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Mythen der Diktaturen

Hannes Obermair ist Kurator der Ausstellung "Mythen der Diktaturen", die ab morgen auf Schloss Tirol gezeigt wird. Ein Gespräch über Kunst und Anpassung.
Hannes Obermair
Foto: Salto.bz

salto.bz: Welche „Mythen der Diktaturen“ werden auf Schloss Tirol veranschaulicht und worin unterscheidet sich die Ausstellung von der großen Schau „Zwischen Ideologie, Anpassung und Verfolgung“, die vor kurzem im Innsbrucker Ferdinandeum zu Ende gegangen ist?
Hannes Obermair: Der Untertitel lautet „Kunst in Faschismus und Nationalsozialismus“, die Ausstellung nimmt also eine doppelte Diktaturerfahrung in den Blick. Die Mythen, die dargestellt, entschlüsselt und zugleich zerpflückt werden, sind männliches Heldentum, charismatischer Führerglaube, Blut und Boden, die Mutterrolle, Heimat und Option, vor allem aber der Krieg als systemisches, also nicht zufälliges oder gar vermeidbares Ergebnis von Faschismus und Nationalsozialismus. Wobei mit Krieg nicht nur das militärische Ausgreifen, sondern auch der Krieg im Inneren, die gegen die eigenen freien Bürger gerichtete Knebelung und Vernichtung, gemeint ist. In gewisser Weise schließt die Südtiroler Ausstellung an die Innsbrucker Schau an, und sei es auch nur, indem sie einige Objekte übernimmt. In Innsbruck stand ausschließlich die NS-Kunst zur Debatte, während Schloss Tirol beide Diktaturen einbezieht, wobei die ästhetische und intellektuelle Produktion im italienischen Faschismus weit facettenreicher als jene in Hitlerdeutschland war. Darum spannender auch für die Analyse.

Was die beiden Ausstellungen unterscheidet, müssen die BesucherInnen entscheiden, aber ich finde schon mal, dass wir auf Schloss Tirol die kategoriale Differenz zwischen Täter- und Opferkunst deutlicher herausgearbeitet haben. Zeigt man autoritäre oder totalitäre Kunstproduktion, so darf dies niemals zu einer billigen Versöhnung mit dem Faschismus führen. Es ist darum auch wichtig, dialektische Gegenpositionen und befreiende Momente einzubauen, und nicht zu vergessen, einen Schuss Ironie.

Sollte die Ausstellung tatsächlich einem unfreiwilligen Horrorfilm gleichen, so ist das kathartische Moment auch schon miteingebaut.

Sie zeigen viele bislang unbekannt gebliebene künstlerische Arbeiten. Welche Gründe sprechen für dieses gnadenlose Herzeigen von Skulpturen und Malerei, die man am liebsten nie gesehen haben möchte?
Man bannt das Monströse doch nur, indem man es zeigt. Sollte die Ausstellung tatsächlich einem unfreiwilligen Horrorfilm gleichen, so ist das kathartische Moment auch schon miteingebaut. Ich bin der Überzeugung, dass das Ausstellen und Erklären totalitärer Kunst eins ist mit ihrem ideellen Zerfall. Der museale Bann hat ja eher bewirkt, dass ihre Aura sich steigern konnte. Niemandem ist gedient, wenn „Mein Kampf“ nicht gelesen werden darf. Historisierung besteht im Kern darin, dass man die Unrechtskontexte benennt. Man hat auch den jetzt gezeigten KünstlerInnen keinen wirklichen Gefallen getan, indem man ihre schwarzen und braunen Werke über Jahrzehnte einfach ausgeblendet, in Kellerräume verbannt und in den Publikationen unterdrückt hat. Eine schwierigere Aufgabe ist es freilich, Worte für die autoritäre Faszination zu finden, der eine ganze Generation offenbar erlegen war. Denn das rührt wohl an emotionale Erwartungen, die auch unsere heutige Weltgesellschaft durchziehen, wo allenthalben neue Messiasse und Heilserwartungen auf den Plan treten. Die Ausstellung lässt sich darum auch als subtiler Appell an die Vernunft begreifen.

