Society | Aus dem Blog von: Oliver Hopfgartner

Mediziner - was braucht Ihr?

Die Ergebnisse des Auswahlverfahrens für die medizinischen Universitäten Österreichs wurden am 10. August in den Medien veröffentlich. Dabei wird jedes Jahr die Geschlechterdifferenz bei den Ergebnissen in den Fokus gerückt. Die Berichterstattung ist dürftig, schafft künstliche Konflikte.
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
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Foto: © Oswald Stimpfl

Laut der Tageszeitung "Dolomiten" schafften von 4.883 Frauen und 3.481 Männern 724 Frauen und 776 Männer das Auswahlverfahren. GenderhysterikerInnen bemängeln dieses Geschlechterverhältnis von 48 Prozent Frauen zu 52 Prozent Männern.

Unabhängig davon, dass dieses Verhältnis in meinen Augen absolut ausgeglichen ist, kann ich auf eine genauere Analyse der Testergebnisse verweisen (http://www.meduni-graz.at/?pageName=563&newsId=6169). Dabei kann man deutlich erkennen, dass es einen Unterschied macht, ob man das Auswahlverfahren sofort nach der Matura in Angriff nimmt oder ein Jahr zuwartet. Da in Österreich die Männer Wehrdienst bzw. Zivildienst leisten, sind antretende Männer im Durchschnitt um ein Jahr älter. Die oben angeführte Analyse zeigt auf, dass der Geschlechterunterschied mit den Jahren nach der Matura abnimmt. Woran das liegt, ist schwer zu beurteilen. Dafür gibt es mehrere Theorien: Beispielsweise haben Männer während des Zivildienstes oder des Wehrdienstes mehr Zeit, sich gezielt vorzubereiten. Ein anderer Grund könnte sein, dass Männer häufiger Schulen mit naturwissenschaftlichem Schwerpunkt besuchen.

Amphetamine bei Prüfungen

Ich schreibe über dieses Thema, da diese Art der Berichterstattung meiner Meinung nach nur künstliche Konflikte schürt. Die Agitatoren in der Geschlechterfrage werden auch bei einer Aufnahme von 750 Männern und 750 Frauen keine Ruhe geben, da ja mehr Frauen als Männer zur Prüfung antreten.
Das Medizinstudium hätte andere Probleme zu lösen, als diese lächerlich geringen Unterschiede beim Auswahltest. Über Medizinstudenten (und auch andere Studenten), die Amphetamine in der Prüfungsvorbereitung zu sich nehmen, schreibt niemand. Über Studentenvertretungen, die alle mündlichen Prüfungen abschaffen wollen, da diese "unfair" seien, schreibt niemand. Es gäbe sehr viel wichtigere Probleme zu lösen, ein Verhältnis von 48 zu 52 Prozent in der Geschlechterverteilung gehört nicht dazu.

Zwei Artikel aus dem Jahr 2012 sind beigefügt, die oben zitierten Daten beziehen sich auf das Jahr 2013.

http://derstandard.at/1331207289145/Medizin-Uni-Wien-Frauen-werden-bei-Aufnahmetest-milder-beurteilt

http://diepresse.com/home/bildung/universitaet/1270935/MedUniTest_Frauen-in-Graz-erneut-schlechter

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Frank Blumtritt Sat, 08/10/2013 - 20:31

Worüber auch niemand spricht, ist die Frage, weshalb nur Abiturbeste und stressgeprüfte Quizmaster nachher Medizin studieren sollen (viele tun es ja nur, weil sie in der Schule gut waren)... Ich sehe in den Krankenhäusern nicht selten Famulanten, deren Sozialkompetenz auf dem Niveau von Zehnjährigen liegt - und die wird durch das Studium auch nicht mehr besser.
Die Auswahl der künftigen Ärzte VOR einem Studium ist absurd. Vielmehr müsste ein nach umfassenden Kriterien streng bewertetes Vorpraktikum stattfinden, eine Art Lehre absolviert werden, am besten ein Jahr Krankenpflegestudium, zu dem in Italien ja schon seit 17 Jahren die Hochschulreife gebraucht wird. Dort würde ich die besten aussuchen, um zum Medizinstudium zugelassen zu werden.

