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Ratlos

Zwei Wochen nach seinem Wahlsieg hat der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras das Vertrauen des Parlaments erhalten. Doch wie geht's jetzt weiter?

Seitdem ich im freudlosen und seit Tagen von Schneestürmen geplagten Istanbul zurück bin, grüble ich über das Schicksal Griechenlands. Normalerweise habe ich eine gute Intuition, was politische Entwicklungen betrifft. Doch diesmal bin ich ratlos. Ich kann nicht einschätzen, ob es sich bei der neuen griechischen Regierung um eine geniale, junge Politikergeneration handelt,  um sympathische Dilettanten, um ausgefuchste Zocker oder sonstwas.

Sicher ist: Alexis Tsipras und sein Star-Finanzminister Yannis Varoufakis haben die griechische Schuldmisere NICHT verursacht, vielmehr sind sie so etwas wie Konkursverwalter. Das ist die undankbarste Rolle, die es für eine Regierung geben kann. Trotzdem hat sich Tsipras daran herangewagt, sein Land irgendwie aus der Krise herauszuführen.

Allein das ist schon eine Leistung. Diese Leistung wird übrigens von immer mehr Griechen honoriert: die Popularität des neuen Ministerpräsidenten steigt seit seinem Wahlsieg weiter an. An der letzten grossen Demonstration gegen die Troika in Athen haben laut Medienberichten, erstmals auch massiv konservative Samaras-Stammwähler teilgenommen.

Erschwert wird eine klassiche politische Analyse der griechischen Ereignisse durch die unkonventionelle Personal- und Bündnispolitik der Tsipras-Regierung. Dass der  rechte und russlandfreundliche Panos Kammenos ins Kabinett genommen wurde, widerspricht der klassischen partei-ideologischen Bündnispolitik. Dass Tsipras einen konservativen und der früheren Regierung Samaras nahestehenden Politiker zum neuen Staatspräsidenten wählen lassen will, ist ebenso ungewöhnlich. Die Rechnung könnte aufgehen: durch die Einbindung aller Lager in die politischen Entscheidungen entspricht Tsipras dem Patriotismus der Griechen, die in schweren Zeiten zusammenhalten.     

Innenpolitisch erfolgreich, hat Tsipras aber mit grossen aussenpolitischen Schwierigkeiten zu kämpfen, um das Schuldenproblem in den Griff zu bekommen.  Viele EU-Partner wären ja bereit, Griechenland eine weitere Chance zu geben oder einen Aufschub zu gewähren. Doch Deutschland bleibt bei seinem Nein, was sich langfristig als Fehler herausstellen wird, was aber verständlich ist. Die Deutschen sind nun einmal so.

Peinlich dagegen: das Verhalten von Ministerpräsident Matteo Renzi, der im vergangenen Europawahlkampf haargenau dieselbe Anti-Austeritäts-Linie vertrat wie Alexis Tsipras. Doch jetzt hat Renzi schlicht und  einfach Angst vor der deutschen Bundeskanzlerin, weshalb er Tsipras bei dessen Antrittsbesuch in Rom in den Rücken fiel - nach dem Motto: wir halten es grundsätzlich mit dem jeweils Stärkeren.

Statt sich um einen Kompromiss zwischen den EU-Krisenländern und den dominanten Eurostaaten zu bemühen, wies Renzi seinen griechischen Amtskollegen von oben herab an, gefälligst alle vorgegebenen Regeln und Abmachungen einzuhalten -  was Italien seit jeher selbst nicht tut.  Ein schöner Freund, dieser Renzi!     

Noch ein Italiener, nämlich Mario Draghi, hat den Griechen übel mitgespielt. Dass die EZB keine griechischen Anleihen mehr als Garantie annimmt, um Geld locker zu machen , ist verständlich und entspricht den geltenden Bestimmungen. Aber auch bei Draghi verstärkt sich der ungute Eindruck, dass er sich nicht gross angestrengt hat,  eine Alternative zu finden, weil  die Griechen ein kleines und schwaches EU-Land sind, das keine gute Presse hat.

Obwohl:  die deutschen, nicht gerade griechenlandfreundlichen Medien haben verhältnismässig korrekt über Griechenland berichtet - verglichen mit führenden italienischen Zeitungen.  Die eiskalte ZDF-Moderatorin Marieta Slomka kam geradezu ins Schwärmen, als sie Finanzminister Varoufakis ankündigte. 

Yannis Varoufakis gefällt - nicht nur den Frauen, die ihm - relata refero - Charme und Sexappeal nachsagen. Der neue Finanzminister gefällt auch sehr vielen Jungen, den sogenannten "Angepassten" ebenso wie den sogenannten "Alternativen".  Varoufakis ist unkonventionell in seinem Auftreten und in seiner Argumentation. Er ist aber auch noch unerfahren, und deshalb viel zu ehrlich für einen Politiker. Das hat er selbst in einem Interview erklärt, als er meinte: "Wir sind als Politiker zwar noch unerfahren, dafür aber sind wir nicht korrupt."

