Environment | Bergsteigerdörfer

Matsch - Ein Stück vom Glück

Die Besonderheiten des ersten Südtiroler Bergsteigerdorfes
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
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Foto: ©GianniBodoni

Im Sommer 2017 ist Matsch offiziell dem Netzwerk der Bergsteigerdörfer beigetreten und ist somit erstes Südtiroler Bergsteigerdorf. Träger der Initiative in Südtirol ist der AVS. Das Sonnental Matsch besticht durch ein großes Angebot an Tourenmöglichkeiten. Auf diesen Wanderungen lassen sich eine Vielzahl von Besonderheiten erkunden. Sie reichen von Waalwegen, über Trockenrasen bis hin zu den Hinterlassenschaften der mythischen Matscher Raubritter.

Das Dorf Matsch gibt einen wunderbaren Blick auf den gegenüberliegenden Ortler frei. Das gesamte Tal zieht sich vom Taleingang bei Schluderns bis zum Talschluss Glieshof auf 1.800 Meter. Zahlreiche frühmittelalterliche Flurnamen lassen darauf schließen, dass das Matscher Tal bereits um 824 n. Chr. dauerhaft besiedelt war, im Gegensatz zu den anderen Nebentälern des Vinschgaus, deren Besiedelung erst im Hoch- und Spätmittelalter eingesetzt hat. Die rätoromanischen Flurnamen sind noch heute lebendig und das rätoromanische Haufendorf prägt das Ortsbild durch seine sehr kompakte Bauweise. Im Laufe der Jahrhunderte wurde Matsch von Katastrophen wie der Pest, wiederholten Bränden, durch den Ausbruch von Gletscherseen, von Dürreperioden und schweren Unwettern gebeutelt.

 

Landschaftliche Vielfalt

Das Matscher Tal ist dank seiner südwestlichen Lage ein wahres Sonnental. Es bereichert das Netzwerk Bergsteigerdörfer mit regionalen Besonderheiten wie beispielsweise den Waalen, den traditionellen Bewässerungssystemen im Vinschgau. Es zählt zu den trockensten Gebieten des Alpenraumes, besticht aber gleichzeitig durch ein Mosaik vielfältiger Lebensräume. Die von extremen Bedingungen an den Sonnenhängen geprägten Trockenrasen sind ein Paradies für seltene, wärmeliebende Tier- und Pflanzenarten. Überhaupt deckt das Matscher Tal auf engem Raum von 1.000 bis 3.700 Metern Höhe alle typischen Höhenstufen einer Bergregion ab, und es finden sich eine Vielzahl von Vegetationsstufen, vom Obstbau bis zum Gletscher. Auch deshalb ist das Tal seit 2014 Teil eines weltweiten Forschungsnetzwerkes, betreut durch die Europäische Akademie Bozen (EURAC), welche die Langzeitänderungen auf die Artenvielfalt durch Klima und Landnutzungswandel untersucht.

Die Fraktion Matsch weist einen Schutzgebietsanteil von zwölf Prozent der Fläche auf. Bereits vor dem Dorf öffnet sich der Blick zum Landschaftsschutzgebiet Matscher Wiesen: kleinstrukturierte, terrassenförmige Kulturgründe steil unterhalb des Dorfes. Der Matscherjochsee (3188 m) gilt als höchster Bergsee, die Saldurseen als höchstes Seenplateau Südtirols. Im Tal lassen sich seltene Arten wie Steinbock, Steinadler, Bartgeier und Steinhuhn beobachten.

Das heutige landschaftliche Erscheinungsbild des Matscher Tales wurde durch jahrhundertelange intensive Alm- und Weidenutzung mitgeprägt. Ein Großteil der ursprünglichen Wälder auf der orografisch rechten Talseite wurde für die Beweidung für Rinder, Schafe und Ziegen abgeholzt. Auf den Gemeinschaftsalmen wird die Milch traditionell zu Käse und Butter verarbeitet. Von der Gondaalm oberhalb des Dorfes auf ca. 2000 Metern führt sogar eine Milchleitung direkt in die Sennerei im Dorfkern. Die Alm wurde heuer erstmals als Bioalm geführt.

 

Kurze Alpingeschichte

Einen wahren Kontrast dazu bilden die das Tal umringenden 25 Dreitausender, allen voran die Weißkugel mit 3739 Metern Höhe – einer der prächtigsten Hochgipfel der Ötztaler Alpen. Die Erstbesteigung gelang nach einem Bericht von Erzherzog Johann von Österreich den beiden Schnalser Führern Johann Gurschler und Josef Weitthalm vermutlich im Sommer 1845. Da dieser Bericht aber erst 1903 veröffentlicht wurde, galt der Wiener Tourist Josef Anton Specht lange als Erstbesteiger der Weißkugel im Jahre 1861.

Im hintersten Matscher Tal stand wohl eines der am besten eingerichteten und modernsten Schutzhäuser seiner Zeit: die Karlsbader Hütte – ab 1902 Höllerhütte – der Sektion Prag des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins (DuOeAV). Sie wurde 1883 erbaut und mit hohem persönlichen Einsatz und Spenden des Karlsbader Kaufmanns Franz Höller 1900 ausgebaut. Die Hütte diente sowohl als Stützpunkt für die Weißkugel, die umliegenden Berge als auch für den Übergang ins Ötztal über Hochjoch, Bildstöckljoch und durch das Matscher Tal in den Vinschgau zur Ortlergruppe. Zuvor noch Selbstversorgerhütte wurde die Schutzhütte ab 1901 bewirtschaftet. 1905 besuchten bereits 250 Personen im Sommer die Höllerhütte. Nach dem Ersten Weltkrieg fiel Südtirol an Italien. Das Schutzhaus der reichsdeutschen Sektion Prag wurde enteignet und dem Club Alpino Italiano (CAI) zur Weiterbewirtschaftung überantwortet. 1945 wurde die Hütte durch einen Brand zerstört.