Wie anpassungsfreudig war die Südtiroler Künstler*innenschar? Wie lang ist die Liste jener, die mitmachten? Wie kurz jene, die sich gegen Nazis und Faschisten positionierten?
Die Ausstellung auf Schloss Tirol macht klipp und klar deutlich, dass die Anpassungsbereitschaft von Südtirols Künstlerschaft gegenüber den beiden Regimes nichts Episodenhaftes war. Ganz im Gegenteil, es dominiert der Graubereich von Mitläufertum, Opportunismus und echter Überzeugung. Wie anders ließe es sich sonst erklären, dass Duceporträts en masse angefertigt wurden, etwa von Othmar Winkler, Albert Stolz, Ignaz Gabloner, Franz Lenhart, Hans Piffrader oder Ulderico Giovacchini. Oder Führerbildnisse, so von Franz Bacher, Rudolf Parsch, Ernst Nepo, Thomas Riss oder Hubert Lanzinger. Die Liste lässt sich fast beliebig verlängern, wenn man alle faschistoiden Erzeugnisse miteinbezieht, beispielsweise von Tulla Socin, Anton Hofer, Hugo Grimm, Carl Rieder, Eduard Thöny oder Ugo Claus.

Gegenüber diesem schier endlosen Katalog nimmt sich das Fähnlein der Aufrechten äußerst schmal aus. Ihnen widmen wir aber eine eigene, große Abteilung, in anderer Farbgebung und Disposition, und geben ihnen damit jenen Raum zurück, der ihnen seinerzeit entzogen wurde. Ich denke hier an Hilde Goldschmidt, an Christian Hess, an Rudolf Wacker, an Werner Scholz, auch an Leo Putz und Hans Weber-Tyrol. Insbesondere aber an den aus dem Sarntal stammenden und in Innsbruck wirkenden Grafiker und Maler Johannes Troyer. Nach dem sogenannten „Anschluss“ Österreichs 1938 musste er, um sich der Verfolgung zu entziehen, mit seiner jüdischen Frau nach Liechtenstein emigrieren. Er ging dann in die Vereinigten Staaten, wo er sich als Buchgestalter und Illustrator einen Namen machte. Sein „Familienbild“ von 1939, ein doppeltes Selbstbildnis mit seiner Frau aus der Zeit existenzieller Bedrängnis und sozialer Verfemung, ist in seiner schonungslosen Offenheit vielleicht das eindrücklichste Werk der Ausstellung.

Welche Motive, welche Kunstformen waren von den Diktaturen erwünscht? Welche verpönt?
Es gibt gewisse Differenzen zwischen deutschem und italienischen Faschismus, was die Kunstpolitik betrifft. Letzterer schloss größere Kompromisse mit der radikalen Moderne, es gelang ihm sogar, einen Gutteil der KünstlerInnen und Intellektuellen auf seine Seite zu ziehen. Es gibt also in Mussolinis Italien nicht jenen radikalen Bruch zwischen Geist, ästhetischer Produktion und Diktatur wie im Deutschen Reich. Schon das „Manifest der faschistischen Intellektuellen“ von 1925 spricht Bände, und die monumentale Enciclopedia Treccani von 1937 ist geradezu das Leitfossil des erreichten Kompromisses zwischen Regime und Kultur. Ganz anders die Lage in Deutschland: Hier herrschte von Anbeginn die radikale Ausgrenzung dessen vor, was den Schablonen des „Völkischen“ und des „Artgerechten“ nicht entsprach. Vom staatlichen Antisemitismus ganz zu schweigen. Auch der Protest gegen solche Verfemung war größer, konnte sich aber nur aus dem Exil zu Wort melden und war natürlich einsam und machtlos. In beiden faschistischen Kunstauffassungen, der deutschen und auch der italienischen, hier je später desto deutlicher, dominieren das Heroische und Kriegerische, die Verherrlichung der männlichen Führerpersönlichkeit, der Kitsch von „Blut und Boden“. Und natürlich der unverhohlene Anspruch auf Weltgeltung, Herrschaft und Unterwerfung.

