Novarella
Foto: upi
Society | Frauenmord

Der Frauenmord von Novellara

Die Ermordung einer jungen Pakistanerin durch ihre männlichen Verwandten sorgt italienweit für Empörung. Ein Lokalaugenschein in Novellara
Mit besonderen Attraktionen kann Novellara nicht aufwarten. Mit einer Ausnahme: in der 13.000 Einwohner-Gemeinde 20 Kilometer nördlich von Reggio Emilia steht der zweitgrösste Sikh-Tempel Europas. Freilich verehrt die junge Sikh-Generation Italiens Fussballer inniger als ihren Religionsstifter Guru Nahak und schätzt die Adidas-Kluft mehr als die elterlichen Kniehosen. Nach den Gerüchen, die aus den Fenstern steigen, lässt sich auf deren Bewohner schliessen: das Frittieröl der Chinesen mischt sich mit dem Knoblauch der Pakistaner, dem Curry der Inder und den Tortellini al pomodoro der Einheimischen. Das Urdu der Pakistaner wiederum mischt sich mit dem Pundjabi der Sikhs und dem Mandarin der Chinesen. "Wir sind eine friedliche Gemeinde", versichert die Bürgermeisterin Elena Carletti.
Seit einigen Tagen gilt diese Feststellung nicht mehr. Denn Novellara war letzthin Schauplatz eines Mordes, der viele Italiener erschüttert hat. Gleichzeitig hat er bewiesen, dass die Idylle vom friedlichen Zusammenleben der Ethnien und Religionen auch erschreckende Schattenseiten aufweist.
 
 
Das in Novellara aufgewachsene pakistanische Mädchen Saman Abbas ist dort von seinem Onkel erwürgt worden - mit dem Einverständnis der Eltern und unter Mitwirkung weiterer männlicher Verwandter.  Die wollten die Freundschaft der 18-jährigen mit einem italienischen Jugendlichen auf keinen Fall dulden - und schon gar nicht die Klage des Mädchens bei den centri sociali der Gemeinde über die Tatsache, dass der Vater ihr die Identitätskarte abgenommen habe, obwohl sie volljährig sei.
Das Urdu der Pakistaner wiederum mischt sich mit dem Pundjabi der Sikhs und dem Mandarin der Chinesen.
Der Vater rief seinen Cousin zu Hilfe, der das Mädchen kurzerhand erdrosselte und den Leichnam in den weitläufigen Äckern verscharrte. Tags darauf flogen die Eltern mit ihrem Sohn von Mailand nach Pakistan. Der Cousin setzte sich nach Frankreich ab, wo er verhaftet wurde, als er mit einem Flixbus nach Barcelona fliehen wollte. Er wurde am Mittwoch an die italienische Justiz ausgeliefert. Er soll ebenfalls an der Beseitigung der Leiche des Mädchens beteiligt gewesen sein.
Die Suche der Polizei nach der Leiche verlief bisher ergebnislos. Die Aufnahmen einer Überwachungskamera zeigen beide Täter bei ihrer Rückkehr. Dabei hält der Vater den Rucksack des Mädchens in der Hand.
 
 
Die Unione delle comunità islamiche hat prompt reagiert und eine Fatwa gegen Zwangsehen angekündigt: "Non solo è da condannare, da combattere, da contrastare" - so die Vorsitzende Yassine Lafram. "Non vengano condannati solo i genitori, ma chiunque si renda complice di questi comportamenti, che non hanno nulla a che fare con la religione, ma appartengono a residui culturali retrogradi." Die aus Marokko stammende Vizepräsidentin Nadia Bouzekri : " Non mi sento di chiamare fondamentalista la famiglia di Saman. Qui la religione non centra. Siamo nell´ambito del femminicidio, molto diffuso anche in Italia."
Der Pfarrer von Novellara, Don Giordano Goccini: "Quello che è successo a Saman è il risultato di una cultura tribale, patriarcale e familista. Ma puntare il dito contro la comunità pakistana adesso è la cosa peggiore che possiamo fare. Essere pakistani oggi qui, significa portare uno stigma."
Marwa Mahmoud, junge PD-Gemeinderätin von Reggio Emilia hat ihre Partei für das Wegschauen im Mordfall Abbas scharf kritisiert, was der Single-Mutter zahlreiche Einladungen in TV-Studios einbrachte. Ihre These: "La vicenda di Saman Abbas a mio avviso dovremmo affrontarla e discuterne principalmente come violenza sulle donne, come una terribile violazione dei diritti umani. Parlare di questo crimine associandolo unicamente all’origine, alla nazionalità e alla fede della famiglia sarebbe un gravissimo errore. Una semplificazione che finirebbe per etnicizzare un reato che è quello dei matrimoni forzati”. Die 28-jährige, aus Tunesien stammende Anwältin Ihsane Ait Yahia bei einem Flashmob in Reggio Emilia "Matrimini combinati ? Ma perchè, voi non li fate in TV a "Uomini e Donne" ? E l´Italia forse non ha un numero altissimo di femminicidi ?"
Parlare di questo crimine associandolo unicamente all’origine, alla nazionalità e alla fede della famiglia sarebbe un gravissimo errore.
Auch das Parlament wird sich demnächst mit dem Mord von Novellara befassen. "Cercheremo di accertare dove e come ha fallito la rete di protezione", so Valeria Valente, Präsidentin der Commissione sul femminicidio e la violenza del genere im Senat. "Sono sgomenta per il fatto che una giovane donna possa rischiare la fine che temiamo, soprattutto dopo aver chiesto ripetutamente aiuto alle istituzioni del nostro paese."
In dem 80 Hektar grossen Landgut wird indessen die Suche nach der Leiche des Mädchens fortgesetzt.