Wohin gehen wir?
Südtirol hat ein reichhaltiges und vielfältiges Kunst- und Kulturleben und es gibt eine Reihe von Institutionen, die es pflegen und organisieren. Zwei der wichtigsten Einrichtungen im Bereich der Kunst wechseln in diesem Jahr ihre Führung: für den 12. Mai sind die Neuwahlen im SKB angesetzt und im Herbst wird die Ausschreibung für die Neubesetzung der Stelle der Direktorin oder des Direktors im Museion folgen.
Der Wechsel der Führungsspitze wäre in beiden Fällen ein geeigneter Anlass, das eigene Selbstverständnis zu überprüfen. Der SKB und das Museion sind wichtige kulturelle Einrichtungen, sie haben denselben Gegenstand, die Kunst, und ihre Bezugsgruppen überschneiden sich. Der SKB und das Museion sollten sich zusammen tun und in die Betriebsamkeit des Südtiroler Kulturlebens eine Phase des Nachdenkens einbringen: welche Begriffe von Kunst und Kultur haben wir, und wie bestimmen wir das Verhältnis zwischen Lokalem und Globalem, damit ein fruchtbarer Austausch entstehen kann?
Der SKB hat mehr als 300 aktive Mitglieder; nicht alle, aber doch viele Kunstschaffende in den verschiedenen Sparten (bildende Kunst, Musik, Literatur, Architektur) gehören dazu. Die vielen Aktivitäten des SKB in der Organisation von Ausstellungen, von Wettbewerben mit Preisen, in der Abwicklung von Initiativen zur Förderung von Projekten und Publikationen sind für die Mitglieder sehr wertvoll. In bestimmter Hinsicht ist Kunstproduktion ein Gewerbe wie andere auch; man produziert und hofft darauf, genug Käufer für die Produkte zu finden, sodass man von seiner Arbeit ordentlich leben kann. Dies ist legitim und für den Vollzeitkünstler notwendig, und Künstler tun gewiss gut daran, auch ihre wirtschaftlichen Interessen effizient zu vertreten. In dieser Hinsicht dürften die persönlichen Vorlieben und Wertvorstellungen der Führungsspitze keine größere Rolle spielen.
Andererseits kann eine Künstlervereinigung, die Ausstellungen organisiert, die entscheidet, wer in eine Jury gewählt wird, die Preise verleiht, u. s. w. nicht nach rein sachlichen Gesichtspunkten geführt werden, denn in das Bewerten und Auswählen fließen immer auch subjektive Wertvorstellungen ein, entweder bewusst und reflektiert oder verdeckt hinter vermeintlicher Objektivität.
Für die Organisation der Tätigkeiten gibt es unterschiedliche Modelle. Nach dem einen wählen die Mitglieder zehn Leute, die den Verein ein paar Jahre lang führen sollen, und sinnvollerweise achtet dabei jeder darauf, Leute zu wählen, die der je eigenen Sichtweise nahestehen. Bei den nächsten Wahlen zeigen die Mitglieder dann, ob sie zufrieden waren.
Oder es gibt im SKB eine Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern (Musikerinnen, Literaten, Architekten), welche die Vereinigung auch als eine Plattform für das Gespräch darüber nutzen wollen, was Kunst für sie ist oder sein sollte, und darüber, wie sie ihren Platz im Kunstsystem sehen und wie sie ihn mitgestalten wollen.
Wollen Künstlerinnen und Künstler sich im Rahmen des SKB treffen, um über Ideen zu reden und zu streiten, um wichtige kunsttheoretische Debatten aufzugreifen, um ihre Wertungen zu vergleichen und gegebenenfalls neu zu justieren, um Stellungnahmen zum aktuellen Kunstgeschehen zu erarbeiten und sie manchmal auch an die Öffentlichkeit zu bringen? Wollen Künstlerinnen sich mit Kulturpolitik – und mit Macht, die natürlich auch in der Kulturpolitik eine Rolle spielt - auseinandersetzen (welche Initiativen, Institutionen, werden finanziert, wie werden Ressourcen verteilt, …)? Aber natürlich ist es nicht so, dass man solche Debatten nur im Rahmen des SKB führen könnte.
Wer auch immer der neue Präsident des SKB sein wird (ich habe nur von zwei männlichen Kandidaten gehört), einen Künstlerbund auch als Denkwerkstatt kann es nur geben, wenn deutlich mehr Leute als die in die engere Führung gewählten dabei mitmachen!
