Das Medium und die Botschaft
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Fünf formale Experimente mit dem analogen Medium (zweimal Super8, zweimal 16mm und einmal 35mm) machten im Waaghauskeller den Anfang, bevor der zweite Teil des Eröffnungsabends in den Filmclub führte. Dort war Magnus Gerttens „Nelly & Nadine“ zu sehen, der letztes Jahr bei der Berlinale seine Weltpremiere feierte. Weiter unten mehr zu diesem Film, dem wir bereits hier das Prädikat „sehenswert“ schenken wollen.
Zuvor ging es in den Waaghaus-Keller, wo man, frei nach Marshall McLuhan, davon sprechen könnte, dass das Medium, mehr noch als die aufgenommenen Sujets, die Botschaft der Filme war. Vorgeführt wurde digital. Kurzfilm-Auswahl 1 von 8 (heute, Freitagabend, folgen ab 18.30 Uhr abermals im Keller die „Selections“ 2 bis 4) beginnt in unserer Nähe, mit dem einfach gestalteten „Lost paradise in two reels“. Mit zwei Super8 Filmrollen haben sich Luca Ferri, Morgan Menegazzo und Mariachiara Pernisa heuer auf den Weg an den Gardasee gemacht, wo der 90-jährige Regisseur Franco Piavoli - ein filmischer Einzelgänger, der von Kritikern und prominenten Regiekollegen wie Bertolucci und Tarkowski gefeiert wurde - die Idee für seinen nächsten Film erzählt. In einer statischen, unscharfen Einstellung erzählt der Auteur eine Version der Paradiesgeschichte, im Audio ungebrochen, bei der Hälfte und am Ende des etwa siebeneinhalb Minuten langen Films an überraschend passenden Stellen durch das Ende der Filmrollen in Dunkelheit gehüllt.
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„Education Lost“ bringt uns im selben Format nach Mexico und ist bereits indikativer für die gestern präsentierte Mischung: Bildüberlagerungen, die zu Parallelismen führen und eine Kolorierung, die für einen surrealen Charakter sorgt. Der 2022 erschienene Film von zwölfeinhalb Minuten von Francisco Álvarez Ríos arbeitet dabei mit Archivmaterial, immer wieder bewegt sich die Überblendung im Raum des möglichen, zeigt uns zwei Versionen desselben, die koexistieren, aber auch gänzlich gegensätzliches, wie ein Kleinkind im Baby-Walker, das mit dem Stechschritt einer Militärparade überlappt. Ein rauschhaftes, wortloses Essay zur Geschichte Ecuadors im 20. Jahrhundert.
Der dritte Film „Thanatophobia“ (2022), eine Digitalübertragung von 16mm, ist eine elfminütige Irisch-Lettische Koproduktion von Michael Higgins und Ieva Balode. Letztere, Gründungsmitglied des Baltic Analog Lab und Leiterin des Experimentalfilmfestivals Process in Riga, ist mit mehreren Filmen Gast der diesjährigen Ausgabe von Analogica und leitet am Samstag und Sonntag - auch anlässlich des 100. jährigen Jubiläums des 16mm-Formats - einen Workshop in der Galerie Fotoforum zur Manipulation, Entwicklung und Bearbeitung von 16mm Filmmaterial. Ihr erster Film im Festivalprogramm befasst sich mit der Urangst vor dem Tod, bringt stimmungsvolle Bilder in Szene und verweist auf den frühen Film, sowie das Horror-Kino. Immer wieder werden wir mit Zeitsprüngen konfrontiert, die eine der beiden Figuren im Film - Higgins und Balode - aus einem statischen Bild „verschwinden“ lassen, sowie mit fotochemischen Prozessen, welche die Bildebene zersetzen und auflösen. Wie sein Titel versucht der Film dabei nicht weniger und nicht mehr als das Gefühl der Todesangst einzufangen.
Aus Kanada hat es „La noirceur souterraine des racines“ (Die unterirdische Schwärze von Wurzeln, 2022) von Charles-André Coderre über den großen Teich nach Bozen geschafft. Es war der vielleicht technischste Film des Abends, als ein Triptychon von bis zu drei parallel ablaufenden 16mm-Bildern im Format 4:3 vorgeführt, die uns als schmaler Streifen präsentiert werden. Darin sehen wir meist im mittleren Bild Makroaufnahmen von Moosen, Flechten, Pilzen und einer angedeuteten Unterwelt. Hauptsächlichscheint es dabei um einen Vergleich der einander ähnelnd Strukturen der künstlichen fotochemischen Filmprozesse und der natürlich gewachsenen, zu formlosen Strukturen aufgelösten Gewächse, zu gehen.
