Society | Jubiläum

Im Sinne der Menschen

20 Jahre Initiative für mehr Demokratie – das wurde am Samstag gefeiert. Was sich getan hat, wo wir stehen, und wie es in Sachen Direkte Demokratie weitergehen soll.

“Eigentlich müssten wir uns ‘Initiative für Demokratie’ nennen. Denn sich für ‘mehr’ von einem Häufchen Elend einzusetzen, dafür lohnt es sich nicht.” Wer am Samstag Vormittag am Bozner Rathausplatz vorbeiging, kam an dem bunten Zelt und den kräftigen Stimmen der Redner am daneben aufgebauten Podium nicht vorbei. Die Initiative für mehr Demokratie hatte zum Fest geladen, gemeinsam mit den Bürgern wollte man das 20-jährige Bestehen feiern. Und das langjährige Engagement befeuern.

Repräsentative und Direkte Demokratie nebeneinander.

“Die Demokratie heute ist verbraucht”, mahnte Stephan Lausch. Er war einer der Gründer, der die Initiative 1995 aus der Traufe hob. Seither setzt er sich unermüdlich und mit großem Engagement für mehr Mitbestimmung, fairere Zugangsregeln zu politischen Entscheidungsprozesse und Bewusstseinsbildung ein. Daran erinnerten Erwin Demichiel, Vorsitzender der Initiative und Hermann Atz, Politologe und Initiative-Mitglied, die beide als Festredner geladen waren. Demichiel berichtete von den Anfängen der Initiative, als man als Spinner und Provokateur im “Fürstentum Südtirol” abgetan wurde. 1995 hatte sich eine Handvoll Menschen empört, als sich die Gemeinden im Land eine eigene Satzung gaben, ohne ihre Bürger mit einzubeziehen, “ja, ohne dass sie überhaupt etwas davon wussten”, zeichnete Lausch nach. Heute, 2015, wurde der Landtag übrigens zum dritten Mal angehalten, ein laut der Initiative “brauchbares” Gesetz zur Direkten Demokratie zu erarbeiten. Fünf politische Fraktionen des Landtags – Movimento 5Stelle, Bürgerunion, Freiheitliche, Grüne sowie Alto Adige nel Cuore – haben sich bereit erklärt, den von der politischen Mehrheit vor einigen Monaten abgelehnten Vorschlag der Initiative für mehr Demokratie erneut in den Landtag einzubringen und zu unterstützen.


We have a dream...

Zahlreiche Glückwünsche gingen im Laufe des Samstags ein, auch aus dem Ausland. Nach und nach verlas Demichiel Grußbotschaften, die die Initiative anlässlich des Jubiläums erreicht hatten. Darunter auch aus Schweden: “Eure Geduld, Eure Weitsicht und Eure Arbeit sind uns in ganz Europa und der Welt ein Vorbild und eine sehr große Ermunterung”, hatte der Ko-Vorsitzende des Global Forum on Modern Direct Democracy Bruno Kaufmann an die Initiative geschrieben. Als “demokratisches Gewissen Südtirols” bezeichnete Ralf-Uwe Beck, Vorstandssprecher von Mehr Demokratie Deutschland, die Initiative. Einen Dank im Namen der “aufrechten Bürger von Mals als auch der Südtiroler Zivilgesellschaft” sprach der Sprecher des Promotorenkomitees für eine pestizidfreie Gemeinde Mals, Johannes Fragner-Unterpertinger aus. Glückwünsche auch von der Umweltschutzgruppe Vinschgau und von Florian Kronbichler, der sich als “Spätbekehrter” in Sachen Direkter Demokratie outete.

Stephan Lausch war der einzige, der vom Podium zu den Menschen sprach: “Das Podium wurde für uns Bürger aufgestellt, jemand muss sich wohl hinaufstellen.”

“Ja, wir sind Träumer”, gestand Demichiel, “und unser Traum ist jener von einem besseren Leben in einer gerechten Welt.” Ein solches könne (auch) durch Direkte Demokratie erreicht werden, wie Hermann Atz empirisch zu belegen wusste: “Drei Viertel der Südtiroler Bevölkerung ist der Meinung, dass mehr Beteiligung zu einer höheren Lebensqualität führt”, zitierte der Forscher eine kürzlich erschienene Studie. Daher ist er überzeugt: “Man handelt hier auf jeden Fall im Sinne der Menschen.” Die Initiative für mehr Demokratie sei zu einem wesentlichen Element der politischen Landschaft geworden, “das Salz in der Suppe, die ohnehin sehr fad schmeckt”, so Atz. “Partizipation ist aber nicht nur in der Politik wichtig, sondern in allen Lebensbereichen”, rief Karl Trojer vom Netzwerk für Partizipation während seiner Festrede ins Gedächtnis. Es sei nämlich nachgewiesen, dass optimale Lösungen dann gefunden werden, wenn gruppendynamisch vorgegangen wird, so Trojer. Wie in der Initiative, die “die Zivilcourage, die Südtirol dringend notwendig hätte, in die Gesellschaft eingebracht hat”. Atz lobte indes insbesondere die “alles andere als selbstverständliche Leistung” der Initiative, seit ihrem Bestehen ein sehr dichtes Netzwerk an Mitstreitern aufgebaut zu haben. Über 30 Vereine und Organisationen unterstützen heute die Arbeit und die Vision der Initiative.


Weiter für die Sache

“Und diese ist keine Utopie”, zeigte sich Stephan Lausch am Samstag überzeugt. Denn schließlich habe sich in den vergangenen 20 Jahren viel getan. “Es hat vor allem ein Bewusstseinsprozess stattgefunden, der die Menschen von Untertanen zu Bürgerinnen und Bürgern hat werden lassen”, so Lausch. “Die Volksabstimmungen in Land und Gemeinden haben eine Aufbruchsstimmung erzeugt, die Menschen erleben, dass offensichtlich doch gehen kann, was anscheinend nicht geht.” Und doch zeigt Lausch keine allzu großen Hoffnungen, dass Politiker in absehbarer Zukunft bereits seien, ihre Macht mit den Bürgern zu teilen. “Wir haben von oben nichts zu erwarten”, stellte er fest – auch wenn das Bild vom Politiker als Machthaber, vom “guten Vater”, der uneingeschränkt entscheiden soll bereits verblasst sei.

“Sie machen nicht unsere Sache”, so die felsenfeste Überzeugung von Lausch. Was würde er davon halten, sich höchstpersönlich in die Hallen der politischen Macht zu begeben? Um den Willen der Menschen, tatsächlich auch selbst politische Entscheidungen zu treffen, innerhalb des Systems und nicht wie in den vergangenen 20 Jahren abseits davon zu vertreten? “Zu den Landtagswahlen werden wir sicher etwas machen”, verrät Stephan Lausch. Eine eigene Partei gründen? “Sicher nicht, denn Parteien haben wir beileibe schon genug im Land.” Man darf also gespannt sein, welche Lehre die Initiative aus zwei Jahrzehnten Einsatz für Direkte Demokratie zieht. Und wie sie in die nächsten 20 Jahre geht.