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Berlin-Salzburg. Über Jenesien.

Der Künstler Hans Winkler hat 25 Jahre nach der Entdeckung einer kuriosen Geschichte eine Installation dazu an den Ursprungsort gebracht. Eine dadaistische Odyssee.
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Foto: Literaturhaus Salzburg

Wenn es um Hütten geht, kann der international tätige (und auch in Südtirol nicht unbekannte) Künstler Hans Winkler viele Geschichten erzählen, auch solche die nach Südtirol führen. Morgen eröffnet er im Literaturhaus Salzburg eine Ausstellung zu seiner (fast) kuriosesten Hüttengeschichte, für welche er den Nachbau der sogenannten "Heartfield-Hütte" aus Berlin nach Salzburg transportieren hat lassen. Um Welche Hütte handelt es sich? Welche Rolle spielt sie im Zusammenhang mit dem Bergdorf Jenesien? Wer ist eigentlich Heartfield? Der Reihe nach.
Angefangen hat alles vor 25 Jahren. Hans Winkler – damals noch mit Stefan Micheel Teil des Künstlerduos p.t.t.red (paint the town red) – war am Brennerpass Gast bei der von Peter Kaser ins Leben gerufenen Kunstaktion niemandsland. Die beiden p.t.t.red-Künstler installierten in einer kleinen Hütte auf über 2000 Metern eine über dem Brennerpass wachende Einsiedlerbibliothek und bestückten diese mit rund 50 Büchern aus aller Welt. „Damals stieß ich im Zuge der Recherche auf den Schriftsteller Franz Held“ erinnert sich Winkler ein Vierteljahrhundert später. Franz Held? Bald nach dem literarischen Fund stellte sich heraus, dass es sich bei Franz Held nicht nur um einen sonderbaren Schriftsteller handelte, der in einem Buch einmal sogar ein Kamel den Pariser Eiffelturm erstbesteigen lässt, sondern um einen Jenesien-Liebhaber, sowie den Vater einer noch sonderbareren Familiengeschichte. Außerdem spielte eine rätselhafte Hütte bei Salzburg in der Recherche eine nicht unwichtige Rolle. Im übertragenen Sinn steht diese nun als Kunst-Denkmal im Literaturhaus Salzburg.
 


Zehn Jahre nach Hans Winklers Hüttengeschichte am Brenner, stellte der Künstler (seit 2001 nicht mehr mit p.t.t.red aktiv) im Rahmen einer Ausstellung in Berlin erstmals den Nachbau einer kleinen Hütte aus. Der Künstler John Heartfield (1891-1968) hatte das Original dazu (zu Lebzeiten) auf seinem Grundstück in Waldsieversdorf bei Berlin als Spielhütte für seine Kinder errichtet. „Diese Hütte war, als ich sie damals zum ersten Mal gesehen habe, in einem sehr miserablen Zustand“, erinnert sich Winkler, und machte sich so vor 15 Jahren an die Umsetzung eines Projektes mit dem Namen Held-Saga für die Berliner Akademie der Künste. Erstmals brachte Winkler über den Hüttennachbau und der zeitgleich erschienenen Publikation neue Zusammenhänge der Familiengeschichte rund um den bekannten Dadaisten John Heartfield ans Tageslicht.
 


