Gemeinsam da statt einsam sein

Am gestrigen Donnerstag hat im Bozner Pastoralzentrum die Tagung des Netzwerks für Suizidprävention stattgefunden. Am Welttag der Suizidprävention, der am 10. September begangen wird, konnte eine positive Feststellung gemacht werden: “Die Suizide in Südtirol werden glücklicherweise wieder seltener”, berichtet Roger Pycha, der gemeinsam mit Sabine Cagol im Südtiroler Ableger der European Alliance Against Depression (EAAD, Europäische Allianz gegen Depression) tätig ist. Zugleich wurde ein Projekt der Zusammenarbeit zwischen Journalisten und EEAD lanciert.
Der Südtiroler Weg
Anfang Juni hatte sich die größte Häufung von Suiziden in Südtirol seit Beobachtung dieses Phänomens ergeben. “In 7 Tagen beendeten 6 Menschen ihr Leben”, so Pycha. Die Vermutung der Experten der Europäischen Allianz gegen Depression und des Hilfsnetzwerks PSYHELP Covid 19 war, dass diese tragische Entwicklung unmittelbar von der Coronakrise beeinflusst wäre.
Pycha führt aus: “Im Verlauf der Krise haben sich Depressionserfahrungen in Italien und Österreich verdreifacht, wie verschiedene Studien belegen. Mehr und schwerere Depressionen bringen höhere Suizidgefahr mit sich, denn 40 bis 70 Prozent aller Suizide sind auf die Krankheit Depression zurückzuführen. In diesem Sinne war eine Häufung von Selbsttötungen tatsächlich zu erwarten, und die Reaktion darauf sofort möglich. Die 15 öffentlichen Dienste und 20 privaten Organisationen, die am Netzwerk Psyhelp beteiligt sind, wurden umgehend informiert und gebeten, ihre Hilfeleistung noch sichtbarer anzubieten und sich in der Krise noch aktiver um bisher Betreute zu kümmern.”
Selbstverständlich bleibe in Südtirol noch viel zu tun, betonen Pycha und Cagol: Die Erreichbarkeit gefährlicher Orte im Land sei mit seinen vielen Brücken und Felsen hoch. “Ein Geländer wird psychologisch erst als Hindernis wahrgenommen, wenn es 1,3 Meter hoch ist. Jeder Meter zusätzliche Höhe verringert die Suizidhäufigkeit dort um 50 Prozent und entschärft so genannte ‘hot spots’ oder riskante Stellen. Netze unter Brücken zu spannen macht verzweifelte Versuche dort deutlich seltener, wie die Schweizer Brückenstudie belegt. Am meisten helfen natürlich menschliche Patrouillen, aber auch installierte Plakate mit Hilfsnummern oder Telefone verringern das Risiko.”
Nicht vergessen werden dürften Hinterbliebene, erinnern die beiden Fachleute. “Sie benötigen Verständnis in ihrer ohnmächtigen Trauer, Ansprechpartner, Anlaufstellen, vor allem aber ein Klima, in dem über Schicksalsschläge offen gesprochen werden darf und in dem Trost fast zur Selbstverständlichkeit wird, nicht zur Ausnahme.”
Die Rolle der Medien
Bereits 2018 hat die EAAD mit den wichtigsten Medien Südtirols den Pakt “Media help survive” geschlossen. Dieser sieht genaue Hinweise für hilfreiche, vor weiteren Suiziden schützende Berichterstattung vor und wurde auch heuer aktiviert.
Unter anderem beinhaltet dieser Pakt die Veröffentlichung von Anlaufstellen, an denen man rund um die Uhr Hilfe findet. Davon gibt es in Südtirol verschiedene: die Notrufnummer 112, der hausärztliche Bereitschaftsdienst und der psychiatrische Bereitschaftsdienst an den Krankenhäusern Bozen, Meran, Brixen und Bruneck sind zu jedem Zeitpunkt aktivierbar, wenn es um Verhütung von Suiziden geht.
Im Vorfeld sind auch die Telefonseelsorge, telefono amico und young and direct hilfreich, wenn von Krisen erschütterte Personen Gesprächsbedarf haben und Handlungsanweisungen brauchen. “Es ist wohl nicht zuletzt auf die gezielte und gemeinsame Intervention von klinischen Fachleuten und sensiblen Journalisten zurückzuführen, dass die tödliche Häufung unmittelbar danach beendet wurde”, meint Roger Pycha.
Die fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Experten der Behandlung und Experten der Information soll jedenfalls fortgesetzt werden. Heuer wollen Journalistenkammer und Europäische Allianz gegen Depression das Leitthema “Angst” am 1. Oktober, dem Europäischen Tag der Depression, vertiefen. “Es geht dabei um Angst in den Medien und Angst vor den Medien, aber auch um das sprunghafte Anwachsen von Angststörungen in der Coronakrise. Es geht darum, aus Schwierigkeiten möglichst rasch zu lernen. Das zeichnet präventiven Journalismus aus”, schließt Pycha.
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