Porträt einer jungen Frau in Flammen
2019 hatte einige gute Filme, sehr gute gar, man denke nur an „Parasite“, „The Lighthouse“, „The Irishman“ oder „Once Upon A Time In Hollywood“. Sie waren politisch, kritisch, historisch, psychologisch, makaber, romantisch. All das und vieles mehr. Nun endlich erreicht unsere Kinos ein Film, der bereits bei seiner Premiere bei den Filmfestspielen von Cannes viel Lob erhielt und als Mitfavorit für die Goldene Palme gehandelt wurde. Die bekam bekannterweise der südkoreanische „Parasite“, verdient wohlgemerkt. „Porträt einer jungen Frau in Flammen“ ist ein vergleichsweise kleiner und vor allem stiller Film. Von ihm schreit nicht die Stimme einer Gesellschaftskritik, nicht die epischen Ausmaße eines Scorsese oder Tarantino. Vielmehr konzentriert sich die französische Regisseurin und Drehbuchautorin Céline Sciamma auf eine wesentlich intimere Geschichte, ähnlich übrigens wie Robert Eggers Triumph „The Lighthouse“. Tatsächlich haben beide Filme mehr als nur ihre herausragende Qualität zu bieten. Beide spielen auf einer Insel, beide drehen sich in erster Linie um zwei Protagonistinnen respektive Protagonisten, und beide steigern sich zum Ende hin zu einer Intensität, wie sie im Kino der heutigen Zeit nur noch selten zu finden ist. Lediglich „Systemsprenger“ aus dem letzten Jahr dürfte in dieser Hinsicht ähnlich dicht sein.
„Porträt einer jungen Frau in Flammen“ ist im ausgehenden 18. Jahrhundert angesiedelt und erzählt dabei die Geschichte der jungen Malerin Marianne, die sich mitsamt ihrer Malutensilien auf eine abgelegene Insel in der Bretagne begibt. Dort soll sie die Tochter einer alternden Gräfin porträtieren, zum Zweck, das Bild an den zukünftigen Ehemann weiterzugeben und so das Bündnis zwischen den beiden zu besiegeln. Schnell stellt sich heraus, besagte Tochter ist störrisch und hat einiges gegen die angedachte Eheschließung. Bereits ein anderer Maler hatte versucht, ein Bild anzufertigen, doch die zu Porträtierende weigerte sich standhaft, ihr Gesicht zu offenbaren. Zurück blieb, und dies findet Marianne bei ihrer Ankunft auf der Insel vor, ein unvollendetes, kopfloses Gemälde. Die mysteriöse Tochter der Gräfin, ihr Name ist Héloïse, darf nun nicht erfahren, dass es sich bei Marianna ebenfalls um eine Malerin handelt, und die muss wiederum im Verborgenen malen, dem jedoch vorausgeht, dass sie Zeit mit Héloïse verbringt und ihre Gesichtszüge, ihren Körper und nicht zuletzt ihr inneres Wesen kennen und auswendiglernt. Was folgt sind lange Spaziergänge an den rauen Klippen der Insel, an den Stränden und über die Felsen, an denen die weiße Gischt zerschellt. Héloïse gibt sich unnahbar, nicht zuletzt das von Marianne so erhoffte Lächeln zeigt sie kaum. Erst als die alte Gräfin verreist, die einzige Bedienstete des Hauses unerwartet ein Kind erwartet und die drei Frauen alles tun um eine Abtreibung herbeizuführen, lässt man sich aufeinander ein und kommt sich langsam aber sicher näher.
„Porträt einer jungen Frau in Flammen“ darf ruhig als Liebesfilm klassifiziert werden. Dem Begriff lastet zwar einiges an, das ist jedoch nicht seiner Definition, sondern vielmehr den vielen schlechten Vertretern des Genres zuzuschreiben. Gute Liebesfilme gibt es selten, vor allem in den letzten Jahren. Ein positives Beispiel wäre da „Call Me By Your Name“ von Luca Guadagnino. Zufall, dass es sich da auch um eine queere Liebelei handelt? Was den meisten Liebesfilmen fehlt, stellt „Porträt einer jungen Frau in Flammen“ in den Vordergrund. Nämlich die Subtilität der Gefühle, der heranwachsenden Gefühle wohlgemerkt, und das Herantasten zweier Menschen aneinander, das Annähern, das sich durch Blicke, kleinste Bewegungen und Regungen äußert. Es braucht keine großen Worte, um die Chemie zwischen zwei Menschen zu beschreiben, und doch ist es schwierig, Gedanken und das abstrakte Wesen eines Gefühls auf die Leinwand zu übertragen. Céline Sciamma tut dies mit Bravour, und in erster Linie durch ihre grandiosen Hauptdarstellerinnen Noémie Merlant und Adèle Haenel. Kein Deut ist zu viel, alles ist abgewogen. Man bewegt sich auf reduziertem Raum, doch nutzt ihn vollkommen aus. Das Anwesen, die hohen Innenräume, die kalte, steinerne Küche und dann die Weiten der Strände. Neben der sinnlich erzählten Geschichte sind es auch die Bilder, die in klaren Konturen, und leuchtenden Pastellfarben eingefangen werden. Es ist erfrischend, einen historischen Kostümfilm mit realistischen Farben im Kino erleben zu dürfen. Man verzichtet auf den üblichen grau-brauen Matsch, der genreüblich ist, sondern arbeitet mit viel natürlichem Licht, dem Schein der Kerzen und dem der gleißenden Sonne, die die Haut erhellt und die farbenfrohen Kleider strahlen lässt. Der Film zeigt romantisch-wilde Landschaften in weiten Totalen im Geiste von Friedrich oder Turner, dann wieder intime Nahaufnahmen der Protagonistinnen, die durch wenige, dann jedoch gut geschriebene Worte ihre Anliegen auf den Punkt bringen. So fügt sich die Kameraarbeit gut in die Erzählung ein, beide sind reduziert und makellos, auf eine meisterhafte Art und Weise. Passend dazu ist die Musik im Hintergrund und meldet sich zum richtigen Zeitpunkt mit ganzer Kraft. Neben Eigenkompositionen findet sich etwa Vivaldi im Soundtrack wieder.
Zu erwähnen, da in der Geschichte wichtig, ist die Sage des Orpheus und Eurydike, in der sich ersterer zu seiner Geliebten umdreht, um ihre Schönheit zu erblicken, wohl wissend, dass ihm das auf dem Weg aus der Unterwelt verboten ist und sie daraufhin dorthin zurückgezogen wird. Ähnlich, doch tragisch realistischer verhält es sich mit Marianne und Héloïse, nämlich so, wie es wohl viele Menschen nachvollziehen können. Sie sind zwei der besten Kinofiguren des letzten Jahres, man muss wahrscheinlich sagen, dass sie zwei Musterbeispiele von gut geschriebenen Frauenfiguren sind, auch wenn es traurig ist, das hervorheben zu müssen. Doch es zeigt sich gut, dass die beiden, obwohl alleingelassen von Männern auf der Insel, niemals frei von deren kontrollierenden Einfluss sind. Dass dies nichts mit der historischen Zeit des Films zu tun hat, sondern auch heute noch aktuell ist, muss hoffentlich niemanden gesagt werden. „Porträt einer jungen Frau in Flammen“ in ein cineastischer Triumph in vielerlei Hinsicht. Als reiner, wahrhaftiger Film, als europäischer Film, als Frauenfilm und als ein starker Herzschlag des zeitgenössischen Kinos, das trotz der dargestellten Epoche hochmodern ist. Wer diesen Film verschmäht, hat das Kino nie geliebt.