Economy | Interview

Coronakrise und Ernährungswirtschaft

Agrarökonom Prof. Christian Fischer von der Freien Universität Bozen über die Nahrungsversorgung in Krisenzeiten und wie sich die Ernährungswirtschaft in Folge von Corona entwickeln wird.
Note: This article was written in collaboration with the partner and does not necessarily reflect the opinion of the salto.bz editorial team.
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Foto: ©Christian Fischer

Bilder leerer Supermarktregale kursierten im März im Internet. Doch entgegen erster Befürchtungen gab es in der Lebensmittelversorgung in Europa weder ernsthafte Engpässe noch drastische Ausfälle. Dennoch hat die Coronakrise eine Frage in den Mittelpunkt gerückt, die – zumindest in den vergangenen 75 Jahren – in Vergessenheit geraten war: Wie sicher ist unsere Lebensmittelversorgung?
Prof. Christian Fischer von der Freien Universität Bozen beschäftigt sich in seiner Forschung an der Fakultät für Naturwissenschaften und Technik unter anderem mit Versorgungs- und Wertschöpfungsketten in der Agrar- und Ernährungswirtschaft und nachhaltigen Nahrungsversorgungssystemen.

Herr Prof. Fischer, welche unmittelbaren Auswirkungen der Coronakrise waren und sind in der Ernährungswirtschaft zu spüren?
Der Lockdown war ein riesiger Schock. Auch für die Ernährungswirtschaft. Doch die Nahrungsmittelversorgung zeigte sich resilienter als ursprünglich angenommen. Es gab sicher punktuell und lokal kleinere Engpässe, etwa wegen der vermehrten Hamsterkäufe. Doch strukturell gab es, zumindest in Europa, keine Probleme. Auch weil die Nahrungsversorgung von Anfang an als systemrelevant anerkannt wurde und die Produktion und die Lieferketten aufrechterhalten wurden.

Geschlossene Restaurants und die Frage nach Versorgungssicherheit: Vor welche Herausforderungen stellte die aktuelle Krise die Ernährungswirtschaft in Europa?
Von einem Tag auf den anderen ist der Außer-Haus-Verzehr von Lebensmitteln, d.h. der Konsum in Restaurants, etc., praktisch zum Erliegen gekommen. Hier zeigen Konsumdaten eine interessante Entwicklung: Zu Beginn des Lockdowns wurde der Außer-Haus-Verzehr vor allem von Lieferbetrieben wie Pizzaservice ersetzt. Dann stellten sich viele Menschen auf die neue Situation ein und begannen selbst zu kochen. Nach ein paar Wochen zogen auch die Lieferdienste wieder an, da die Kochlust zuhause wieder abnahm. Aber für die Ernährungswirtschaft insgesamt bedeutete das: die Warenströme haben sich vom Gastronomiekanal unmittelbar in Richtung Einzelhandel und Lieferbetriebe verschoben. Nahrungsmittelproduzenten mussten hier schnell ihre Vertriebswege anpassen.

 

In jeder Krise steckt bekanntlich eine Chance. Gehen Sie davon aus, dass sich die Ernährungswirtschaft aufgrund der Ereignisse der letzten Monate nachhaltig verändern wird?
Nein, davon gehe ich nicht aus. Corona und der Lockdown waren ein Schock, vergleichbar einem Unfall. Niemand war vorbereitet darauf, die Ernährungswirtschaft wie die übrige Wirtschaft musste sich schnell an neue Gegebenheiten anpassen und wird wieder „zurückschwingen“ sobald sich die Virussituation normalisiert hat. Die Gastronomie wird etwas länger benötigen, um sich zu erholen. Hier wird es auch Schließungen geben bei Restaurants mit einer geringen Kapitaldecke. Insgesamt werden Lebensmittelproduzenten die Krise aber überstehen.

Der Warenkorb ist in den letzten zwei Monaten teurer geworden. Warum lässt die Coronakrise die Preise für Obst und Gemüse steigen? Und müssen wir auch in Zukunft mit Preissteigerungen rechnen?
Die Preise für Obst und Frühlingsgemüse sind vor allem aufgrund von Ernteengpässen und Produktionsausfällen etwas angestiegen. Das Angebot ging bei gleichbleibender Nachfrage zurück. Deshalb haben die Preise um etwa 5-10% zugelegt. Die Sommerernte beginnt jetzt so langsam, allerdings vermutlich wieder mit genügend Erntehelfern, weshalb sich auch die Preise bald wieder normalisieren könnten. Bei anderen Produkten waren bislang keine nennenswerten Preissteigerungen zu verzeichnen. In der Gastronomie hingegen ist mit Preissteigerungen zu rechnen, da entgangene Umsätze für die geringere Belegung wettgemacht werden müssen.

 

Wird der Trend zur Regionalität in der Ernährungswirtschaft von der Krise profitieren können?
Wie viele andere Bereiche unseres Lebens unterliegen auch unsere Essgewohnheiten Moden. Nach einer langen Phase der Globalisierung gibt es nun den Trend zur Regionalität. In Gebieten, wo der Konsumpatriotismus stärker ausgeprägt ist wie z.B. in Österreich oder Südtirol, gilt das besonders. Ernährung ist zum Lifestyle geworden. Man kauft einige Dinge regional ein, genießt aber dennoch gerne Fisch, Südfrüchte, Zucker oder Kaffee. Die aktuelle Krise wird dies nicht wesentlich verändern. Wäre ein anderes Nahrungsversorgungssystem von der breiten Bevölkerung gewollt, dann hätten wir das schon vor Corona gehabt. Unser System hat sich über lange Zeit durch freies Wirtschaften so entwickelt und es spiegelt die Wünsche der Mehrheit der Verbraucher wider.

 

Wird die Ernährungswirtschaft für sich Lehren aus der Krise ziehen, etwa wenn es um globale Abhängigkeiten oder die Förderung von kleineren Kreisläufen geht?
Eine rein regionale Lebensmittelversorgung ist heute weder möglich noch für die Verbraucher sinnvoll. Die Ernährungswirtschaft funktioniert über globale Wirtschaftsbeziehungen und gegenseitigen Austausch. Internationale Spezialisierung schafft natürlich auch Probleme, zuletzt hat man das vor allem in der Produktion von Medizinprodukten gespürt, welche in China konzentriert ist. Für die Ernährungswirtschaft gilt dies weniger. Hier ist China abhängig von ausländischen Lebensmittelimporten, wovon wiederum die Europäische Wirtschaft stark profitiert. Wir sind eng verflechtet und vernetzt. Ich denke nicht, dass es zu signifikanten Veränderungen kommt. Die Ernährungswirtschaft produziert in der Regel nach Bedarf. Nahrungsmittel können nicht lange vorproduziert werden, erstens weil die nötigen Lagerkapazitäten fehlen, aber auch, weil Nahrungsmittel nur für eine bestimmte Zeit lang haltbar sind. Es wird jetzt spannend zu beobachten, ob die Produktion von Hamsterprodukten wie z.B. Pasta verstärkt wird, um etwa für eine zweite Welle besser gerüstet zu sein. Aber die Agrar- und Ernährungswirtschaft insgesamt wird sich in meinen Augen nicht wesentlich als Reaktion auf Corona verändern.