Weniger beachtet, vielleicht zu Unrecht : der neue Aussenminister Nikos Kotzias, der immerhin an der Universität Marburg gelehrt hat, Habermas in Griechenland veröffentlichte,  mit einer Germanistin verheiratet ist und als Student in Gießen in derselben Strasse und zur selben Zeit gelebt hat wie der deutsche Aussenminister Frank-Walter Steinmeier, den er natürlich kennt.  Diese Vergangenheit lassen die deutschen Medien gerne aus, wenn sie Kotzias lediglich als gefährlichen Kommunistenführer präsentieren.

Noch etwas verschweigen die Medien in Europa gerne: Dass laut jüngster OECD-Studie die beiden Eurokrisenländer Portugal und Griechenland die meisten Reformen durchgeführt haben. An den letzten Stellen: Italien und Deutschland, die als reformfaul eingestuft werden. Und was die so oft zitierte "Faulheit" der Griechen betrifft: Laut OECD haben sie wöchentlich deutlich mehr Arbeitsstunden vorzuweisen als eben die Deutschen.

Und diese "Deutschen" sind zwar wirtschaftlich unschlagbar, doch politisch wenig brillant.  Der Konflikt mit Griechenland droht die Regierung in Berlin immer mehr zu isolieren. Deutschland wird nicht nur gefürchtet, sondern mittlerweile  auch regelrecht gehasst (man braucht sich nur in Italien, Spanien  oder Frankreich auf der Strasse umzuhören).

Statt zusammenzuwachsen, entzweien sich die EU-Staaten wegen des leidigen Euro immer mehr.  Statt die vielzitierte Solidarität zu üben, werden Zwietracht und Neid geschürt. Statt einer gemeinsamen europäischen Friedenspolitik spielt sich derzeit eine hilflose deutsch-französische Reisediplomatie vor unseren Augen ab, deren leere Drohungen mit dem Hohngelächter Putins quittiert werden.

Übrigens: Wo ist unsere italienische EU-Kommissarin für aussenpolitische Fragen geblieben, die nette Federica Mogherini?  Sie wird ganz einfach übersehen, nicht informiert, nicht zu den Reisen nach Washington oder Minsk mitgenommen. Und das soll Europa sein?       

 

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Martin B. Thu, 02/12/2015 - 14:06

Wenn Sie so ratlos sind, kann ich nicht verstehen warum Sie unter dem Namen einer dieser jungen Politikergeneration kandidiert haben.

Thu, 02/12/2015 - 14:06 Permalink
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Albert Mairhofer Fri, 02/13/2015 - 09:34

Inzwischen stellt sich heraus, dass die EU keinen Schuldenschnitt zulassen wird und dass folglich fast ein Wunder geschehen müsste, aus dieser Situation herauszukommen.
Ich will einen anderen Weg aufzeigen, Griechenland zu einem Pfeiler Europas zu machen:

Hätten die Erbauer des Kanals von Korinth geahnt, dass dieser sinnbildhaft zum Tor Europas werden könnte? Sie haben ihn gebaut, die 400 km weite Umfahrung des Peleponnes zu ersparen und wenn das Adriatische Meer mit der Donau durch den Alpenkanal Donau-Tirol-Adria verbunden wird, dann werden aus den 400 km 4000 km oder 1 Woche Fahrt, die sich die Schifffahrt erspart, wenn Ozeanschiffe der Suezroute in griechischen Häfen ihre Ladung auf Binnenschiffe umladen, die die Fahrt auf Küstengewässern, Flüssen und Kanälen durch Europa fortsetzen. Umgekehrt könnten Binnenschiffe durch den Alpenkanal direkt zu den Mittelmeerhäfen gelangen.

Aus dieser Perspektive wird der gesamte östliche Mittelmeerraum und hauptsächlich Griechenland aufgewertet, denn seine Häfen liegen direkt an der Route zum Suezkanal. Es würde das Zentrum des Schiffsverkehrs und des Warenumschlages im Mittelmeer werden und dadurch als Land der Seefahrer wirtschaftlich wieder erstarken.

Fri, 02/13/2015 - 09:34 Permalink
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Martin Federspieler Sat, 02/14/2015 - 09:40

Ratlos aber hingerissen!
Als ernsthafte (versuchte) Politikerin und Journalistin eines gewissen Alters sollte Frau Brugger sowohl gegen die recht simplen Verheißungen eines Zipras als auch gegen den Charme eines Varoufakis gefeit sein (wobei, den finde ich auch cool).
Die Frage ist nur, wo soll das hinführen? Wenn ein Volk sein Land so weit herunterwirtschaften lässt, dass es am Tropf ausländischer Geldgeber hängt, wird der Weg aus der Krise wohl um eine ehrliche Analyse der Ursachen der Misere nicht herumkommen. Dazu gehört die Einsicht, dass man es zu einem guten Teil selber verbockt hat und die Bereitschaft, die Verhaltensweisen entsprechend zu ändern.
In diesem Sinne sehe ich die Griechen noch weit entfernt vom ersten Schritt aus der Sackgasse. Mit dem übermütigen Auftreten auf Kosten des Euro und der Solidarität der Euroländer wird die neue Regierung wohl für einige Monate Eindruck schinden, letztendlich wird der Fall dann wohl noch tiefer werden.
Ich hoffe mich zu täuschen.

Sat, 02/14/2015 - 09:40 Permalink