Culture | Salto Afternoon

Umbruch im italienischen Kunstbetrieb

Der Kunstbetrieb und die zeitgenössische Kunst in Italien befinden sich in einer Krise. Das ist offensichtlich, doch wohin geht die Reise?
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Foto: Salto.bz

Salto.bz publiziert einen Text, der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Kulturelemente. Die Kunstkritikerin Antonella Palladino aus Trient schreibt über den grundlegenden Wandel des Kunstbetriebs, der mit dem Crash von Lehman Brothers 2008 begann. Sonja Steger und Haimo Perkmann haben ihren Text übersetzt und redigiert. Die Zeitschrift Kulturelemente wird im Rahmen einer Diskussion, am 12. Oktober um 20 Uhr, im Ost West Club in Meran vorgestellt.

​In dieser diskursiven Phase des Wandels ist es notwendig, die Aufmerksamkeit wieder auf den Künstler als Schaffenden zu lenken, dessen Ideen und Werke im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen sollten. 

Offenbar befindet sich die zeitgenössische Kunst in Italien in einer Phase der Stagnation, die nicht bloß den Kunstmarkt, sondern auch die künstlerisch-kulturelle Ebene erfasst. Es mangelt an Ideen und starken Inhalten, es fehlt eine neue Generation von Kunstschaffenden, denen es gelingt, sich auf internationaler Ebene zu behaupten.
Das Problem ist virulent, man spricht darüber in den Blogs, auf denen versucht wird, mehr Menschen in den Diskurs miteinzubeziehen, z.B. auf jenem von Luca Rossi, den Fabio Cavallucci „die interessanteste Künstlerpersönlichkeit im italienischen Panorama“ nennt. Das Hauptproblem der italienischen Kunst ist – jenseits aller Sachzwänge, die auf dem Markt lasten – die Abwesenheit der Öffentlichkeit. Es gibt kein Publikum. Man erwehrt sich nicht des Eindrucks, dass sich das Kunstgeschehen innerhalb einer abgeschotteten Kaste abspielt, die selbst die Regel festlegt, wer dazu zählt und wer nicht. Diese elitäre Ausrichtung des italienischen Systems führt dazu, dass Kunstschaffende erstens leicht den Kontakt zur Lebenswirklichkeit verlieren und ihre Arbeiten an vorübergehenden internationalen Trends ausrichten; zweitens, dass dem Curriculum des Künstlers größte Wichtigkeit beigemessen wird; drittens kommt ein allgemeines Desinteresse seitens der öffentlichen Hand, der Politik, hinzu. Nichtsdestotrotz entstehen gerade derzeit viele neue Ideen und Initiativen, die allerdings noch ihren gemeinsamen Weg finden müssen.

Zentrum und Provinz

Mailand ist und bleibt der Dreh- und Angelpunkt der italienischen Kunstwelt, der Ort, an dem sich nicht nur aufgrund des weitverzweigten Netzes an Galerien, sondern auch aufgrund der Effizienz des Kommunikationssektors, stets neue Möglichkeiten auftun. Es ist die polyzentrische Tendenz einer Szene, die aus dem künstlerischen Untergrund heraus agiert, die stets in Bewegung ist und neue Situationen und Alternativen zum System der arrivierten Galerien schafft. Wer die italienische Kunstwelt auch geografisch durchläuft, wird feststellen, dass auch jede Region ihre speziellen Eigenheiten gleichsam einer Identität bewahrt und pflegt.
Auf der einen Seite haben wir Mailand mit seinen Kunstmessen und Veranstaltungen, andererseits ist es mehr als offensichtlich, dass die Kunst im digitalen Zeitalter keinen privilegierten oder einzigartigen Ort mehr hat. 
Verlagert man den Blick nach Norden, nach Trentino und Südtirol, so fällt auf, dass die Krise im restlichen Italien wesentlich stärkeren Niederschlag gefunden hat als in den zwei autonomen Provinzen.

 

Beschreibung

Lifesaver von Annalisa Cannito

 

Nachdem etwa Neapel eine Phase der künstlerischen Revolution erlebt hat – mit Kunst-Bahnhöfen und wichtigen zeitgenössischen Museen – kam es im Anschluss daran zur Abwanderung etlicher Galerien, darunter die Galleria T293. Das Ergebnis ist, dass die Kunstszene in Neapel sich heute innerhalb einer kleinen Gruppe bekannter Persönlichkeiten abspielt, und darüber hinaus Kunst aus dem Ausland bevorzugt wird. Dennoch hält sich hartnäckig eine interessante Szene im künstlerischen Untergrund, die sich mit den realen Problemen und der realen Lebenswelt befasst, auf eine Weise, wie es andernorts häufig nicht mehr der Fall ist.

