Society | Chemnitz

Der Wille zum Widerstand ist hier

In Europa werden rechte Ideologien zunehmend und rasant wieder zu einem weitverbreitetem Alltagsproblem. Doch der mehrheitliche Wille zum Widerstand ist hier.
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Foto: Alex Favalli

Wer in solch einer zugespitzten Zeit, die seit Jahrzehnten nicht mehr so angespannt war, glaubt, man könne den massiv ansteigenden Rechtsruck in Deutschland und Europa der letzten Jahre verharmlosen oder gar befürworten, dürfte Beweis dafür sein, wie unser Bildungssystem und Medienkomplex versagt haben. Die Geschehnisse von Chemnitz, wo Rechtsextremisten Menschen mit Migrationshintergrund und Presse angriffen, sind erschütternd. Allerdings ist Chemnitz nicht das Problem, Sachsen auch nicht, genau so wenig wie Ostdeutschland. Solche Ereignisse sind viel mehr die Symptome einer konstant ansteigenden Sympathie und Toleranz gegenüber der rechten Ideologie. Grund dafür dürften hauptsächlich zwei Faktoren sein: Zum ersten ist der politische Erfolg der Rechten immer auf ein Scheitern der Linken zurückzuführen. Zudem hilft das Schweigen der christlichen Mitte in Deutschland nicht wirklich zur Lösung des Problems. Der zweite Faktor ist eine direkte Konsequenz des Ersten, und zwar der immer größer werdende Mangel an Wohlstand, dessen unilaterale Verteilung und eine regierende Politik, die das nicht zu kümmern scheint und somit keine Politik für die Menschen macht. Ganz im Gegenteil spricht diese von Zahlen, die den wirtschaftlichen Wohlstand bestätigen sollten. Diese Zahlen stehen allerdings nur zu einem kleinen Teil im Verhältnis zu einer Realität eines arbeitslosen Fabrikarbeiter aus (z.B.) Sachsen, obwohl die Arbeitslosenquote in den letzten Jahren einen historischen Tiefpunkt erreicht hat (5,9%).

Die Bilder von Chemnitz haben jedoch für sehr schnelle Reaktionen und Widerstand gesorgt. Am Donnerstag, 30. August, also knapp 4 Tage nach dem Zusammentreffen von rechten Demonstranten, welche den Tod des Deutschen mit kubanischen Wurzeln Daniel Hillig (35) als Folge einer Messerstecherei von Seiten eines Syrers und eines Irakers instrumentalisierten (die AfD rief am selben Tag auf ihrer Facebook-Seite zum Protest auf), um rechte Parolen durch die Karl-Marx-Stadt zu grölen, kamen in Berlin am Hermannplatz 8.000 Demonstranten zusammen, um gegen Nazis in Deutschland zu demonstrieren. Die Veranstalter der Demo, die SAV (Sozialistische Alternative) hatte die Veranstaltung sehr spontan auf die Beine gestellt und mit 1.000-2.000 Demonstranten gerechnet. Dies dürfte ein klares Zeichen sein, dass der Wille zum Widerstand präsent ist. Auch dass am #wirsindmehr Event in Chemnitz am 03. September 65.000 Menschen anwesend waren, ist nennenswert. Allerdings fiel bei beiden Veranstaltung etwas auf, was im Grunde keine Neuigkeit sein dürfte. In den verschiedenen Reden sind Aussagen wie „Kampf gegen Rechts“ gefallen, welche die Wut vieler Aktivisten repräsentieren und zeigen, dass man noch lange nicht resigniert ist. Ob der Begriff „Kampf“ das treffende Frame für effizienten Widerstand ist, sowie das Argument „mit Nazis muss man nicht reden“ und die dazukommende Intelligenzüberheblichkeit, um von oben nach unten zu urteilen, ist fragwürdig und kritisch zu sehen. Genau so fragwürdig ist auch, ob hedonistische Techno-Raves, wie es sie dieses Jahr in Berlin als Gegendemonstration zu einer AfD Demo gab, oder eben ein Tote Hosen Konzert, die beste Art von Widerstand sei. Jedoch bleibt die Frage, was nach der Wut und dem Antifaschismus kommen sollte, unbeantwortet. Die Linke hat es von den hohen Ämtern bis zu den Menschen auf der Straße nicht geschafft, sich einheitlich zu organisieren und realistische Alternativen vorzuschlagen. Sahra Wagenknechts humanistische Politik mag zwar kurzfristig nach einer guten und vor allem richtigen Idee klingen, aber auf langfristiger Perspektive auch keine Lösung. Zudem war in Berlin Wut gegenüber der großen Koalition, vor allem der SPD zu spüren, welche sich als sozialdemokratische Partei über die Jahre selbst verraten hat, indem sie Stück für Stück beim Spiel der aktuellen Migrations- und Sozialpolitik mitgespielt hat. Genau diese Politik dürfte eine Erklärung dafür sein, wieso die SPD in einem historischem Tiefpunkt liegt und die AfD dementsprechend konstant mehr Prozente dazu gewinnt.

