Wenn ein Bürgermeisterkandidat nicht reicht
Die insgesamt niedere Wahlbeteiligung bei den Gemeinderatswahlen 2015 ist nicht das einzige Warnsignal, an der der politische Unmut der Südtirol ablesbar ist. Aussagekräftig ist auch das Stimmverhalten bei den Bürgermeisterwahlen. In den Gemeinden mit weniger als 15.000 Einwohner wurden zwei Stimmzettel separat ausgeteilt. Einen für den Gemeinderat, einen für den Bürgermeister.
Auffällig: Jene Gemeinden, wo den Bürgern keine (Aus-)Wahl blieb, weil sich nur ein Kandidat der Wahl zum Bürgermeister gestellt hatte, haben einen bemerkenswert hohen Anteil an ungültigen Stimmen zu verzeichnen. Dieser lag zwischen knapp zwanzig und über fünfzig Prozent. Ein Beispiel: In Gsies sind über die Hälfte der Stimmen, die für die Bürgermeisterwahl abgegeben wurden, ungültig. 52,9 Prozent. Knapp ein Drittel der Zettel sind weiß abgegeben worden, der Rest war aus anderen Gründen ungültig. Wie pikant diese Zahlen sind, zeigt ein Vergleich mit dem Wahlverhalten für den Gemeinderat. In Gsies sind insgesamt nur 8,9 Prozent der für den Gemeinderat abgegebenen Stimmen ungültig.
Wenig Auswahl = viel Protest
Betrachtet man die restlichen 32 Gemeinden, in denen es nur einen Bürgermeisterkandidaten gegeben hat (St. Ulrich ausgenommen), ist ein deutlicher Trend erkennbar. In sechs Gemeinden – Laurein, Lüsen, Margreid, Prettau, Schlanders und Stilfs – beträgt der Anteil der bei den Wahlen zum Bürgermeister abgegebenen ungültigen Stimmen über 40 Prozent. In Margreid kratzt der Wert mit 49,9 Prozent knapp an der 50-Prozent-Marke. Die ungültigen Stimmen bei den Wahlen zum Gemeinderatswahlen hingegen betragen in keiner der sechs Gemeinden mehr als 15,6 Prozent (Margreid).
In weiteren fünfzehn Gemeinden liegt der Anteil der ungültigen Bürgermeister-Wahlzettel zwischen 30 und 40 Prozent: Andrian, Corvara, Kastelbell-Tschars, Klausen, Kuens, Mölten, Naturns, Plaus Prags, Proveis, Schenna, St. Martin in Passeier, St. Martin in Thurn, Tscherms und Wengen. Auch hier dieselbe Leier: Ein Bürgermeisterkandidat und zahlreiche Wähler, die gegen die verarmte politische Landschaft protestieren, indem sie ungültige oder weiße Wahlzettel abgeben. Auch für den Gemeinderat wurden fleißig ungültige Stimmen abgegeben. Jedoch weit weniger als für den Bürgermeister. 6,9 Prozent waren es in Plaus, den Spitzenwert erreicht Andrian mit 18,8 Prozent.
In den restlichen zehn Gemeinden mit einem Bürgermeisteranwärter liegt der Prozentsatz der ungültigen Bürgermeister-Stimmen zwischen zwanzig und dreißig Prozent. Und zwar in Barbian, Brenner, Lajen, Martell, Mühlwald, Partschins, Ratschings, Riffian, Ritten, Rodeneck und St. Pankraz. Der Anteil der ungültigen Stimmen für den Gemeinderat schwankt indes zwischen 6,2 Prozent in Rodeneck und 17,4 Prozent in St. Pankraz.
Nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Vielfalt
Bedeutet eine größere Auswahl an Bürgermeisterkandidaten also automatisch weniger ungültige Stimmen? Man möchte es fast meinen, dass die Wähler weniger zu Protestwählern werden, wenn der Reigen der Auszuwählenden groß ist. Die Probe auf’s Exempel: In Algund traten bei den diesjährigen Gemeinderatswahlen ganze neunzehn Kandidaten an. Und doch: Der Anteil der ungültigen Stimmen beläuft sich auf 24,2 Prozent. Denselben Prozentsatz an nichtigen Bürgermeister-Stimmen gibt es auch in Gargazon. Dort war die Zahl der Kandidaten für das Amt des Ersten Bürgers mit 17 ebenfalls überdurchschnittlich hoch. Eine weitere Gemeinde mit vielen Bürgermeisterkandidaten – 12 an der Zahl – und vielen ungültigen Wahlzetteln – 21,6 Prozent – ist Neumarkt. Und dann ist da noch Lana. 11 Kandidaten und 19,2 Prozent an nichtigen Bürgermeisterstimmen.
Doch auch diese vier Gemeinden eint eines: Die Mehrzahl der zahlreichen Kandidaten stammt aus ein und derselben Partei. In Algund kamen 18 der 19 Anwärter aus der SVP. In Gargazon gehörten alle 17 Kandidaten der Volkspartei an. Ebenso in Lana: Elf von elf aus den SVP-Reihen. Auch in Neumarkt stammten 9 der 12 Kandidaten aus den Linien der Bürgerliste “Bündnis Neumarkt”.
Die Wähler wollen also anscheinend nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Vielfalt, wenn sie ihren neuen Bürgermeister wählen. Ganz schön anspruchsvoll, die Wähler? Oder woran liegt es, dass sich in so vielen Gemeinden nicht mehr Menschen gefunden haben, die sich der verantwortungsvollen Aufgabe des Ersten Bürgers stellen wollen? Diese Frage werden sich in Zukunft wohl nicht nur die 32 Ein-Mann-Komunen stellen müssen. Sondern angesichts der stetig rückläufigen Wahlbeteiligung wohl alle Partein und Listen, die in ihrer Gemeinde etwas bewegen wollen.