Schlusspfiff für den brasilianischen Traum

Die Reaktionen auf das desaströs verlorene WM-Halbfinalspiel gegen Deutschland haben in Brasilien nicht lange auf sich warten lassen und einer Flut von Emotionen Luft verschafft. "Es tut mir unendlich leid für uns Fans und für unsere Spieler. Aber lassen wir uns nicht unterkriegen. Brasilien, steh auf, schüttel den Staub ab und geh vorwärts", twitterte Präsidentin Dilma Rousseff nach dem Spiel. Gut gemeinte Worte, die wohl kaum für Trost sorgen in dem Land, das zunehmend kollektiv vom „Hexa“, dem sechsten WM-Titel für Brasilien geträumt hatte. Um dem Traum ein bitteres Ende zu bereiten benötigte die deutsche Mannschaft gerade mal 29 Minuten, nach denen der Spielstand von 5:0 das fußballerische Schicksal der Brasilianer bei ihrer Heim-WM bereits besiegelt hatte.
Sogar der Himmel schien mit den Fans in Rio de Janeiro zu trauern – kaum war die größte Niederlage der brasilianischen Nationalmannschaft bei einer WM abgepfiffen, ergoss sich ein sintflutartiger Regensturz über die Stadt und vermischte sich mit den Tränen der Enttäuschung der 20.000 Menschen, die an der Copacabana die Partie mitverfolgt hatten. Fassungslosigkeit, aber auch Wut breiteten sich in den Straßen aus, in São Paulo kam es zu Ausschreitungen mit der Polizei, nach Medienberichten wurden 23 Busse angezündet und ein Elektrogerätegeschäft geplündert. Auch in Belo Horizonte und in Rio de Janeiro kam es nach dem Spiel zu Schlägereien und Zusammenstößen mit der Polizei.
Viele der bitter enttäuschten Fans fanden klare Worte um ihre Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Von einem „Inferno“ war die Rede, einer „Schande im Land des Fußballs“, dem „Tag der Demütigung“ und auch Coach Luiz Felipe Scolari sprach vom „schlimmsten Tag meines Lebens“.
Es scheint also, als hätte Brasilien eine schwere Zeit vor sich, einerseits muss das schmachvolle Ausscheiden im Halbfinale erst verdaut werden, gleichzeitig scheint es auch mit der vermeintlich friedvollen Stimmung im Land vorbei zu sein. War der WM im Vorfeld eine Art Brückenfunktion zugesprochen worden, um die drastischen sozialen Unterschiede im Land zu überbrücken, so wird die letzte vernichtende Niederlage der brasilianischen Mannschaft alte und nicht so alte Konflikte und Probleme wieder an die Oberfläche bringen, die im WM-Taumel untergegangen zu sein schienen. Dem Fußball war es gelungen, brennende politische, wirtschaftliche und soziale Thematiken in den Hintergrund zu drängen und zum Opium für die brasilianische Bevölkerung zu avancieren.
Der Fußball ist nicht mehr da, dafür ist die Wut der Bürger wieder erwacht. Und diese Wut entlädt sich auch auf die aktuelle Regierung mit Präsidentin Rousseff, für die am 5. Oktober Parlamentswahlen anstehen und deren Popularität sich nach der „Schande“ bereits im Sturzflug befindet.
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