Würde man im Museion selbst und in den Gremien, welche die Neubestellung der Direktorin oder des Direktors koordinieren und damit auch eine Weichenstellung für die zukünftige Ausrichtung vorgeben, einen Dialog mit lokal verorteten Kompetenzen und Wünschen als Chance auch für die eigene Institution betrachten?
Ist es für Südtirol wichtig, eine Institution im Land zu haben, welche Kunst zeigt, die im globalen System zirkuliert; ist es wichtig, ein Museum zu haben, das im globalen Kontext präsent ist und das auch internationales Ansehen genießt? Geht es um „Dabeisein ist alles“ und „Wir sind wer“ einer kleinen Gruppe oder geht es um einen kulturellen Wert für die Allgemeinheit?
Kunstinteressierte Südtirolerinnen und Südtiroler müssen nicht weite Wege zurücklegen, um ein reiches Angebot an aktueller Kunst wahrnehmen zu können. Quantitativ ist der Beitrag, den eine kleine Struktur in Bozen dazu leisten kann, wenig relevant. Aber auch eine kleinere Struktur wie das Museion kann interessant sein, wenn darin eigene Ausstellungskonzepte erdacht werden, die Kunst auf neue und erhellende Weise interpretieren und / oder wenn es darin Projekte gibt, die KünstlerInnen und künstlerische Ansätze in den Kunstbetrieb einführen, die es neu zu entdecken und zu bewerten gilt, und ich halte es auch für richtig, dass man dabei auf hohe Qualität achten will..
Für mich als interessierten Betrachter ist eine solche Einrichtung in der Nähe besonders dann interessant, wenn sich darum herum ein lebhafter Ideenaustausch abspielt, wenn die Veranstaltungen in eine breite Auseinandersetzung mit der geistigen Situation unserer Zeit eingebettet sind. Museumspädagogik, welche die Ausstellungen begleitet, ist gut, aber sie ist naturgemäß tendenziell immer affirmativ.
Dass die nunmehr gefeierten 10 Jahre mit einer überaus heftig geführten Auseinandersetzung begonnen haben, kann sich die Institution schwerlich als ‚Verdienst‘ anrechnen; das war so nicht beabsichtigt und die Sache wurde auch nicht kompetent gemeistert. Hat der Streit um den Frosch dazu geführt, dass sich in den Jahren danach ein lebhafter intellektueller Austausch in der Kunstszene und zwischen dieser und der Gesellschaft entwickelt hätte? Ich würde mir wünschen, dass es unter Künstlern und Kunstinteressierten im Land mehr engagiertes Debattieren gäbe, mehr Fragen, mehr Kritik. Dass Wissenschaft und Philosophie die Debatten um den Gehalt und um den Wert in der Kunst besser fundieren würden. Ob rund um das Museion, im SKB oder anderswo wäre nicht so wichtig, aber das Museion als die größte Institution im Land hätte meiner Meinung nach die Aufgabe, in dieser Hinsicht mehr zu tun.
Eine kritische Rückschau (auch zusammen mit Augen von außerhalb der Institution) könnte prüfen, was in den vergangenen 10 Jahren vielleicht beliebig und überflüssig war und was wirklich einen eigenständigen und der Erinnerung würdigen Beitrag zum Kunstgeschehen darstellt.
Eine Frage ist auch die, in welchem Ausmaß auch lokal verortete Künstlerinnen und Künstler im Ausstellungsbetrieb des Museions ihren Platz erhalten sollten. Zwei Anmerkungen dazu: Ich vermisse eine überzeugende Begründung für die geringe Beachtung des Lokalen. Meint die Führung, sie könne nicht mehr Lokales einbinden, weil es nicht mehr gebe, das einen Vergleich mit den Werken aushalten würde, die man aus dem internationalen Kunstbetrieb herholt? Oder beruft sie sich darauf, ein Programm, ein Thema, … zu haben, das so dringlich und notwendig sei, dass die Frage nach dem Verhältnis zwischen lokal und global zurückstehen muss (und zufälligerweise und zum eigenen Leidwesen gibt es dazu im Lokalen wenig Interessantes)? Müsste man das so akzeptieren – gibt es wirklich kein anspruchsvolles Konzept, kein Programm, das es erlauben würde, mehr Lokales einzubinden?