Regimetreue Strömungen wie beispielsweise der Futurismus werden in Kunstkreisen gern verharmlost. Wie geht die Ausstellung mit dem Futurismus um? Wie mit Verharmlosung?
Der Futurismus ist geradezu ein Lehrbeispiel dafür, wie die reine kunstgeschichtliche Betrachtung versagt bzw. versagen muss, weil ihr in der Regel die politik- und sozialwissenschaftlichen Begriffe für ein vertieftes Verständnis fehlen. Sie lässt sich nur allzu gerne von der schillernden und glänzenden Oberfläche blenden, ist also erkenntnistheoretisch hilflos und blind. Mit Ästhetisierung ist jenen Kunsttendenzen nicht beizukommen, die sich – wenn auch nur partiell – mit dem Faschismus verbündet haben. Eine solche, ich vermute ganz unfreiwillige und naive, Verharmlosung fiel etwa bei der höchst unprofessionellen Asmara-Ausstellung in Bozen auf, die einzig die Form betrachtete und die in ihnen geronnenen durch und durch rassistischen Gewalträume ausblendete. Der Futurismus, den auch wir zeigen, ist durchdrungen von der Begeisterung für den Krieg, den seine Exponenten als Motor und Bewährungsprobe der Nationsbildung betrachten. Ästhetik, Dynamik und Bellizismus gehen hier eine Verbindung ein, die vollkommen dem pseudorevolutionären Gestus des frühen Faschismus entspricht.

Wie bewerten Sie als Historiker und Kurator das Hitler-Porträt des in Südtirol tätigen Künstlers Hubert Lanzinger ?
Das Hitler-Porträt Lanzingers von 1933/34 stellt den „Reichskanzler“, der im Übrigen nicht reiten konnte, als geharnischten „Bannerträger“ auf einem schwarzen Pferd dar, der mit eisernem Blick die wehende Hakenkreuzfahne vor sich herträgt.

Das Bild wurde von der Hitlerjugend auf der Münchner „Großen Deutschen Kunstausstellung“ 1937 angehimmelt und hing dann im „Brauen Haus“, der NSDAP-Parteizentrale in München. Es wurde 1945 von der US-Armee beschlagnahmt, dabei beschädigt und in das Center of Military History in Washington DC überführt, wo es sich noch heute befindet. Wir zeigen nicht das unerreichbare Original, sondern benutzen einen Zeitungsausschnitt als großes Paneel, der die Emphase von damals bestens dokumentiert. Das Ganze stellen wir einer Fotografie und einem Video von der Ausstellungseröffnung am 12. November 1938 in Rom gegenüber, wo fast die gesamte Südtiroler Künstlerschaft Benito Mussolini ihre Aufwartung macht. Die strammstehende Kunst kann man mit den beiden Momentaufnahmen aus München und Rom kaum besser illustrieren.

Die Schau will kein erhobener Zeigefinger sein. Im Vordergrund steht das Bemühen um Erklärung.

Sind in der Ausstellung auch Gegenpositionen zu sehen?
Unter der Voraussetzung, dass sich faschistische Kunst selbst widerspricht, wenn man sie nur adäquat zeigt und erläutert, ist sie sich selbst die mächtigste Gegenposition. In ihrer schieren Existenz ist sie sich heute der größte Fluch. Aber natürlich sind in der Ausstellung auch aktive Gegenpositionen vorhanden. Der strukturellen Humorlosigkeit der Faschismen begegnet man vielleicht am besten mit Ironisierungen. Zwischen den Führerporträts stoßen die BesucherInnen ganz unvermittelt auf die Schlüsselszene aus Charlie Chaplins Filmsatire „Der große Diktator“ von 1940. Dies als genialer zeitgleicher Kommentar, der die Lächerlichkeit der herrischen Posen enthüllt. Eine künstlerische Reaktion der Jetztzeit verdanken wir hingegen der aus dem Vinschgau stammenden und in London wirkenden Künstlerin Julia Frank. Mit ihrer Gegenkunst befreit und erlöst sie die andere Kunst, ohne sie in den Staub zu treten.

Ist die Zurschaustellung einer lange nicht vollzogenen Aufarbeitung von Kunst in Faschismus und Nationalsozialismus mitunter auch ein mahnender Wink mit dem Zaunpfahl auf Gegenwartstendenzen?
Die Schau will kein erhobener Zeigefinger sein. Im Vordergrund steht das Bemühen um Erklärung. Man wird auch problematischen Gegenwartstendenzen nicht mit Ausstellungen beikommen, das hieße ihre explanatorische Reichweite überschätzen. Aber Aufarbeitung ist dennoch ein Wert in sich. Niemand kann sich affirmativ, aus apologetischer Nähe, auf die faschistische Kunst beziehen, ist sie erst einmal entlarvt. Daher müssen wir sie auch in Zukunft aktiv nutzen, um das Unrecht zu bezeugen, dessen Machträumen sie ihr Dasein verdankt.