Culture | Slam '23
Tabus in die Tonne
Foto: Jonas Eisenstecken/SAAV via Facebook
Bei der Landesmeister:innenschaft (in diesem Jahr erstmals offiziell unter geändert-gegendertem Namen) am Samstag Abend war so einiges am Darum-Herum anders. Erstmals trug man die Veranstaltung auf der Studiobühne des Stadttheaters aus und fand dabei die 214 Sitzplätze im Saal voll besetzt. Ob es nun die veränderte Bühnensituation, der Finalcharakter des Abends war oder ob die vielfach jungen Slammer:innen eine andere Beziehung zum Auftritt haben, auffällig war jedenfalls schon mal, dass sich viele direkt mit Hoch- oder Sprecherdeutsch ans Mikrophon stellten. Mehrheitlich wurde neben den Texten auch ein hoher Stellenwert auf die Performance gelegt, höher als bei vergangenen Ausgaben. Man hatte das Gefühl, dass sich die Slamszene in Südtirol ein Stück weit professionalisiert.
Auch drumherum gestaltete man einen Abend mit hohem Show-Faktor, es sollte durchwegs unterhaltsam werden, was gelang. Angefangen bei den beiden einleitenden humoristischen Musikeinlagen am Anfang und nach der Pause von Roberto Tubaro (Klavier und Gesang) und Marco Pisoni (Saxophon), dem Featuring Poet (ehemals „Opferlamm“) Simone Savogin mit zwei ausgesprochen starken Texten, der gewohnt souveränen Moderation von Lene Morgenstern und einer Überraschung in Videoform.
Dass sich Landeshauptmann Arno Kompatscher für einige Sympathiepunkte im Saal (die gab es hörbar) vor der Landtagswahl bereit erklärte die Spielregeln der Slammeisterschaft zu erklären war eine recht kreative Lösung für ein Moderationsproblem das wohl so alt ist wie das Format Slam: Es sitzen immer Personen im Publikum, denen die Regeln kurz und knapp erklärt werden müssen, für Stammgäste ist es dann meist die ewig-gleiche Litanei. Die Erklärung des Arno (der bei vergangenen Ausgaben ab und an auch im Publikum saß) war fürs Publikum jedenfalls in der Form neu. Einen Präzedenzfall oder ein Vorbild dafür gab es aber: Beim „Slam 22“, der 26. Meisterschaft für den gesamten deutschen Sprachraum, welche im November über die Wiener Burgtheater-Bühne ging, war es statt einem Arno ein Sasha der aufklären sollte.
Zehn Auftritte in Runde eins, eine Pause, zwei Auftritte außer Konkurrenz und drei der besten drei später stand dann die frisch gekürte „Jannik Sinner der Worte“ (Zitat Lene) auf der Bühne. Es war der erste „Grand Slam“-Titel der 20 Jahre jungen Hannah Tonner, der wir von Herzen zu ihrem Sieg gratulieren dürfen.
Gewonnen hat sie mit einem Text der Suizidgedanken durch alle Gesellschafts- und Altersschichten thematisierte zum Auftakt, sowie einem Text über den gesellschaftlichen Druck einmal Mutter zu werden in der „Finalissima“ Applaus gab es für alle Teilnehmer:innen, für Mut, starke Texte und Auftritte, sowie für eine gelungene Landesmeister:innenschaft in neuem Umfeld. Tonner haben wir nach dem Slam und vor der Abschlussfeier des Abends für einige Fragen abgefangen.
Salto.bz: Frau Tonner, Sie sind heute mit zwei Texten aufgetreten vor welchen Sie in Runde 1 eine Trigger-Warnung ausgesprochen haben und in Runde 2 darum gebeten haben nicht missverstanden zu werden. Bei beiden könnte man von einem „heiklen“ Thema sprechen. Gibt es jetzt noch Tabus für Sie auf der Slambühne oder können Sie jetzt über alles sprechen?
Hannah Tonner: Ich glaube Tabus gibt es auf verschiedenen Ebenen. Einmal auf der persönlichen Ebene, um überhaupt über etwas zu reden, auf der nächsten Ebene stellt sich die Frage, ist ein Thema für das Publikum verkraftbar und nochmal eine Ebene ist, ob es überhaupt eine Lösung in der Gesellschaft gibt oder man einfach zu viel aufwühlt mit einem Text. Ich finde ganz allgemein Kommunikation wahnsinnig wichtig und würde Tabus gerne streichen. Wenn wir Probleme haben, ist es am besten, darüber zu sprechen, weil sich immer eine Lösung finden lässt. Wenn es sich dabei um etwas persönliches handelt, dann ist es aber nicht immer leicht über den eigenen Schatten zu springen.
Im Vergleich zu den Mitfinalist:innen Lena Simonetti und Nathan Laimer war Ihr Auftritt sehr ruhig und gesetzt, verzichtete auf gestisches Performen auf der Bühne. Wie kommt das?
Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich mich deswegen auch mitunter unter Druck setze, gerade mit Blick auf Lena, die immer alles auswendig macht und super performativ auftritt, was für mich beim Zusehen wunderschön ist. Ich schaffe es einfach nicht ganz von meinem Büchlein wegzukommen, es bedeutet mir auch ansonsten viel. Alle Texte, die ich je geschrieben habe sind in diesem Büchlein drin und das habe ich gern auf der Bühne bei mir. Das nimmt mir zwar etwas die Kraft um performativ zu werden, aber teilweise kommt mir auch vor mit Ruhe kann ich viel mehr bewirken. Das leise Dastehen und etwas sagen kann manchmal mehr Nachwirkung haben als die große Geste. Das habe ich für mich so entschieden, dass es für mich so besser passt, aber ich würde schon eigentlich gern performativer werden. Ich habe großen Respekt vor allen, die es schaffen ihren Text frei vorzutragen, weil es auf der Bühne auch so viele Emotionen gibt, die einen ablenken können.
Für den Finaltext habe ich mich zwei Sekunden bevor ich auf die Bühne gegangen bin entschieden.
Bei einem anderen Auftritt haben Sie vorab erzählt, dass Ihr Text über das Nicht-Mutter-werden-wollen aus Runde 2 schon Negativfeedback bekam. Nicht um Ihren verdienten Sieg zu schmälern, aber gehört zum Slammen für Sie auch ein Quantum Glück, etwa bei der Losung der Auftrittsreihenfolge oder der Tagesverfassung der Jury?
Auf jeden Fall. Das ist etwas mit dem ich beim Slam etwas hadere. Es ist immer Kunst und die lässt sich nie objektiv betrachten, geschweige denn bewerten. Es kommt immer darauf an, ob ein Text den Geschmack trifft, jemand in der rechten Verfassung dafür ist und wie der Text in den Abend passt. Es ist auf jeden Fall eine Spur Glück dabei. Für den Finaltext habe ich mich zwei Sekunden bevor ich auf die Bühne gegangen bin entschieden. Ich war sehr unentschlossen, was ich lesen sollte und hatte mehrere Texte im Kopf. Das erste Mal als ich den Text vorgetragen habe, hatte ich eine schwangere Frau in der ersten Reihe, die aufgestanden und gegangen ist. Dadurch war ich am Zweifeln: Funktioniert dieser Text hier überhaupt? Aber dadurch, dass mich das derzeit stark beschäftigt, wollte ich meiner Seele die Genugtuung geben das vor Menschen aufzuarbeiten. Es geht ja auch darum, die Bühne für sich zu nutzen, denn es tut gut offen vor Leuten über die eigenen Gedanken zu sprechen. Es haben mich mehrere Faktoren zum Text gebracht und dass er dann so gute Punkte erhält, da gehört vieles dazu. Sicher auch eine Prise Feingefühl, aber ganz vorhersagen lässt sich der Ausgang nicht und von daher braucht es auch diese Spur Glück.
In Ihrer Siegesrede haben Sie betont, dass Ihnen die Slammily viel bedeutet. Was für ein Gefühl haben Sie, wenn Sie nach diesem Interview zur „Tavolata“ gehen und sich feiern lassen?
Das sind Menschen mit der gleichen Leidenschaft, die ähnliche Gedanken haben und sich auf die gleiche Weise ausdrücken. Um auf Kommunikation zurück zu kommen: Es ist wichtig, wie man miteinander kommuniziert und es erleichtert vieles, wenn man ähnlich miteinander kommuniziert. Das ist bei der Slammily schon der Fall, dass man Dinge ähnlich anspricht indem man auf die Bühne geht. Das sind alles tolle Menschen und ich bin froh, dass ich da „hineingerutscht“ bin. Die Slammily gibt einem Halt, auch wenn man sie nur zwei, drei mal im Jahr sieht. Das ist ein Gemeinschaftsgefühl, ich fühle mich da richtig zuhause.
Was ist für Sie als Literatin das nächste Ziel? Der Ö-Slam (Österreichische Meisterschaften) oder blicken Sie schon weiter?
In Gedanken bin ich heute Abend noch hier, aber es war auf jeden Fall auch schon der Gedanke da, dass heute eine gute Vorbereitung für den Ö-Slam war. Da wird das Publikum nochmal zahlreicher sein. Es ist für mich eine große Ehre, dass ich nominiert wurde und ich freue mich schon darauf. Der Ö-Slam wird toll werden. Für mich persönlich ist es ein großes Ziel irgendwann eine Anthologie zu haben, so wie Sarah Meraner. Das fände ich super, die eigenen Texte nicht nur gekritzelt mit Tinte, sondern als gedrucktes Buch zu haben. Das ist ein kleiner Traum. Ich freue mich aber erstmal auf die Szene in Wien und auch ein Projekt das ich mit Hannes Huber von der SAAV umsetzen möchte.
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