Sie sind ja ein Fan!
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Dem Prager Traditionsverein Viktoria Žižkov verhalf Karel Poláček mit seinem Roman Muži v ofsajdu zum Einzug in die Literatur. Auf Deutsch müsste der Titel Männer im Abseits lauten. Eine deutsche Übersetzung gibt es tatsächlich. Die 1975 im Rosenheimer Verlagshaus erschienene Ausgabe heißt, grob verkürzend, Abseits. Das mochte der in Göttingen ansässige Mitteldeutsche Verlag nicht auf sich sitzen lassen. Fast ein halbes Jahrhundert später brachte er das Buch unter seinem kompletten Titel heraus. Leider verzichtete man – aus Kostengründen? – auf eine Neuübersetzung. Das rächt sich.
Ein kurzer Blick auf die Romanhandlung: Der noch jugendliche Protagonist Eman(uel) Habásko, Hardcoreanhänger aus dem Stadtteil Žižkov und demzufolge viktorianischen Bekenntnisses, muss sich für ein Auswärtsspiel seines Vereins zur anderen Moldauseite aufmachen. Auf dem Letnáhügel ist die Slavia beheimatet. Der Tag beginnt nicht gut für Eman. Den Eintritt kann der Arbeitslose, die beginnende Weltwirtschaftskrise lässt grüßen, sich nicht leisten. Über einen Baum in Zaunnähe klettert er ins Stadion, landet aber inmitten von Slavia-Anhängern.
Eman sei ein Fan! Schade, dass dieses Schimpfwort nicht überdauert hat und der so genannte Fan inzwischen salonfähig geworden ist.
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Dies soll sich später als Glücksfall erweisen. Doch zunächst gerät Eman mit einem der Slavisten, Richard Načeradec, in Streit. Ein Wort gibt das andere, bis Načeradec seinem Antipoden die bösartigste unter Prager Fußballliebhabern kursierende Unterstellung an den Kopf wirft: Eman sei ein Fan! Schade, dass dieses Schimpfwort nicht überdauert hat und der so genannte Fan inzwischen salonfähig geworden ist. Kann man diesen Schritt, auch angesichts der bis heute auf und neben den Plätzen grassierenden Omnipräsenz grölender, von aber auch wirklich nichts Ahnung Habender nicht umgehend wieder rückgängig machen?
Poláček jedenfalls unterscheidet in seinem Roman, den Sachverhalt komplett erfassend, zwischen dem fanouš und dem přivrženec: dem blind folgenden, dummes Zeug daherredenden Fan und dem fachkundigen, um Objektivität bemühten Anhänger. Letzterem wird der tschechische Untertitel, Ze života klubových přivrženců (Aus dem Leben der Klubanhänger), explizit gerecht. In der deutschen Übersetzung lautet er dagegen: Aus dem Leben von Fußball-Fans[!]. Wie kann man nur solch einen Scheiß übersetzen? Die deutsche Version ist damit komplett verhunzt – und die Übersetzerin nicht wert, dass ihr Name hier erwähnt wird.
Bei all dem Fußball ist in Muži v ofsajdu auch Platz für die Liebe.
Zurück zum Roman: Am Ende werden Načeradec und Eman ziemlich beste Freunde. Der Inhaber eines Gummiwarenkonfektionsgeschäfts in der Prager Hybernskágasse, nahe am Pulvertor, stellt Eman sogar als Verkäufer ein. Ihr wahres Bekenntnis legen beide natürlich niemals ab. Über den Zweitglauben Emans erfährt der Leser nichts, bei Načeradec ist es der jüdische. Aber dies scheint, zumindest in der Tschechoslowakei der Zwischenkriegszeit, noch keine Rolle zu spielen. Feindbilder existieren schon, im Fall von Načeradec und Eman ist es die Sparta. Der Roman, das geht aus Erwähnungen realer Ereignisse hervor, ist 1930 angesiedelt, jenem Jahr, als die Slavia verlustpunktfrei Meister wurde und der Viktoria eine bittere 8:1-Schlappe zufügte.
