Politics | Interview

„Es geht um einen Lebensstil“

Der Trentiner Strafrechtler und Antiprohibitionist Fabio Valcanover über das italienische Drogengesetz nach dem Urteil des Verfassungsgerichtshofes, das Scheitern der Verbotspolitik und eine mögliche Legalisierung der Drogen.

Salto.bz: Herr Valcanover, der Verfassungsgerichtshof hat das italienische Drogengesetz, das repressive Fini-Giovanardi-Gesetz, für verfassungswidrig erklärt. Ein Sieg des Antiprohibitionismus?

Fabio Valcanover: Es ist ein Sieg des Rechts gegen eine unmögliche Art Gesetze zu machen, gegen die Umgehung des Parlaments in wichtigen Fragen und gegen die Tradition, dass Parteien kurz vor Wahlen plakativ Gesetze erlassen, die ihnen Stimmen bringen sollen. Es ist auch ein Sieg in dem Sinn, dass man den Schaden reduziert, den diese prohibitionistische Gesetzgebung angerichtet hat und immer noch anrichtet. Was an der ganzen Sache aber paradox ist: Normalerweise bringt ein Sieg einem voran, hier aber kehren wir in die Vergangenheit zurück.

In wie fern?

Der Rekurs beim Verfassungsgericht hatte nicht das gesamte Drogengesetz zum Inhalt sondern er beschränkte sich auf zwei Aspekte. Einen formalen Aspekt: Das Drogengesetz wurde in einem Eildekret zu den Olympischen Winterspielen in Turin eingebaut und verabschiedet. Damit nahm man dem Parlament die Möglichkeit inhaltliche Änderungen zu machen. Der zweite Aspekt hingegen ist inhaltlicher Natur: Dabei geht um die Anwendung gesamteuropäischer Prinzipien in der Drogengesetzgebung.

Italien hat mit dem Fini-Giovanardi-Gesetz einen europäischen Sonderweg eingeschlagen, in dem man den strafrechtlichen Unterschied zwischen leichten und harten Drogen aufgehoben hat?

Genau das ist der springende Punkt. Die europäische Gesetzgebung unterscheidet die Drogen nach ihrem potentiellen Schaden für die Gesundheit des Konsumenten. Deshalb gibt es überall in Europa das Konzept der leichten Drogen. Obwohl Italien an dieses europäische Modell gebunden ist, hat sich hier eine andere juridisches und politische Denkschule durchgesetzt, die ich aufs Schärfste verurteile. Die Nichtunterscheidung zwischen harten und weichen Drogen, die mit Fini-Giovanardi dann zum Gesetz erhoben wurde.

Diese Unterscheidung ist durch das Urteil des Verfassungsgerichts aber jetzt zu Fall gebracht worden?

In der Praxis ja. Aber die Sachlage ist etwas komplizierter. Das Verfassungsgericht hat den Rekurs unter dem formalen Aspekt angenommen. Das heißt das Gesetz als Eildekret zu verabschieden ist verfassungswidrig. In Sachen Nichtunterscheidung zwischen harten und leichten Drogen ist man aber nicht in Meritum gegangen.

Welches Drogengesetz gilt jetzt derzeit?

Wie gesagt, es ist eine Rückkehr in die Vergangenheit. Man dreht das Rad um 20 Jahre zurück und es gilt wieder die alte Drogengesetzgebung. Das Jervolino-Vassalli-Gesetz samt der Änderungen durch das Referendum der Radikalen aus dem Jahre 1993. Das heißt auf der einen Seite, deutliche mildere Strafen vor allem für die leichten Drogen. Auf der anderen Seite aber schärfere Strafen für die harten Drogen. Es ist also ein zweischneidiges Schwert.

 Mitte-Links hat nichts, aber rein gar nichts auf diesem Gebiet getan.

In Italien sitzen Tausende wegen den Konsums leichter Drogen im Gefängnis. Ihr Pech: Sie hatten mehr als fünf Gramm zu Hause und sie gelten somit als Drogenhändler oder sie haben einen Joint gemeinsam mit anderen geraucht.

Es gibt eine sehr kontroverse Debatte in Italien, ob der Drogenkonsum straffrei ist oder nicht. 2013 gab es mehrere Urteile des Kassationsgerichts, die besagen, dass die Weitergabe eines Joints, der sogenannte „consumo di gruppo“ nicht strafbar ist, wie vom Strafgesetz eigentlich vorgesehen. Meine persönliche Meinung auch als Anwalt ist hier eisern: Es geht einzig und allein darum, ob der Staat einen anderen, alternativen Lebensstil tolerieren will oder nicht. Einen Joint zu rauchen, ist für mich ein Lebensstil. Einen Joint raucht man normalerweise nicht allein. Da gehört die Gemeinsamkeit dazu. Er geht die Runde. Haschisch und Marihuana sind sozusagen soziale Drogen. Deshalb ist diese Gesetzgebung ein Irrsinn.

