Klimaschutz: wo bleibt Südtirol?
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Heute beginnt in Belém der 30. Weltklimagipfel (COP30). Wie bei allen vorigen COPs geht es um die Frage, wie sich die Erderhitzung aufhalten lässt. Obwohl schon seit Rio de Janeiro 1992 klar auf der Hand liegt, dass die Treibhausgasemissionen nicht mehr steigen dürfen, ist in den letzten 30 Jahren so viel emittiert worden wie in den zwei Jahrhunderten zuvor zusammengenommen. Und sie steigen unaufhörlich weiter. Die Treibhausgasemission hat 2024 mit 53,2 Mrd. t CO2eq einen neuen Rekord erreicht, 1,3% mehr als 2023. Global ist nach 33 Jahren noch nicht mal die Trendwende geschafft, außer in der EU, die ihre Emissionen aber zu langsam zurückfährt. Vermutlich wird man bei der COP50 in 2050 immer noch um die Einhaltung der Klimaziele ringen. Dann wird allerdings – so die jüngsten Einschätzungen der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft – die +3° C-Marke schon überschritten worden sein.
Vorige Woche hat die EU-Kommission zwar die Beibehaltung des -90%-Ziel für 2040 gegenüber 1990 beibehalten, doch gleichzeitig werden auf Druck einiger Mitgliedsländer die verschiedenen Maßnahmenpakete zur Umsetzung des EU-Klimagesetzes von 2021 geschwächt. Bis zu fünf Prozentpunkte der Minderung dürfen laut EU-Beschluss für die Erreichung des 2040-Ziels über den Kauf von Klimazertifikaten außerhalb Europas erzielt werden. Das ist so, als würde ein Schüler einen Mitschüler für die Erledigung der Hausaufgaben bezahlen, sagte Klimaforscher Georg Kaser im heutigen RAI-Morgentelefon.
Und Südtirol? Wie zahlreiche Regionen, Städte und Kommunen hat auch Südtirol die Pariser Konvention von 2015 zum Anlass genommen, eine Nachhaltigkeitsstrategie zu entwickeln. Der Klimaplan 2040 ist die ehrgeizige Antwort auf diese Herausforderung. Doch aufgrund der intransparenten Datenlage, wissen wir heute gar nicht, ob Südtirols CO2-Emissionen schon sinken. Laut Klimaplan muss Südtirol bis 2040, also in 15 Jahren, seine territorialen Netto-Emissionen von Treibhausgasen aller Art (CO2eq) abzüglich der anrechenbaren Kompensationen durch Senken oder CO2-Abscheidung auf null senken. Bis 2030 müssen Südtirols CO2-Emissionen um -55% gegenüber 2019 sinken. Trotzdem zeigen die verfügbaren Daten, dass sich die Gesamtemissionen kaum verändert haben.
Das bedeutet: Trotz vieler laufender Klimaschutzmaßnahmen bewegt sich unser Land bis heute noch nicht auf dem geplanten Weg zur Reduktion der CO2-Emissionen. Die Ziele für 2030 und 2040 könnten verfehlt werden, wenn keine rasche Korrektur erfolgt. Wie ist das zu erklären? Ein Teil der vom Klimaplan 2040 vorgesehenen Maßnahmen wird zwar umgesetzt, doch andere wichtige CO2-Emissionsquellen bleiben unbearbeitet, wieder andere Maßnahmen des Landes fördern neue CO2-Emissionen, statt sie zu senken. So wird ersichtlich, dass ein derartiger Plan nicht reicht, um wirklich konsequent und verlässlich einen CO2-Minderungspfad einzuschlagen. Für eine wirksame Klimapolitik ist ein solcher Plan aus mehreren Gründen unzureichend:
- Das Ziel der Klimaneutralität 2040 und die Zwischenziele werden nicht gesetzlich festgeschrieben. Wenn sie nicht erreicht werden, bleibt das folgenlos.
- Es gibt keine quantifizierten sektoralen CO2-Minderungsziele.
- Es gibt keine klaren Berichtspflichten der Landesregierung und kein transparentes Klima-Maßnahmen-Register mit Fristen, Wirkungsberechnung und klaren Verantwortungen.
- Es fehlen Korrekturpflichten, wenn sich nach der Berichterstattung erweist, dass man vom CO2-Emissions-Minderungspfad abgewichen ist.
- Die im Klimaplan 2040 aufgeführten Maßnahmen sind nicht vollständig, haben oft keinen Maßnahmencharakter, sind in ihrer CO2-Reduktionswirkung ungewiss.
- Es fehlen klare Steuerungsmechanismen, also die klare Zuordnung von Verantwortlichkeiten an Ressorts der Landesverwaltung oder an andere Träger.
- Es gibt keinen unabhängigen Sachverständigenrat, der eigenständig mit Vorschlägen, Begutachtung und Kontrolle tätig werden kann.
- Es fehlt eine permanente Beteiligung der Bürger:innen bzw. der Stakeholder.
- Es fehlen Pflichten für die Erreichung der Klimaneutralität der Landesverwaltung als solcher.
- Es fehlt eine Grundsatzbestimmung zur sozialen Abfederung der Klimaschutzmaßnahmen des Landes.
- Es fehlen an den CO2-Fußabdruck geknüpfte Kriterien bei der Vergabe von Subventionen und öffentlichen Aufträgen (Beschaffungswesen).
In Südtirol wie anderswo scheint die Vorstellung vorzuherrschen, man könne die Wirtschaft weiter wachsen lassen wie bisher, nur eben etwas weniger kohlenstoffintensiv. Weniger fossiler Energieeinsatz, mehr grünen Strom: die Klimakrise einfach technisch bewältigen. Das Wachstum vom fossilen Energieeinsatz entkoppeln, nicht aber vom Material- und Ressourcenverbrauch. Ob das klappt, ist höchst ungewiss. In Südtirol ist diese Strategie überdeutlich: echte Bemühungen um Gebäude-, Energie- und Ressourceneffizienz zum einen, quantitatives Wachstum als Oberziel in allen Branchen zum anderen; der aufwändige Ausbau der Straßeninfrastruktur zum einen, Beiträge für E-Mobilität und Ausbau des ÖPNV zum anderen; mehr verbaute Kubatur und Bodenversiegelung zum einen, Klimahausstandard beim Neubau zum anderen. Und so fort. „La moglie ubriaca e la botte piena“, nennen die Italiener diese Haltung. Man sieht sich zwar in der Pflicht, die Emissionen zu reduzieren, aber dafür weiteres Wachstum opfern? Der Soziologe Jens Beckert hat in die Tiefe analysiert, welche massiven Hürden moderne Gesellschaften davon abhalten, angemessen auf die Klimakrise zu reagieren. Sein Buch „Verkaufte Zukunft“ stellt er am kommenden Freitag, 14.11., 18 Uhr, in der EURAC in Bozen vor.
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