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In den Gängen

​Der Mikrokosmos Großmarkt wird in Thomas Stubers Berlinale-Beitrag zum Schauplatz ungeahnter Gefühle. Ein Irrgarten aus Eindrücken, Sehnsüchten und großer Traurigkeit.
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Foto: Quelle: Filmclub Bozen

Es beginnt überraschenderweise mit einem Kubrick-Zitat. Zu altbekannten Klängen von Johann Strauss (Nummer Zwei) An der schönen blauen Donau erwacht ein Großmarkt, irgendwo in der ostdeutschen Provinz. Stapler gleiten elegant durch die engen Gänge des Marktes, sie kennen ihren Weg, treffen sich ab und an, kollidieren jedoch niemals. Stuber weckt Erinnerungen an 2001, und so groß ist der Unterschied zwischen Kubricks rotierenden Raumstationen und den dahin sausenden Staplern gar nicht. Der Film zeigt sofort, wohin die Reise geht. In eine Welt, die wir vermeintlich kennen, aber die dennoch Unerwartetes und Neues bereithält. Als Außenstehender wäre es töricht zu glauben, den Kosmos der Geschichte zu erfassen, ohne sich mit ihm zu beschäftigen. Eben genauso wie bei Stanley Kubrick. In den Gängen erzählt jedoch weder von der Menschheitsgeschichte, noch von Künstlicher Intelligenz. Vielmehr ist es ein Blick durch die Lupe, um ein Detail im großen Ganzen zu erkennen.

Der schrullige Christian, wie immer fabelhaft verkörpert von Schauspieler Franz Rogowski (Victoria, Love Steaks) beginnt seinen neuen Job als Angestellter. Der wesentlich ältere Bruno (Peter Kurth) führt Christian in den Alltag des Großmarktes ein. Er bringt ihm das Stapler-fahren bei, und erteilt Ratschläge, um im Dschungel des Konsums zu überleben. Schon bald lernt Christian Marion (Sandra Hüller) kennen, eine bezaubernde Dame, die in der Süßwarenabteilung arbeitet und dem „Frischling", wie sie ihn nennt, gehörig den Kopf verdreht. Was folgt, ist ein Gefühlschaos par excellence. Der Film klappert dabei bekannte Wendungen ab.

In den Gängen jongliert mit den Gefühlen seiner Figuren - und mit denen des Zuschauers. In manchen Momenten wechseln sich Euphorie und Trauer im Sekundenakt ab.

Vom gewaltbereiten Ehemann über den depressiven Liebeskranken bis hin zur dunklen Vergangenheit des Protagonisten ist alles dabei. Stuber gliedert seine Geschichte dabei in drei Kapitel, die nach den drei zentralen Figuren benannt sind. Ein Drama in drei Akten, denn daran hält sich der Film, gegen Ende hin spitzt sich die anfangs so banal wirkende Handlung zu. Immer wieder verlassen wir die erdrückende Enge des Großmarktes und besuchen die Charaktere in ihren privaten Schutzräumen, ihren Wohnungen. Seltsamerweise fühlt sich keiner von ihnen dort wohl, vielmehr sehnen sie sich nach einer Rückkehr in den Großmarkt. In den Gängen jongliert mit den Gefühlen seiner Figuren - und mit denen des Zuschauers. In manchen Momenten wechseln sich Euphorie und Trauer im Sekundenakt ab. Schauspielerisch überzeugt vor allem Rogowski, der aktuell Stammgast in so ziemlich jeder überdurchschnittlich guten deutschen Kinoproduktion ist. Aber auch Hüller, den meisten wahrscheinlich bekannt aus dem Kritiker-Erfolg Toni Erdmann, schafft es, die Rolle der Marion mit feinen Nuancen und überzeugend zu transportieren. Die Angestellten des Großmarktes haben mit langen Schichten zu kämpfen. Und auch der Film selbst kämpft mit seiner Länge von knapp über zwei Stunden. Hier hätte die ein oder andere überflüssige Szene oder ein vor Melancholie triefender Dialog gerne dem Wesentlichen Platz machen können. Weniger ist dann oftmals doch mehr. Ein Gutes hat es dann aber doch: Als Zuschauer sehnt man sich ebenso wie die Figuren nach ewigem Schwadronieren in den Plattenbauwohnungen wieder zurück in die Gänge des Marktes. Am Ende gibt sich der Film versöhnlich. Kubrick und Strauss schweigen, dafür bleibt ein leises Meeresrauschen, ein Geräusch, erzeugt von der leeren Gabel eines Staplers. Ein Lichtschein am Ende eines langen, dunklen Ganges.

IN DEN GÄNGEN | Trailer | Youtube/Filmclub