Society | Psyche

Die Sucht, die auffrisst

In Südtirol nimmt die Anzahl der Personen, die wegen Essstörungen behandelt werden, zu. “Wir kennen Fälle mit sieben Jahren”, berichtet Primar Markus Markart.
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Foto: salto

Die Patienten, die bei Markus Markart landen, werden immer mehr und immer jünger. Markart ist Primar der Pädiatrie am Krankenhaus Brixen und leitet das landesweite Referenzzentrum für Essstörungen im Kindes- und Jugendalter. Am gestrigen 10. Oktober wurde in Südtirol der Tag der psychischen Gesundheit begangen – für Markart ein Anlass, darauf hinzuweisen, dass besonders im jungen Alter Essstörungen zunehmen.
Den Grund dafür sieht der Primar unter anderem das übersteigerte Schlankheitsideal, das in der Bevölkerung vorherrscht. Dieses führe auch in Südtirol zu einem verbreiteten Diät- und Hungerverhalten, Erbrechen und Missbrauch von Abführmitteln – allesamt Verhaltensweisen, die als Risikoverhalten beziehungsweise “Einstiegsdroge” für Essstörungen gelten. Denn, so erklärt Markart, “Essstörungen sind psychosomatische Erkrankungen mit Suchtcharakter”. Die Symptome, die mit Essstörungen einhergehen, sind langwierig und häufig chronisch; die Mortalitätsrate hoch.

Bis zu 35% der Mädchen und 24% der jungen Männer zeigen laut Markart einige oder mehrere der oben genannten Einzelsymptome. Besonders häufig tritt Magersucht (Anorexia) auf. Erkennbar erkranken in der Bevölkerungsgruppe der Mädchen und jungen Frauen 1 Prozent daran; das Verhältnis zwischen erkrankten Frauen und Männern liegt bei 10:1. Relativ gering ist laut dem Primar in Südtirol hingegen das Erkrankungsbild Bulimie (Ess-Brechsucht) verbreitet.

Von Essstörungen betroffen sind vor allem Mädchen und junge Frauen, auch wenn zunehmend Männer darunter leiden. Und die Betroffenen werden immer jünger. “So sind auch Fälle mit sieben Jahren bei uns bekannt”, berichtet Markart. Ebenso nimmt die Zahl an Erkrankten jeden Alters beziehungsweise jener, die Hilfe suchen, zu. 2011 waren es noch 387 Menschen gewesen, die südtirolweit wegen Essstörung in Behandlung waren. 2012 und 2013 stieg die Anzahl auf 422 beziehungsweise 415 Patientinnen und Patienten an. 2015 wurden 481 Erkrankte im ganzen Land verzeichnet, “die meisten davon bereits bekannte Patienten”, informiert Markart. Die Dunkelziffer der an einer Essstörung leidenden Personen dürfte aber um einiges höher sein, denn nicht alle suchen Hilfe.

“Die Behandlung dieser Erkrankungen ist aufwändig und langwierig”, weiß der Brixner Primar. Um Essstörungen zu behandeln braucht es Geduld, betont Markart. So umfasst die Behandlungsdauer einer Essstörung durchschnittlich eineinhalb bis zwei Jahre; “eine Zeit, in der hohe personelle und zeitliche Ressourcen in den sanitären Strukturen garantiert werden müssen”. Um eine erfolgreiche Therapie zu ermöglichen, ist das interdisziplinäre Zusammenwirken mehrerer Berufsdisziplinen erforderlich. Seit vielen Jahren arbeiten deshalb in allen Gesundheitsbezirken spezielle Fachambulanzen mit Teams aus Ärzten, Psychologen und Ernährungstherapeuten. Die Rehabilitation wird durch das Therapiezentrum Bad Bachgart angeboten, die Präventionsarbeit vornehmlich durch die Beratungsstelle INFES geleistet. In Brixen bietet das landesweite Referenzzentrum für Essstörungen Therapieprogramme nach international abgesicherten Leitlinien, wie Markart erklärt: “Unsere Therapie besteht aus medizinischer Überwachung und Behandlung, Ernährungsrehabilitation, Psychotherapie unter Einbeziehung der Eltern, durch Sozialpädagogik, Ergo- und Kunsttherapie.”