Die Situation in Deutschland ist zusammengefasst also nicht vielversprechend, vor allem wenn man einen Blick in die nahe Zukunft der Post-Merkel'schen Zeit wirft. Auf einer Seite gibt es eine Linke, die zwar humanitäre, in erster Linie an die Menschen gerichtete Politik betreibt, jedoch viel zu wenig radikal ist, unorganisiert und das gängige System aushaltbar machen will. Es wäre vielleicht doch an der Zeit, den ganzen Spielautomaten auszutauschen, anstatt ständig irgendwelche Schrauben zu drehen, die zu wackeln scheinen. Auf der anderen Seite gibt es eine Rechte, die auf keinen Fall unterschätzt werden darf, da sie effektiv arbeitet, sich organisiert und mittlerweile verwurzelte Strukturen und Netzwerke in der ganzen Bundesrepublik und darüber hinaus hat. In der Mitte hingegen, hat man eine Koalition, die selbst nicht recht weiß, wohin es gehen soll und deshalb lieber alles so beibehaltet wie es ist und die Bundeswehr weiterhin aufrüstet. Die Politik der GroKo lässt sich am besten mit Söders Projekt beschreiben: Seitdem an der süddeutschen Grenze zu Österreich 500 Polizisten stationiert sind, wurde genau eine unerlaubt eingereiste Person festgehalten.Wenn man sich die Zahlen zur Hasskriminalität der letzten Jahre anschaut, gibt es keinen Grund sich entspannt zurückzulehnen, denn 2017 kamen 821 von 985 Fremdenfeindlichkeitsverbrechen von Rechten. Spätestens seit dem Ende des NSU- Prozesses stehen weiterhin sehr viele Fragen offen. Wie konnte es sein, dass die Chemnitzer Polizei nur 600 Polizisten anstellte, obwohl sie am Vortag über eine geschätzte Anzahl von rechten Demonstranten informiert wurde und wusste, dass im sächsischen Bereich ein Rechtsrockfestival am selben Wochenende abgesagt wurde und es daher absehbar war, dass die Besucher dieses Festivals in Chemnitz ankommen würden? Natürlich ist bekannt, dass die sächsische Polizei mit ihren Möglichkeiten überfordert ist, aber trotzdem steht die Polizeianwesenheit bei rechten und linken Demonstrationen in keinem Verhältnis. Aber natürlich kommt hier als Folge die Frage auf, ob die Polizei und somit der Staatsapparat teilweise Exekutor des rechten Netzwerkes sei. Man muss kein Politikwissenschaftler sein, um an diesen Verdacht zu kommen. NSU, der LKA-Mann Maik G. aus Dresden und die niedrige Polizeianwesenheit bei Naziaufmärschen (im Vergleich zur Polizeipräsenz bei antikapitalistischen Protesten, z.B. G20) dürften diese Frage ziemlich rasch an die Oberfläche des dreckigen Ozeans bringen. Selbst zum instrumentalisierten Mord Daniel Hillig's gibt es nicht genügend Informationen, um irgendwelche Feststellungen zu machen und es muss nicht erwähnt werden, dass Messerstiche auf keinen Fall durch humanistisches Gerede verharmlost werden sollten, denn Töten ist nicht menschlich, egal in welchem Kontext. Man darf aber nicht vergessen, dass Menschen, die vor Krieg flüchten, oft tatsächlich an einem Kriegstrauma leiden, genauso wie unsere Großeltern damals im 2. Weltkrieg. Der Kreis der Ironie schließt sich also, wenn man die Verbindung von Bundeswehr bzw. NATO - Einsätzen als Ursache von Flucht erkennen kann. Der Mensch erntet schließlich was er säht.

Viele Fragen stehen offen, wenig Antworten stehen uns zur Verfügung, aber wer jetzt nicht aktiv wird und somit im Alltag bei Gesprächen zum Thema schweigt, wird schon sehr bald merken, dass Chemnitz in Bezug auf die europäische Situation ein Kindergeburtstag war. Aktivist ist wer aktiv ist. Ein mehrheitlicher Wille zum Widerstand, der uns alle auf eine bessere Zukunft hoffen lässt, ist da.