„Thread“ (2022) von der aus New Mexiko heraus agierenden Filmschaffenden Abigail Smith interessiert sich in knapp über zwei Minuten für Fäden, die nicht abgefilmt werden, sondern auf den 35mm Film aufgenäht und in einen Projektor „eingefädelt“ werden. Der Tanz der Fäden wird dabei lediglich vom rumoren des Projektors begleitet. Ein filmisches Experiment, das wie ein Beleg der Machbarkeit des Unterfangens wirkt.
Nelly & NadineBei den Berliner Filmfestspielen war „Nelly & Nadine“ im Rennen um den Dokumentarfilmpreis, sowie um den Teddy-Award, den weltweit ersten LGBTQ Filmpreis eines großen Festivals, der 1987 erstmals vergebenen wurde. Den Jury-Teddy konnte sich „Nelly & Nadine“ schließlich auch sichern, hat der Film doch auch eine wichtige Botschaft: Anders liebende Menschen gab es schon immer, nur wurde nicht immer über sie gesprochen. Anhand von Tagebüchern, Interviews mit Nachkommen, sowie Fotos und Familienfilmen lässt Regisseur Magnus Gertten eine dieser totgeschwiegenen Lieben auferstehen und bringt sie zur Filmsprache. Es geht um die Liebe der belgischen Nelly Mousset-Vos (1906-87), genannt Claire, zur chinesisch-belgischen Nadine Hwang (1902-72), zwei bemerkenswerte Frauen, deren Verdienste aber nicht das Hauptaugenmerk des Films sind. Der Film steht ganz im Zeichen ihrer Beziehung. Ausgangspunkt der filmischen Reise, welche schließlich bis nach Venezuela führt, ist ein Archivfilm, welcher die Ankunft von rund 2000 Holocaust-Überlebenden im Hafen von Malmö zeigt. Es ist, nach Harbour of Hope (2011) und Every Face has a Name (2015) das dritte Mal, dass Gertten einen Film an dieser Stelle beginnt. Die Geschichte von „Nelly & Nadine“ wurde dem Regisseur nach einer Vorführung in Paris zugetragen, als ein Paar, Christian und Sylvie, Hwang auf den Malmöer Filmaufnahmen als die Geliebte von Sylvies Großmutter erkannten.
Zum Zeitpunkt der Bilder aus Malmö wusste Nadine Hwang nicht, ob die von ihr geliebte Claire, vom Konzentrationslager Ravensbrück nach Dachau deportiert, noch lebt. Ihr Blick ist grüblerisch, von großer Trauer und Erschöpfung geprägt, ein Enigma für Publikum und Regisseur. Das erste Treffen, das Wiedersehen und das gemeinsame „Happy End“ des Paares haben, verdunkelt von den Schrecken des Lagerlebens, dennoch märchenhaften Charakter. Zum ersten Aufeinandertreffen der beiden kam es, als Nelly Mousset-Vos, ausgebildete Sängerin und von Wärtern „Nachtigall“ genannt, an Weihnachten „Un bel dì, vedremo“ aus Puccinis Madam Butterfly singt.
Der Film verliert sich dabei nicht im Kitsch und benennt die Beziehung der beiden Frauen nicht sofort explizit, spiegelt damit in gewisser Weise die Schwierigkeiten, die nach wie vor groß sind, wenn es darum geht die Geschichten von historisch anders Liebenden zu erzählen. Stellten sich die Frauen auch, aus heutiger Sicht fadenscheinig in Caracas, Venezuela als Cousinen vor, so war dennoch auch damals recht offensichtlich, dass es sich bei Nelly und Nadine um Liebende handelte.
Ein Glück für den Film ist, dass der reiche Fundus an Familiendokumenten ungeöffnet blieb und im weiteren Verlauf erklärt sich auch ein Eindruck, der recht rasch entsteht: Das Paar wollte, dass seine Liebesgeschichte erzählt wird, Verlag für die Veröffentlichung eines Buches sollte sich aber keiner finden. Ein Paar mit faszinierender Geschichte, der man gerne auch länger als 75 Minuten gefolgt wäre und die der Regisseur aus einer Perspektive der Gegenwart und Empathie aufbereitet. Es geht weniger um den Krieg und das Lager Ravensbrück (wenngleich dieses auch Platz findet) und mehr darum, dass Liebe auch das Unsägliche zu überwinden weiß. Einziger Kritikpunkt an der Vorführung ist, dass es gerade beim Zeigen von Schwarzweißbildern einer Letterbox für die Untertitel bedurft hätte, aber wenn man sich nur daran stört, dann kann man getrost zufrieden nach Hause gehen.
Analogica 13Das vollständige Programm der 13. Edition von Analogica findet sich, inklusive Trailern online. Das Festival findet im Bozner Filmclub, der Galerie Fotoforum und dem Bozner Waaghaus statt.