John ist gross heißt es ab morgen in der Salzburger Ausstellung. Wer aber war John Heartfield? Heartfield wurde 1891 als Hellmuth Franz Joseph Stolzenberg in Schmargendorf bei Berlin geboren. Aus Protest gegen den deutschen Nationalismus nannte er sich ab 1916 John Heartfield. Seine Eltern waren Franz Herzfeld – bekannt als Franz Held, anarchistischer Autor von Dramen, Lyrik und Prosa – und Alice Herzfeld, geborene Stolzenberg. Heartfields Vater wurde 1895 vom Amtsgericht München wegen Gotteslästerung angeklagt und floh mit Frau und Kindern in die Schweiz. Nach der Geburt von Heartfields Bruder Wieland (1896) wurde die Familie aus der Schweiz ausgewiesen und ging nach Österreich, wo sie in einer Almhütte auf dem Gaisberg bei Aigen südlich von Salzburg einige Jahre lebte. Im Sommer 1899 verschwanden die Eltern spurlos und ließen die inzwischen vier Kinder in der Berghütte zurück. Erst nach Tagen wurden sie dort vom Aigener Bürgermeister Ignaz Varnschein aufgefunden, der zunächst die Ziehvaterschaft übernahm. Der Verbleib der Eltern blieb lange Zeit unbekannt, die genauen Gründe liegen bis heute im Dunkeln. Gesichert ist: Im Februar 1900 griff man Franz Held „von Jenesien kommend in Gries bei Bozen“ auf. Der Schriftsteller wurde festgehalten und wegen seines Verhaltens in eine Anstalt gebracht. 1908 verstarb er in einer Vorarlberger Nervenheilanstalt. „Es war eine komplette Überraschung, hier in Jenesien zu sein und unsere Familiengeschichte zu hören, die uns in vielen Teilen unbekannt war“, erinnerte sich der Niederländer Bob Sondermeijer, Urenkel von Franz Held und Enkel von John Heartfield, anlässlich der von Winkler mitkuratierten Kunstaktion für den Vordadaisten Franz Held in den Räumen der Galerie Lungomare im Jahr 2012.
 


Geistesgestörter Schriftsteller in Bozen aufgegriffen? Dabei wurde 1898, also nur ein Jahr vor dem Verschwinden von Franz Held in einer Bozner Zeitung noch folgendes berichtet: „Sehr beliebt hat sich ein stimmungsvolles und ungemein fesselnd geschriebenes Feuilleton gemacht, welcher der vor mehreren Jahren als Curgast in Gries gewesene Schriftsteller Franz Held in Aigen bei Salzburg veröffentlichte [...]“. Und weiter: „Außer einer begeisterten Schilderung der Schönheiten der Wassermauer-Promenade enthält das Feuilleton farbenglühende Beschreibungen der Stadt Bozen und des Curorts Gries.“
 


Und der junge, elternlose Heartfield? In der streng katholischen Gegend um Salzburg galten Protestanten – Heartfield war protestantisch getauft – oft noch als Ketzer. Sein Bruder, der Verleger und Schriftsteller Wieland Herzfelde erzählte dazu im Buch Immergrün: merkwürdige Erlebnisse und Erfahrungen eines fröhlichen Waisenknaben: „Sie sagten sich, mein Bruder verdiene Mitleid. Daß er protestantisch war, erschien ihnen wie eine Art angeborener Fehler, für den er nichts könne. Da aber Gutes von einem Ketzer naturgemäß nicht zu erwarten war, hielten sie besondere Strenge ihm gegenüber für geboten. Wann immer wir Jüngeren etwas anstellten, Helmut, als der Ältere, wurde dafür zur Verantwortung gezogen. Ihn traf die Strafe.“  
 


Im Alter von 16 Jahren malte Heartfield das Ölgemälde Die Hütte im Wald. Das Bild blieb in der Heartfield-Forschung lange unbeachtet, erinnert aber ohne Zweifel an seine Salzburger Zeit im Wald, auf dem Gaisberg.
Für ein Projekt zum 150. Geburtstag von Franz Held (1852-1908) hätte Winklers Hütte 2012 von Berlin über Jenesien und Bozen nach Salzburg gelangen sollen. Doch das Interesse an der Hüttengeschichte des bekannten Dada-Künstlers hielt sich damals in Grenzen. Heute ist das anders, denn nun ist der Hüttennachbau an den Heartfield`schen Schicksalsort zurückgekehrt. Zumindest in nächster Nähe. In der Ausstellung im Salzburger Literaturhaus – eröffnet wird am morgigen 11. Mai, unter anderem mit dem Schriftsteller und Franz Held-Nachlass-Experten Kurt Lanthaler –, gibt es neben dem Nachbau der Hütte, ausgewählte Fotografien, Plakate, Collagen, Filme und Bücher zu sehen. Die „Heartfield-Hütte“ wird nach Abbau im Herbst 2023 in den Bestand des Salzburger Museums der Moderne übergehen. Gut (Hütten)-Ding braucht eben Weile.
Apropos Weile. Hans Winkler plant am 30. Mai, zum Geburtstag von Franz Held, eine 24-Stunden-Aktion am Gaisberg.