Es mangelt an Ideen und starken Inhalten, es fehlt eine neue Generation von Kunstschaffenden, denen es gelingt, sich auf internationaler Ebene zu behaupten.

In den vergangenen Jahren entstanden neue Einrichtungen wie „Made in Cloister“, ein Kulturzentrum mit Künstler-Residenzen, das in einer ehemaligen Wollspinnerei untergebracht ist. Es handelt sich um ein mutiges Experiment städtischer Neuorientierung und wird von internationalen Künstlern und Designern mitgetragen. Eine weitere Einrichtung, die nach und nach vom traditionellen Kunstbetrieb absorbiert wurde, ist das Museo Apparente, jene zeitgenössische Öko-Galerie des Künstlers Corrado Folinea, deren neue Zweigstelle, die Galleria Acappella, an die Rolle der T293 Galerie in ihrer Anfangszeit erinnert. Noch immer ist Casaforte, im Zentrum der Quartieri Spagnoli, ein hybrider Ort zwischen öffentlichem und privatem Raum, ein offenes Atelier-Haus für künstlerische Projekte, bei denen sich Visionen und neue Ausdrucksweisen mit dem Alltag eines Künstlerduo verflechten.
Auch in Bologna brodelt es im Untergrund, diese Bewegungen sind gut verankert in der Identität dieser Universitätsstadt. Innerhalb und außerhalb der Hörsäle ist die „Accademia di Belle Arti di Bologna“ Drehscheibe einer großen Vielfalt an Ausstellungen und Events. Das Projekt OPEN TOUR verbindet etwa die Akademie mit den wichtigsten Kunstgalerien der Stadt im Rahmen eines Ausstellungsparcours. Auch das MAMBO hat jüngst, in Zusammenarbeit mit Valerio Dehò und Carmen Lorenzetti, seine Aufmerksamkeit auf heute berühmte, ehemalige Studierende der Akademie gerichtet.Im Herzen des historischen Zentrums von Bologna ist die Stiftung “Fondazione Collegio Artistico Venturoli“ aktiv. Sie stellt jungen Kunstschaffenden Ateliers zur Verfügung, schreibt Stipendien aus und verschafft ihnen Zugang zu den Kultur-Archiven der Stiftung.

Abbau von Bürokratie und Steuerlast

Dass der italienische Kunstbetrieb sich in einer Phase der Neubestimmung befindet, steht außer Zweifel. Dies lässt sich sowohl an den Veränderungen der Landkarte des Kunstbetriebs sowie auf legislativ-wirtschaftlicher Ebene ablesen. So versucht etwa die Vereinigung “Associazione Nazionale Gallerie d‘Arte Moderna e Contemporanea” seit geraumer Zeit, die Institutionen dafür zu sensibilisieren, dass das drückende Steuersystem und die unverständliche Bürokratie sowohl finanzielle Einbußen bedingen als auch das Image weiter beschädigen. Ein erstes Signal des Wandels war in diesem Zusammenhang die Einführung des Art Bonus.
Die jüngste Debatte rund um den Kunstmarkt dreht sich um einen Abänderungsantrag des Gesetzesentwurfes 2085, mit dem die komplizierte Prozedur der Weitergabe von Kunstwerken und zeitgenössischen Arbeiten vereinfacht werden soll, um so auch das Interesse internationaler Sammler wieder zu wecken und dadurch auch wieder wettbewerbsfähigere Preise zu erzielen.
In dieser diskursiven Phase des Wandels ist es notwendig, die Aufmerksamkeit wieder auf den Künstler als Schaffenden zu lenken, dessen Ideen und Werke im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen sollten. Damit der Kunstbetrieb in seiner Gesamtheit funktioniert, müssen alle Teilbereiche ineinandergreifen, um die bitter benötigte Neuorientierung in jeglicher Hinsicht zu bewältigen.

Die Kulturelemente zur Rolle Italiens in der EU, steht unter den Auspizien der ambivalenten Identität Südtirols an der Schnittstelle verschiedener Sprach- und Kulturräume. Die Redakteure Hannes Egger und Haimo Perkmann stellen die Zeitschrift am Mittwoch, 12. Oktober um 20 Uhr, bei einem Ost West Zigori Club Spezial, im Meraner Ost West Club (Passeirergasse 29) vor.
Anschließend an die Präsentation spricht der Moderator Markus Lobis mit dem Südtiroler Journalisten und Italien-Kenner Gerhard Mumelter zum Thema: Südtirol, Italien: Innen, Außen, Unten, Oben