Sat, 08/10/2013 - 20:31 Permalink
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Frank Blumtritt Mon, 08/12/2013 - 21:35

In reply to by Frank Blumtritt

Dass die Anzahl der Studierenden begrenzt sein muss, steht außer Diskussion (obwohl man sich schon fragen muss, warum das Kursangebot nicht erhöht wird, wenn man dauernd wegen Nachwuchsmangel jammert.. oder sollte eine bestimmte Lobby gar Interesse am Mangel haben..?).
Deine Frage "welche Sozialkompetenz ich meine", finde ich sehr aufschlussreich. Ich gehe nämlich davon aus, dass es nur eine Sozialkompetenz gibt (oder eben nicht gibt). Man ist gegenüber dem Personal nicht weniger kompetent als gegenüber dem Leistungsempfänger. Genauso ist man nicht privat anders als bei der Arbeit. Dr. Jekyll und Mr. Hyde haben in einem sozialen oder sanitärem Beruf nichts zu suchen (oder würdest du dein Kind einem Pädiater anvertrauen, der seine eigenen Kinder verprügelt? deine Oma einem Geriater, der seine Mutter vernachlässigt?).
In Managerkreisen der Privatwirtschaft gilt schon lange: eine Führungskraft wird nach ihren sozialen Kompetenzen ausgewählt, denn die bringt man einem Erwachsenen nicht mehr bei. Alles Andere kann man dazulernen. Es ist bekannt, dass mangelhafte Sozialkompetenz weitaus mehr technische und finanzielle Schäden anrichtet (schlechtes Arbeitsklima, mangelnde Motivation der Mitarbeiter, kein Teamwork...), als mangelnde Fachkompetenz. Nebenbei bemerkt: in Südtirol gelten alle Ärzte vertraglich als "Führungskräfte", obwohl sich das im Betriebs-Organigramm logischerweise - und zum Frust einiger - dann nicht auswirkt und tatsächlich werden sie nicht als solche ausgebildet...
Aber zurück zum Thema: jeder Beruf, dem Menschen anvertraut werden, MUSS eine hohe Sozialkompetenz aufweisen und Ärzte mehr noch als andere Berufe, sonst kommen sie aus ihrem Dilemma nicht heraus (s. auch Diskussion zur Alternativ/Komplementärmedizin). Alle Experten sind sich einig, dass die Medizin dringend interdisziplinäre Teamarbeit braucht, keine Einzelkämpfer. Leider entspricht die momentane Auswahl und Ausbildung der Ärzte nicht diesem Bedarf. Gute Beispiele gibt es, wie die erste deutsche Privatuniversität für Medizin in Witten-Herdecke. Dort wird problemorientiert und interdisziplinär gelehrt. Die fundamentalen Berufe in jedem Gesundheitswesen, Krankenpfleger und Ärzte, studieren in den ersten Semestern gemeinsam, dann verzweigen sich ihre Wege. A bisserl Kreativität müsste man zur Lösung des Problems schon an den Tag legen..

Mon, 08/12/2013 - 21:35 Permalink
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Frank Blumtritt Wed, 08/14/2013 - 20:22

