Politics | Buchvorstellung

Vorzeigebeispiel Südtirol

Matthias Haller präsentiert seine Forschungsarbeit zum Südtiroler Minderheitenschutz im Landtag. Über Schutz, Entwicklung und Vertretung einer festgefahrenen Identität.
Haller Landtag
Foto: LPA

“Ein Handbuch zum Südtiroler Minderheitenschutz”, nennt Matthias Haller sein Buch, das er am Donnerstagmorgen dem Südtiroler Landtag präsentierte. Der Assistenzprofessor am Institut für Italienisches Recht in Innsbruck analysiert darin die Verankerung der Südtiroler Autonomie im Völkerrecht und der italienischen Verfassung und deutet Möglichkeiten an, um die Autonomie auszubauen und - wie er zu Bedenken gibt - wiederherzustellen. Haller wurde für das 2021 erschienene Buch mit mehreren Preisen ausgezeichnet.

 

Entwicklung der Südtiroler Autonomie 

 

Während Haller die Südtiroler Autonomie prinzipiell als Musterbeispiel für die friedliche Lösung von Minderheitenkonflikten sieht, steht er der Entwicklung der Autonomie seit der Streitbeilegung 1992, vor allem aber seit der Verfassungsreform 2001, kritisch Gegenüber: “Das Schutzniveau von 1992 wurde bei der Streitbeilegung als völkerrechtlicher Standard verankert”, so Haller. Seit der Verfassungsreform 2001 sei dieser Standard jedoch - völkerrechtswidrig - unter Beschuss. Durch Querschnittskompetenzen des Staates hätten sich Einschränkungen bei rund 50 Prozent der Landeskompetenzen ergeben, insbesondere durch Schutz des Wettbewerbs, Zivilrecht, Umweltschutz, Festlegung von Mindeststandards beim Schutz der bürgerlichen und sozialen Rechte.

Es gebe jedoch sowohl völkerrechtliche als auch verfassungsrechtliche Möglichkeiten, um darauf zu reagieren: Die Wiederherstellung des Schutzniveaus könnte einerseits über das Völkerrecht von Österreich eingefordert werden, andererseits können innerstaatliche Änderungen des Autonomiestatuts angestrebt werden oder Durchführungsbestimmungen erlassen werden. Haller mahnte, die neue Kompetenz der Digitalisierung nicht zu übersehen, bei der die Gefahr bestehe, dass die Autonomie weiter eingeschränkt werde.

Insgesamt habe das fruchtbare Zusammenspiel zwischen Völker- und Verfassungsrecht aber zum Erfolg des Südtiroler Minderheitenschutzsystems geführt, wobei sich einmal das eine und einmal das andere in den Vordergrund drängten: Bei einer negativen innerstaatlichen Entwicklung nimmt die Bedeutung der völkerrechtlichen Verankerung zu, bei einer positiven Entwicklung steht diese eher im Hintergrund.

 

Wer vertritt Südtirol? 

 

Neben der historischen Entwicklung der Südtiroler Autonomie und den verschiedenen Möglichkeiten, um den völkerrechtlich festgehaltenen Standards gerecht zu werden, untersucht Haller auch die Frage, wem es heute zusteht, die Minderheiten zu vertreten. Da die Südtiroler Volkspartei zwar ihre absolute Mehrheit eingebüßt habe, diese jedoch unter der deutsch- und ladinischsprachigen Bevölkerung weiterhin halte, falle das Los, laut Haller, noch immer auf die Volkspartei, der das alleinige Vertretungsrecht zustehe.

Dies könnte sich ändern, wenn sich das politische Gleichgewicht im Land zugunsten anderer Parteien verschieben sollte. In diesem Fall müssten neue Methoden zur Minderheitsvertretung ausgelotet werden. Hier nennt Haller die Möglichkeit, auf jene Parteien, die die deutsche und ladinische Sprachgruppe vertreten, zurückzugreifen, oder aber auf die deutschen und ladinischsprachigen Vertreter der einzelnen Parteien. Er räumt jedoch ein, dass diese Möglichkeiten auch negative Folgen mit sich zögen - im ersten Fall den Ausschluss der Grünen zum Beispiel.

 

Wer ist Südtirol?

 

Das Fehlen der italienischen Sprache während der Präsentation und der anschließenden Diskussion zwischen dem Autor und den Landtagsabgeordneten zeigt einmal mehr, dass die Autonomie in Südtirol vielerorts noch immer als deutsches und ladinisches Thema gelebt wird. Es zeigt aber auch, wie schwierig es ist, Minderheitenschutz und Autonomie in Südtirol differenziert zu betrachten: Autonomie wird mit Minderheitenschutz gleichgestellt; die Frage danach, welche Gesellschaft durch den Schutz und Aufbau der Autonomie heute vertreten wird, stellt sich nicht. Die zu schützende Einheit scheint noch immer jene zu sein, die vor 50 Jahren im 2. Autonomiestatut verankert wurde.

 

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△rtim post Sat, 02/12/2022 - 13:55

Bei "Einschränkungen (von) rund 50 Prozent der Landeskompetenzen" die nun auch durch diese wissenschaftliche Arbeit festgestellt worden ist, zeigt einmal mehr, dass Handlungsbedarf besteht.

Sat, 02/12/2022 - 13:55 Permalink
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Sepp.Bacher Sat, 02/12/2022 - 16:55

Ich schätze, dass jene Politiker, die für diese Verschlechterungen verantwortlich sind, das niemals zugeben werden. Da gibt es sicher wieder sehr verschieden Bewertungen und Interpretationen.
Dass die autonomen Kompetenzen immer wieder an ihre Grenzen stoßen, das haben wir letzthin immer wieder zur Kenntnis nehmen müssen.

Sat, 02/12/2022 - 16:55 Permalink