein Ende findet, weil ihrer Partnerin der große Mut für ein coming-out in den 70ern fehlte, macht vor dem Hintergrund des Achtzeilers  dann doch wieder Sinn. Und die literarische Referenz hätte Mariasilvia Spolato sicherlich gefallen.