Silvios Abgang
Seine letzte surreale Polit-Operette inszenierte Silvio Berlusconi bei der jüngsten Gemeindewahl in Rom. Guido Bertolaso sollte seine angeschlagene Partei zunächst als Spitzenkandidat ins Rennen um das Bürgermeisteramt der Haupstadt führen. Wegen schlechter Umfragewerte verbündete er sich schließlich mit dem Bauunternehmer Alfio Marchini. Zur Spitzenkandidatin kürte er Alessandra Mussolini. Es war wie das leise Rauschen des Vorhangs für den letzten Akt eines Trauerspiels, dessen Schlusswort am Donnerstag Alberto Zangrillo verkündete.
Der Arzt und glühende Verehrer des Cavaliere kündigte eine dringende Herzoperation seines Patienten an, der sich vor seiner Einlieferung ins Krankenhaus "in akuter Lebensgefahr befunden" habe. Aber er habe ihn "nicht daran hindern können, bei der Wahl seine Stimme abzugeben".
Die politische Karriere Silvio Berlusconis, der im September seinen 80.Geburtstag feiert, gleicht seit vielen Monaten einem Schattentheater. 2013 hatte ihn eine Verurteilung wegen Steuerbetrugs der Möglichkeit beraubt, für politische Ämter zu kandidieren. Dutzende von Parlamentariern hatten sich seither von seiner Partei abgesetzt und das sinkende Forza Italia-Schiff verlassen.
Der Kampf um die Nachfolge hat unmittelbar nach der Ankündigung der Herzoperation begonnen. Maria Stella Gelmini und Mara Carfagna gehören ebenso zu den Favoriten wie Stefano Parisi, der Spitzenkandidat für das Bürgermeisteramt in Mailand.
Macht ohne Ende
Silvio Berlusconi regierte Italien 3340 Tage lang. Er war Regierungschef, Außenminister, Wirtschafts- und Gesundheitsminister und 20 Jahre Parlamentarier. Im Senat glänzte er mit einer Abwesenheitsquote von 98 Prozent.
Seine maßlose Selbstüberschätzung hat Berlusconi schon immer dazu verführt, sich mit den Protagonisten der Weltgeschichte in eine Reihe zu stellen. Er verglich sich mit Napoleon und Jesus, war in der Schule der Beste, als Milan-Präsident unerreicht, als Unternehmer der erfolgreichste: "Nur Bill Gates kann mich in den Schatten stellen." In seinen Reden demonstrierte er eindrücklich die gestörte Relitätswahrnehmung eines Medienzaren.
Als Medienunternehmer hatte Berlusconi nach seinem Einstieg in die Politik schnell begriffen, dass diese nicht an ihren realen Erfolgen, sondern an ihrem Unterhaltungswert gemessen wird. Was nicht über den Bildschirm läuft, war für ihn stets uninteressant. Seine Fernsehanstalten waren der Nährboden seines politischen Erfolgs. Die seichte TV-Kultur, mit der er die Halbinsel überschwemmte, machte die Italiener zu einem Volk von Voyeuren und Selbstdarstellern, ließ jede 16-Jährige von einer Karriere als Showgirl träumen. In der Scheinwelt seiner Soap-Operas zählte Intellekt wenig und nackte Haut viel. Der Cavaliere passte sich dieser Welt an, glamourisierte politische Langeweile durch Skandale, Entgleisungen, Affären, Schmuddelgeschichten. In der bizarren Reality-Show der italienischen Politik trat er als Hauptdarsteller auf - mit maskenhaftem Make-up, transplantiertem Haar, Plateauschuhen und gekünstelter Jugendlichkeit. Weil ihn nicht die Realität faszinierte, sondern der Schein, wurde er zum Gefangenen der von ihm geschaffenen Welt und seiner Selbstsuggestionen. Berlusconi hat keine seiner populistischen Visionen realisiert - weder die von ihm proklamierte liberale Revolution noch die Erneuerung des erstarrten Landes, weder die oft angekündigte Steuersenkung noch die Halbierung der Arbeitslosenzahl.
Sein im Mailänder Dialekt formuliertes Motto Ghe pensi mi täuschte Aktivität vor, wo in Wirklichkeit Stillstand herrschte. Zur Mythisierung der eigenen Person scheute der Premier keinen Aufwand. Millionen Haushalte überschwemmte er mit Farbbroschüren, die ihn als fürsorglichen Familienvater und von seinen Bediensteten geliebten Unternehmer präsentierten. Wer seine Überschätzung nicht teilte, wurde als Feind betrachtet. Zur Presse hatte der stets nach Huldigung trachtende Premier ein gestörtes Verhältnis. Er appellierte an die Bürger, keine Zeitungen zu lesen, forderte die Unternehmer öffentlich auf, nicht in regierungskritischen Zeitungen zu inserieren, degradierte das Staatsfernsehen Rai zu einem seichten Berieselungssender nach dem Vorbild seines Mediaset-Konzerns.
Das verachtete Parlament
Das Parlament, Schauplatz des verachteten "teatrino politico", wurde vom Cavaliere entmündigt. Der geschichtsträchtige Palazzo Chigi, Amtssitz aller italienischen Regierungen, schien ihm unangemessen. Er regierte das Land aus seiner 145-Zimmer-Villa in Arcore und aus seiner römischen Privatresidenz Palazzo Grazioli. Politische Inhalte betrachtete er stets als Nebensache, wesentlich war die Verpackung.
Die Gründung des Popolo della Libertà verkündete er vom Trittbrett seiner Limousine auf der Mailänder Piazza San Babila - wie immer im Alleingang. Wer sich wie Gianfranco Fini widersetzte, wurde gefeuert. Seine in Italien als "partito di plastica" verspottete Partei ähnelt einer Interessengemeinschaft zur Machtausübung und Postenvergabe. Nur die Allmacht des Cavaliere konnte das Konglomerat aus Postfaschisten, Katholiken, Liberalen, rechten Ultras, Republikanern und Sozialisten zusammenhalten. Nun ist der Blender und von seiner Eitelkeit Geblendete endültig am Ende seiner langen Laufbahn angelangt. Sein Land hat er an den Rand des Abgrunds geführt. Seine Frauengeschichten haben längst die Qualität von Groschenromanen erreicht - so wie jene um die 50 Jahre jüngere Francesca Pascale und ihren weißen Pudel Dudu.