Image Diplomacy
Auf dem Weg durch die Bozner Museumsstraße in Richtung ar/ge Kunst wird man buchstäblich von Bildern überhäuft. Von Südtiroler Winterwanderlandschafts-Werbung bis hin zu weihnachtlichen(!) Unterwäschepostern ist alles dabei. Der Winter 2017 ist angekommen; ein Zeitalter, in dem Funktion und Effekt der Bilder allgemein bekannt sein sollten: Sie überliefern Werte und Ideale, lösen Wunschvorstellungen und Weltanschauungen in uns aus.
Leninstatue. Freiheitsstatue. Pizza und Pasta.
Wer schafft es, sich diese Bilder denken, ohne sie dabei auch automatisch mit bestimmten Nationen und damit einhergehende Lebensweisen zu verbinden? Wohl kaum eine/r. Die Konnotationen, die durch Bilder ausgelöst werden, sind gesellschaftlich erlernt und konstruiert; Ein Aspekt der schon seit geraumer Zeit bewusst ausgenutzt wird, um Bilder auf unterschiedlichste Art und Weise zu instrumentalisieren. Auch politisch.
Ankunft ar/ge Kunst. Bilder in Bildern.
In der Auslage des Ausstellungsraumes hängt ein schwarz-weißes Plakat. Es zeigt eine riesige Menschenmenge die auf den Palazzo Reale in Mailand zuströmt. Der Anlass: die Eröffnung der settimana sovietica im Jahre 1967. Durch das Schaufensterglas spiegeln sich auch die Massen an Spaziergängern und Kunstneugierigen wieder: Eine Begegnung der Ausstellungsbesucher von 1967 und jenen von heute.
Massen Massen Massen. Das Kollektiv.
Das Plakat entspringt der Zeit des Kalten Krieges und lässt sich in Mitten jenes Machtkampfes zweier vorherrschender Ideologien verorten, der Bilder und Ausstellungen politisch in Szene setzt. Es ist eines jener Fundstücke, die der Künstler Vladislav Shapovalov in verschiedenen internationalen Archiven entdeckt hat und in der von Emanuele Guidi kuratierten Ausstellung Image Diplomacy bei ar/ge Kunst in Bozen aufarbeitet.
In seiner Auseinandersetzung mit dem Archivmaterial setzt Shapovalov einen besonderen Fokus auf die Geschichte seines Herkunftslandes Russland, der UDSSR und ihrer Beziehung zu Italien, jenes Land mit der damals ausgeprägtesten Kommunistischen Partei in der westlichen Welt. Dabei ist Shapovalov auf eine besonders interessante Praxis gestoßen: In der UDSSR wurden Bilder, Fotos und Pläne für bereits vorentwickelte Ausstellungen an die verschiedenen sowjetischen Zentren in die ganze Welt hinausgeschickt. Die Ausstellungen sollten dort nachgebaut werden und auf internationaler Ebene ein positives kulturelles Bild der Sowjet Union vermitteln und als Vertreter einer kulturellen Diplomatie einstehen.
In den Ausstellungen wurden Fotografien und Bilder von den unterschiedlichsten Erfindungen und Ereignissen gezeigt: vom Sport, über die Weltraumforschung, bis hin zu Kunst und Architektur. Doch was den Künstler viel mehr noch interessiert als die Inhalte, ist die Art und Weiße wie die Bilder, Fotos und Filme in Szene gesetzt wurden. Shapovalov beleuchtet Ausstellungstechniken und Strategien bis ins Detail, interpretiert sie in Bozen neu und verleiht enthüllt die diplomatische Funktion der Bilder.
Ein besonders sehenswertes Werk ist Opening Titles. Es zeigt die Anfangsbilder jener 16mm Filme, die von der UDSSR an das internationale Netzwerk sowjetischer Vereine und Organisationen entsandt wurden und dessen Schriftzug und Schriftart dem jeweiligen Land „angepasst“ wurden. So erscheint der französische Titel „Images sovjétiques“ in einer bewegten eleganten Schriftart, der deutsche Titel „Durch die Sowjetunion“ hingegen in einer starren und frakturähnlichen. Dass beim arabischen Schriftzug der Begriff der „Union“ vermieden wurde, zeigt wie ausgeklügelt die Bilder abgestimmt wurden.
Individualität. Differenz. Freiheit.
Die sowjetischen Ausstellungen erzählen die Geschichte des kommunistischen Kollektivs und heben dabei vor allem die Bilder von Massen und der Gemeinschaft hervor. In seinem Film Image Diplomacy stellt Vladislav Shapovalov diese Strategien den amerikanischen gegenüber. Denn auch im Westen wurden Ausstellungen bewusst im Sinne der Ideologie-Promotion ausgelegt. Das bekannteste Beispiel ist die bis heute meistbesuchte Fotoausstellung der Welt: The Family of Man wurde erstmals 1955 im MoMA in New York ausgestellt und reiste anschließend um die Welt. Noch während des Kalten Krieges wurde sie unter anderem auch in Moskau gezeigt. Die Ausstellung wurde so designt, dass ein demokratisches Gesamtbild entsteht: Das Individuum wird hervorgehoben, die Gleichheit aller Menschen, trotz ihrer Differenzen, gepriesen. Die ausgestellten Bilder sollen ein Spiegel der westlichen Gesellschaft darstellen, sie gleichzeitig jedoch (mitsamt ihren klassenverfestigenden, rassistischen und sexistischen Strukturen) mitkonstruieren. Die demokratische Individualität im Gegensatz zur sozialistischen Gemeinschaft: Ein Kampf um Vorherrschaft, in dem auch Bilder zu Waffen wurden.
Dass The Family of Man mittlerweile zum UNESCO Weltdokumentenerbe ernannt wurde, während zahlreiche sowjetische Ausstellungsdokumentationen in Archiven verstauben, öffnet eine neue Sichtweise auf Image Diplomacy. Denn Bilder schreiben Geschichte und führen dabei ein Eigenleben, dass oftmals auch fern der offiziellen Geschichtsschreibung existiert. Und hier liegt das besondere Augenmerk Shapovalovs: Angestrebt wird keine Neuschreibung, sondern viel eher eine Offenlegung der Komplexität, die sich hinter der kulturellen Diplomatie der Bilder verbirgt. Eine Diplomatie die keineswegs mit Ende des 20. Jahrhunderts verschwunden ist.