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Südtirol kommentiert Köln

Die Vorfälle in Köln lassen auch in Südtirol die Online-Kommentare sprießen. Das Diskussionsniveau leidet zunehmend. Und Moderatoren tun sich schwer. Ein Fallbeispiel.

Nirgendwo wird dieser Tage so häufig und heftig über das diskutiert, was in der Silvesternacht in Köln und anderen deutschen Großstädten passiert ist, wie in den sozialen Netzwerken. Auf Twitter gern unter dem Hashtag #einearmlaenge, in Anspielung auf die umstrittene Äußerung der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Einige Tage nach Bekanntwerden der Vorfälle, bei denen hunderte Frauen und Mädchen auf dem Kölner Bahnhofsplatz tätlich angegriffen, sexuell belästigt und ausgeraubt wurden, hatte Reker den Frauen geraten “eine Armlänge Abstand” zu halten.


Wie reagieren?

In der Kritik steht aber längst nicht nur die Oberbürgermeisterin von Köln. Nur zögerlich und spärlich hatten die deutschen Medien zu Beginn über die Ereignisse in der Silvesternacht berichtet. Auch aufgrund der anfänglichen Fehleinschätzungen der Kölner Polizei, die von keinen außergewöhnlichen Zwischenfällen in der Nacht des Jahreswechsels berichtete. Inzwischen kommen täglich neue Details ans Licht. So soll die Zahl der Strafanzeigen mittlerweile auf über 500 angestiegen sein. Mehrere Verdächtige, die den zuständigen Polizeibehörden von fast allen Opfern als “nordafrikanischer oder arabischer Herkunft” beschrieben wurden, sind festgenommen, einige bereits wieder entlassen worden. Der deutsche Innenminister Heiko Maas vermutet hinter den Übergriffen organisierte Kriminalität. In einem Interview mit Bild am Sonntag sagte er: “Wenn sich eine solche Horde trifft, um Straftaten zu begehen, scheint das in irgendeiner Form geplant worden zu sein. Niemand kann mir erzählen, dass das nicht abgestimmt oder vorbereitet wurde.” Der Verdacht, dass es sich beim Großteil beziehungsweise einer Vielzahl der Täter um Flüchtlinge oder Asylbewerber handelt, hat sich laut deutschen Medienberichten hingegen bislang nicht bestätigt.

In den sozialen Netzwerken sind die Vorfälle auf fruchtbaren Boden gestoßen und bieten seit Tagen Anlass für Diskussion. In Südtirol selbst wird speziell in der öffentlichen Facebook-Gruppe “Südtiroler Diskussionsplattform zur aktuellen Flüchtlingsthematik” debattiert. Das Ausmaß und die Richtung, die die Diskussion dabei angenommen haben, zeigen beispielhaft, wie schwer es vielen Menschen zu fallen scheint, das Geschehene in ihr Weltbild einzuordnen und zu beurteilen. Selbst die Administratoren der Facebook-Gruppe haben inzwischen eingestehen müssen, dass die Diskussion ihre Kapazitäten überfordert.

“Ich frage mich auch, was wohl jemand sich denken mag, eine Außenstehende oder so, wenn sie zufällig an diese Plattform gerät, und sieht, worüber (scheinbar) ‘Südtirol’ ‘diskutiert’, in der Flüchtlingsfrage... müsste sich in Abscheu abwenden, von Südtirol…”
(eine Userin über die Debatten in der “Südtiroler Diskussionsplattform zur aktuellen Flüchtlingsthematik”)


Aus dem Ruder gelaufen

Der erste Post, der die Geschehnisse um Silvester aufgreift, erscheint in der “Südtiroler Diskussionsplattform” am 3. Jänner. In der Woche, die seitdem vergangen ist, ist eine inzwischen unüberschaubare Anzahl an Posts und Kommentaren dazu gekommen. Die Themen, die die Facebook-User dabei aufgreifen, sind unter anderem: Gewalt an Frauen, straffällig gewordene Migranten, religiöse Divergenzen, Integration, aber auch Brandanschläge auf Asylbewerberheime sowie die Instrumentalisierung der Thematik durch rechte Parteien und Rechtspopulisten. Und immer wieder wird der Zusammenhang mit Flüchtlingen und der vermeintlichen Bedrohung, die von ihnen ausgeht, hergestellt beziehungsweise versucht, herzustellen. Die User greifen dabei auf mehr oder weniger seriöse Berichterstattung zurück und versuchen mit mehr oder weniger objektiven Argumenten die anderen von ihren Ansichten zu überzeugen. Doch schon bald nach Beginn der Diskussion beginnt diese – wenig überraschend – aus dem Ruder zu laufen.

Compact – ein in Deutschland für seine tendenziöse und rechtslastige Berichterstattung bekanntes und verpöntes Online-Portal. Von einer Userin der Südtiroler Diskussionsplattform mit dem Adjektiv “lesenswert” versehen und in die Gruppe gepostet.

Knapp tausend Mitglieder zählt die Facebook-Gruppe. Dass dabei nicht alle einer Meinung sind, ist klar. Doch mit dem Verstreichen der Tage verschärfen sich die Töne. Es werden persönliche Beleidigungen durch den (virtuellen) Raum geworfen. “Gutmenschen”, “Linksverblendete” und “Realitätsverweigerer” sind noch die harmlosesten Etikettierungen, die sich jene anhören müssen, die mit den zahlreichen dubiosen Argumenten mit Sachlichkeit zu begegnen versuchen. Heftiger sind da schon Ausdrücke wie “altlinke Wixxer”, die mitunter auch fallen. Doch auch von anderer Seite hagelt es Parolen wie “Nazis”; ein häufiger Vorwurf: “rechte Hetze”.

Europa ist zu tolerant. Wohin das führt, hat man Silvester gesehen!
(eine Userin in der Diskussionsplattform)


Keine leichte Aufgabe

Wild durcheinander und teilweise aus dem Zusammenhang gerissene Beiträge, die manches Mal sogar auf zweifelhaften Quellen basieren, lassen zwar die Anzahl der Kommentare in die Höhe schnellen. Doch zur Qualität der Diskussion tragen sie kaum bei. Auch den Moderatoren der “Südtiroler Diskussionsplattform” erschweren die zahlreichen menschenverachtenden und beleidigenden Kommentare das Leben.

“Hauptsache ist, dass diese Kreaturen tun und lassen dürfen, was SIE wollen! Bei mir drhoam tua i a wo’s i will. Obr nit in an fremdem Ort! Odr, de hom nit a Minimum an Onstond und du mit!”
(gepostet von einer Userin)

Nach einigen Hinweisen und Beschwerden aus der Community schalten sich die drei Gruppenadministratoren ein und erinnern an die Verhaltensregeln der Facebook-Plattform. “Auch wenn dies manchmal mit vielen Emotionen einhergeht, versuchen wir Admins unser Bestmögliches zu tun, damit es nicht außer Kontrolle gerät”, heißt es darin. Mit “es” ist wohl die Diskussion gemeint, die nicht nur in der Südtiroler Facebook-Gruppe mittlerweile zum Teil über die Grenzen des Anstands und des gegenseitigen Respekts hinaus geht. Eine Userin bringt es auf den Punkt: “Köln macht mir Angst, aber die Reaktion darauf genauso.”