In reply to by Frank Blumtritt

der Zeitraum ist zu kurz, um eine umfassende Bewertung abzugeben, aber lange genug, um soziale Defizite auszumachen. Hier nur einige Indikatoren für soziale Kompetenz: Blickkontakt pflegen (gegenüber allen Personen, die zum Kontext gehören, auch Fremde im Aufzug). Mimik (sollte zumindest nicht chronisch depressiv wirken). Gruß (alle und immer und mit Lächeln oder mindestens freundlichem Ausdruck). Authentische Kommunikation (Konzentration schenken, keine Floskeln reiten, Menschen beim Gespräch ernst nehmen). Klare Kommunikation (für den Angesprochenen verständlich, gute Aussprache). Körperhaltung (bei der Visite nicht unbedingt lässig an der Wand lehnen). Gestik (Händedruck, Händehalten, Berühren statt in der Hosentasche oder hinter dem Rücken). Empathie (ein eher fortgeschrittenes Stadium sozialer Kompetenz: hierzu wäre Carl Rogers zu lesen). Identifikation des Umfeldes (Namen von Personen merken und benutzen). Erkennbarmachung (eigenen Namen und Funktion benennen, sich vorstellen). Interesse (an Allem was neu ist, Neugierige erkennt man sofort und es macht Spaß ihnen etwas zu erklären).
Natürlich muss eine Gruppe neue Mitglieder oder Gäste mit der gleichen Sozialkompetenz aufnehmen, die man sich dann von ihnen erwartet. Gerade Praktikanten/innen werden oft links liegen gelassen, das stimmt sehr wohl. Es ist ein Wechselspiel und der erste Moment ist oft entscheidend. Eine sozial kompetente Person weiß das aber und wird ihren aktiven Beitrag leisten, ohne beim ersten Hindernis aufzugeben. Man erkennt sofort, wer dazu in der Lage ist und wer nicht... in jedem Fall wird soziale Kompetenz von zu Hause mitgebracht (oder eben nicht). Manchmal besteht ein Entwicklungspotential. In den meisten Fällen aber nicht. Das ist meine Erfahrung.

Wed, 08/14/2013 - 20:22 Permalink
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Frank Blumtritt Thu, 08/15/2013 - 19:48

In reply to by Frank Blumtritt

Wir haben uns verstanden, aber deine Begriffe "Höflichkeit und Umgangsformen" sind nicht sehr wissenschaftlich und im Ausbildungs-Kontext schlecht verwendbar. Sie sind kulturell gefärbt und erinnern an Konzepte wie "gesunder Menschenverstand". Früher waren die Ausbildungen eher lokal (eine Universität, oder eine Pflegeschule) und man hat sich "seine" Ärzte und Pfleger selbst erzogen, damit sie in den lokal-kulturellen Kontext passten. Dies trifft vor allem auf die Krankenpfleger zu, die erst seit relativ kurzer Zeit auf Universitätsniveau lernen. Die Berufe Arzt und Pfleger müssen jedoch heute universelle Kompetenzen erlangen. Eine therapeutische Beziehung muss schließlich überall und mit Patienten jeglichen Alters, Herkunft und Rasse funktionieren.

Thu, 08/15/2013 - 19:48 Permalink
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Frank Blumtritt Thu, 08/15/2013 - 20:04

In reply to by Frank Blumtritt

Hierzu wollte ich auch noch Stellung nehmen. Natürlich hat der Student ein spezifisches Interesse an einer Materie, die er nicht unbedingt im Praktikum findet. Wir reden aber von der universellen Sozialkompetenz und die darf niemals vom fachlichen Interesse oder Desinteresse abhängen. Genau daran krankt ja die Medizin häufig: der Mediziner interessiert sich nicht für den Mensch, sondern für seine Krankheit. Und wenn der Mediziner Facharzt ist, interessieren ihn oft weder der Mensch, noch die Krankheit (wenn sie nicht zu seinem Fach gehört)... Interesse als soziale Kompetenz bedeutet, dass man sich für jegliche Neuigkeit interessiert, die uns eine Beziehung bieten kann, sowohl privat, als auch professionell. Es gibt nichts schlimmeres in einer Beziehung, als dem Gegenüber zu zeigen, dass man sich eigentlich nicht für ihn oder sie interessiert. Privat kann ich diese Beziehung meiden, aber im Beruf bin ich ihr verpflichtet.

Thu, 08/15/2013 - 20:04 Permalink
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Frank Blumtritt Thu, 08/15/2013 - 22:08

In reply to by Frank Blumtritt

Ich weiß nicht, ob das Thema "risk management" auch zum Curriculum eines Medizinstudenten oder zur Facharztausbildung gehört (ich fürchte nein). Dort lernt man jedenfalls, dass 80% aller Fehler durch mangelnde Kommunikation entstehen. Damit hat die Sozialkompetenz des Chirurgen nicht "nur" auf das Arbeitsklima Einfluss, sondern vor allem auf die Sicherheit des Patienten, dessen größter Albtraum es ist, wenn sich das Team um ihn herum streitet (oder vom Urlaub erzählt)...

Thu, 08/15/2013 - 22:08 Permalink