Sie sagen: Der Staat muss einen anderen drogenbejahenden Lebensstil tolerieren?

Natürlich. Die Grundfrage ist: Kann man etwas bestrafen, was mit einem Lebensstil zusammenhängt? Hier tut jemand etwas, was weiniger schädlich ist als Wein zu trinken oder Zigaretten zu rauchen. Ich sagen damit nicht, dass es keinen Missbrauch geben kann. Aber normalerweise werden Lebensstile nicht von vornherein durch das Strafgesetz geregelt, sondern durch Bildung und Prävention.

Italien setzt hingegen auf Prohibition?

Diese Prohibition schafft Kriminelle. Sie ist einer der Hauptgründe für die Überfüllung der italienischen Gefängnisse, die zu unmenschlichen Zuständen führen und vor allem trägt sie dazu bei, die Mafia und die organisierte Kriminalität reich und reicher zu machen.

Was passiert mit jenen, die aufgrund eines verfassungswidrigen Gesetzes derzeit im Gefängnis sitzen?

Wir Anwälte sagen: Alle diese Strafen müssen neu berechnet werden. Konkret wird das dazu führen, dass sich die Gefängnis deutlich leeren, was eine wichtige und notwendige Maßnahme für den italienischen Strafvollzug ist. Auf die Gerichte kommt damit sehr viel Arbeit zu. In diesem Punkt wird es aber eine große juridische Schlacht geben. Denn man wird versuchen zu sagen, dass man diese gesetzliche Änderung nicht mehr auf die alten Fälle anwenden kann. Wir werden genau für das Gegenteil kämpfen. Diese Regelung muss auch auf die Verurteilungen direkte Auswirkungen haben.

Wie stellen Sie sich ein moderne Drogenpolitik und –gesetzgebung vor?

Hier braucht es nur ein Wort: Legalisierung. Damit werden Substanzen unter die Kontrolle des Staates gestellt, der dann die Abgabe und den Handel regelt, die bereits jetzt de facto frei erhältlich sind. Man bekommt alles überall. Es braucht keine Liberalisierung. Denn der Handel ist – unter Berücksichtigung eines gewissen Risikos - seit langem frei. Wir brauchen eine Legalisierung und den Mut, dass der Staat auch in diesem Bereich seine Ordnungsgewalt übernimmt.

Glauben Sie, dass Italiens Politik den Mut zu diesem Schritt hat?

Italien muss endlich wie viele andere Staaten offiziell das Scheitern des Prohibitionismus anerkennen. Erst dann kann sich wirklich politisch ändern. Das jetzt wieder geltende Drogengesetz Jervolino-Vassalli stammt aus dem Jahr 1990, danach gab es das Referendum der Radikalen 1993. Gefolgt sind mehr oder weniger 10 Jahre Mitte-Rechts-Regierungsmehrheit und 10 Jahre Mitte-Links. Mitte-Rechts hat das unsägliche Fini-Giovanardi-Gesetz gemacht. Mitte-Links hingegen hat nichts, aber rein gar nichts auf diesem Gebiet getan. Aus der Angst heraus, dass die Menschen einen Schritt in Richtung Antiprohibitionismus nicht verstehen würden. Ich sehe hier dieselbe Situation, die es Ende der sechziger Jahre in Sachen Scheidung gab.

Ich bezweifle, dass die amtierende Regierung den Mut hat, hier etwas zu tun.

Die Scheidung ist inzwischen erlaubt, wird es auch legalisierte Drogen geben?

Es gibt für mich nur zwei Wege. Der eine ist die Legalisierung. Der zweite ist ein rechtstechnischer Schritt: Die Abschaffung der Pflicht der strafrechtlichen Verfolgung in diesem Bereich. Man braucht nur klarer Kriterien aufzustellen, die den Staatsanwälten erlauben zu sagen, gewisse Dinge sind im Verhältnis Kosten-Nutzen absolut unverhältnismäßig und es gibt deshalb keine Verfolgung. Das wäre zwar nicht die Lösung, aber auf jeden Fall ein wichtiger Anfang.

Wird Renzi den Schritt wagen?

Ich hoffe, dass wir dazu kommen werden. Wenn ich auch bezweifle, dass die amtierende Regierung den Mut hat, hier etwas zu tun.