Bei all dem Fußball ist in Muži v ofsajdu auch Platz für die Liebe. In Emans Fall verkörpert sie eine Brünette mit Bubikopf. Endgültig erobert die aufgeweckte Emilka Šefelínová Emans Herz während eines Gastspiels der Viktoria bei den klokany. Hinter den Känguruhs steckt das Team der Bohemians, die seit einer Australienreise das Beuteltier im Wappen führen und den entsprechenden Spitznamen tragen. Als ein Herr im Publikum, offensichtlich auf Seiten der Gastgeber, ein Foul eines Žižkover gesehen haben will, weist Emilka ihn scharf zurecht. Der Getadelte keilt zurück, schließlich wird er ausfallend: „Ich bin kein Fan, aber sie sind einer!“ Die schlimmste aller Beleidigungen lässt eine erboste Emilka mit der rhetorischen Frage zurück, warum ausgerechnet sie, die anerkanntermaßen zu höchster Objektivität fähig sei, ein Fan sein sollte. Der Herr lenkt ein, und auch Eman muss die Frage nicht beantworten, denn die Freundin kann, auch was den Fußball angeht, inzwischen sehr gut für sich selber sprechen.Ein weiterer Prager Verein, der DFC (Deutscher Fußball-Club), kommt bei Poláček ebenfalls zu Ehren. Einer seiner größten Anhänger ist ein Herr Katz aus der Kaprovagasse, gleich beim Altstädter Ring. „Wenn der DFC gewann“, heißt es im Roman, „kaufte er vor lauter Freude allen Kindern im Park Brezeln.“ Es gab auch andere Sonntage, „wenn der Klub verlor. Da stellte er sich mit dem Gesicht zur Planke, sagte Kaddisch, das Gebet für die Verstorbenen, auf und ging dann traurig nach Hause.“
Endstation sollte das Vernichtungslager Auschwitz sein.
Poláčeks Protagonisten stammen aus allen möglichen Gesellschaftsschichten und Ethnien und spiegeln die kulturelle Vielfalt der damaligen Prager Gesellschaft. Nach dem Münchner Abkommen 1938 und der anschließenden Erledigung der ‚Rest-Tschechei‘ durch die Deutschen änderte sich das Leben für jüdische Bürger wie Poláček grundsätzlich; ganz unabhängig davon, wie ihre Einstellung zum Glauben war. Letzte Lebensstation des Schriftstellers wurde Terezín, die nach Maria Theresia benannte Festungsstadt nördlich von Prag. In den fünfzehn Monaten, die er im ersten Konzentrationslager der Deutschen auf böhmischem Boden verbrachte, magerte Poláček immer mehr ab. Am 19. Oktober 1944 verließ er das Ghetto als körperliches Wrack. Endstation sollte das Vernichtungslager Auschwitz sein. Drei Monate später, kurz vor dessen Auflösung, wurde er auf einen Todesmarsch nach Oberschlesien geschickt.
Bis dahin hatte Poláček wider Erwarten überlebt. Davongekommen ist er nicht. Poláček starb vermutlich am 21. Januar 1945. Die genauen Umstände seines Todes sind ebenso ungeklärt wie der Verbleib der sterblichen Überreste. Wahrscheinlich wurde Poláček von einem seiner Bewacher erschossen und die Leiche in einem namenlosen Massengrab verscharrt.
An Poláček erinnern gleich zwei Denkmäler in seiner ostböhmischen Geburtsstadt Rychnov nad Kněžnou. In Erinnerung bleiben und weiter gepflegt werden sollte auch seine sachkundige Begriffsdifferenzierung – und der Fan in Sprache und Sportberichterstattung künftig nur noch Schimpfwort sein!More articles on this topic
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