Und auch diese Frage: Reflektiert man im Museion den Begriff künstlerischer Qualität in alle seinen Facetten und in seiner Relativität in ausreichendem Maße? Zuletzt noch: Dass sich die Südtiroler Künstlerschaft sehr wahrscheinlich keineswegs einig darüber ist, wer im Museion präsent sein sollte, ist kein Argument dafür, die Sache abzutun.
Aber warum überhaupt das Reden wichtig nehmen, im SKB und im Museion, wenn Kunst – und Werte allgemein - subjektiv sind?
Die Überzeugung, dass Werte subjektiv sind, steht nicht im Widerspruch dazu und macht es nicht sinnlos, sich für die eigenen Werte einzusetzen und die Verbindung mit Menschen zu suchen, die ähnliche Werte vertreten. Die Subjektivität des Wertens schließt nicht aus, dass Menschen auf der Grundlage von geteilten Bedürfnissen und Interessen und Bildungsprozessen (vielleicht auch einer geteilten menschlichen Natur?) in dem, was ihnen wichtig ist oder was ihnen gefällt, übereinstimmen können. Und das Wertesystem eines Menschen entsteht ja nicht im luftleeren Raum; wir beurteilen auch Kunst nicht in einer einmaligen Gegenüberstellung zu einem einzelnen Werk; wir sind geprägt durch unsere Anlagen und durch eine lange Reihe von Erfahrungen, wir sind beeinflusst durch Vergleiche mit dem, was wir über die Wertungen von Menschen wissen, mit denen wir im Einklang stehen oder von denen wir uns distanzieren wollen. Und wir werden nicht unbedingt die Individuen bleiben, die wir heute sind, wir können und werden manchmal unsere Werte, unseren Geschmack, … auch in verschiedene Richtungen weiterentwickeln.
Im Laufe der Geschichte hat sich manchmal so etwas wie ein Kanon, eine Übereinstimmung über den Wert bestimmter Kunstwerke herausgebildet, die (zumindest innerhalb größerer kultureller Sphären) als hervorragend empfunden und beurteilt werden. Man kann die Entstehungsgeschichten solcher Listen zur Kunst der Vergangenheit erforschen und man kann Vermutungen zu ihrer weiteren Geltung anstellen; offensichtlich ist jedenfalls das häufige Fehlen von Übereinstimmung, sobald wir uns dem aktuellen Kunstgeschehen zuwenden.
Wir müssen es zur Kenntnis nehmen, dass wir dann nicht selten ganz unterschiedliche Ansichten darüber haben, ob ein Werk, ob eine Künstlerin oder ein Künstler, ob eine künstlerische 'Position' unsere Wertschätzung oder zumindest unser ernsthaftes Interesse verdient. Wir können die Frage auch nicht zur Gänze an Experten delegieren. Ich bin der Letzte, der Expertentum gering achten würde; Experten können mir für ein angemessenes Verständnis neuer Werke notwendige Informationen geben, aber sie können nicht meine Stelle einnehmen, wenn es darum geht, zu entscheiden oder zu spüren, was für mich wichtig und von Wert ist.
Weil es eben nicht nur am Wissen liegt, wäre es eine Illusion zu erwarten, dass Menschen, die über einen annähernd gleichen Informationsstand zum aktuellen Kunstgeschehen verfügen, deswegen auch zu übereinstimmenden Wertungen kommen werden. Ob dann im Laufe längerer Zeitspannen persönliche Sichtweisen und Interessen in den Hintergrund treten und ein Konsens über den Wert mancher Werke entstehen wird – ein Kanon auch zu Werken unserer Zeit -, muss abgewartet werden; sicher ist aber, dass Werke, die gar nicht an die Öffentlichkeit kommen, keine Chance haben, am Wettbewerb um Anerkennung teilzunehmen.
Gerade die öffentlichen Kunstinstitutionen im Land sollten es zu ihren wichtigsten Aufgaben zählen, auch die langsameren Prozesse der vertiefenden Auseinandersetzung, der Urteilsbildung und einer sorgfältigen Kommunikation zu fördern. Und es sollte nicht nur eine Kritik der Kunst geben, sondern auch eine kritische Betrachtung der Kritik, des Feuilletons, der Eröffnungsreden, der ausstellungsbegleitenden Texte und Kataloge, …
Ich finde, es wäre besser, die eine oder andere Ausstellung wegzulassen und das Geld für die Finanzierung eines systematisch aufgebauten Bildungsprogrammes zu verwenden.
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