Die 1884 gegründete Sektion Vinschgau des DuOeAV löste sich 1922 vom Hauptverein und benannte sich in Alpenverein Mals um, um einer Auflösung durch das faschistische Regime zu umgehen. Im Jahr 1923 wurden alle Alpenvereine in Südtirol mit Ausnahme des CAI verboten. Die offizielle Tätigkeit der Südtiroler Alpenvereinssektionen kam zum Erliegen. Erst 1965 gründete sich die Sektion Mals im Alpenverein Südtirol neu, 1979 entstand die AVS-Ortsstelle Matsch. Die Ruine der Höllerhütte am Fuße des Oberettesgletschers wurde in den 1980er-Jahren abgerissen und 1988 von vielen engagierten Freiwilligen und dem tatkräftigen Ortsstellenleiter Wilhelm Gunsch als Oberetteshütte wiedererbaut. Die AVS-Ortsstelle Matsch zählt heute rund ein Viertel der Matscher Einwohner als Mitglieder und hat einen wichtigen Stellenwert im überaus aktiven Matscher Vereinsleben.

 

Gelebte Traditionen

In Matsch hält man an verschiedenen Bräuchen fest, die meisten haben kirchlichen oder heidnischen Ursprung: zum Beispiel das Scheibenschlagen. Jedes Jahr am ersten Fastensonntag steht der ganze Obervinschgau im Bann eines archaischen Brauches der Winteraustreibung. Viereckige oder runde Holzscheiben werden an lange Haselnussgerten gesteckt, im Feuer zum Glühen gebracht, von den Scheibenschlägern – wie von modernen Hammerwerfern – in Schwung gebracht und mit einem kräftigen Abschlag auf dem Boden oder einer Abschlagrampe oft mehrere hundert Meter weit in den Nachthimmel geschleudert. Jeder Scheibe wird ein Spruchgesang mit besten Wünschen für das beginnende Frühjahr hinterhergebrüllt. Den Höhepunkt des Abends bildet das Abbrennen der „Larmstong“ oder der kreuzförmigen „Hex“, einer dürren Fichtenstange mit einer dicken Strohummantelung. Neben dem „Schellen“ am Krampustag, dem Herz-Jesu-Feuer und verschiedenen Prozessionen runden Bergsegnungen und Kirchtage das Jahr der Matscher ab, die es zu feiern verstehen. Veranstaltungen wie das Kulturfest KleinDORFgeflüster am 19.10.2019 bieten die Möglichkeit das Bergsteigerdorf mit allen Sinnen zu erleben, das traditionelle Handwerk und lokale Produkte sowie die Besonderheiten des Bergsteigerdorfes kennenzulernen.

 

Die gefürchteten Matscher Raubritter

Wild wie die Bergwelt ist auch die Vergangenheit des Matscher Tals. Die Vögte von Matsch regierten und richteten ab 1100, als die Burg Obermatsch auf dem Schlosshügel am Taleingang gebaut wurde, als Stellvertreter des Bischofs von Chur über das Tal und darüber hinaus. Der Missbrauch der Vogteirechte, die Ermordung des Abtes von Marienberg sowie blutige Familienfehden machten die Matscher Raubritter legendär. Der „Golgabichl“ am Eingang des Tales wurde als Hinrichtungsstätte benutzt, als Gerichtshaus soll das heutige Widum am Dorfeingang gedient haben. Das Geschlecht erlosch 1504. Der Besitz der Matscher Vögte, darunter die Churburg in Schluderns, ging zu den steirischen Rittern von Trapp über. In der Churburg lassen sich die prächtigen Rüstungen der Matscher Vögte besichtigen. Die Burgen Ober- und Untermatsch wurden allerdings schon seit dem 15. Jahrhundert vernachlässigt und sind heute nur mehr Ruinen.

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Broschüre zum Bergsteigerdorf Matsch inklusive Wandervorschläge erhältlich beim AVS oder als Download unter: www.bergsteigerdoerfer.org/matsch

 

 

VERANSTALTUNGSTIPP:

KleinDORFgeflüster in Matsch

19. Oktober 2019 von 9.30-18.00 Uhr

Unter dem Motto „koschtn – lousn – schaugn“ lädt das Bergsteigerdorf Matsch mit seinen Vereinen am Samstag, 19. Oktober, von 9.30 bis 18 Uhr zum Genießen und Verweilen ein. Beim Kulturfest „kleinDORFgeflüster“ anlässlich 150 Jahre Alpenverein in Südtirol lassen sich in den Stadeln verschiedene Besonderheiten des Dorfes erleben: z. B. Krampuslarven schnitzen, Patschen filzen oder es können auch vielerlei Gerichte mit zu 100 Prozent Matscher Zutaten gekostet werden. Mit dem Citybus ist Matsch ab Mals im Stundentakt erreichbar. Im AV-Jubiläumsjahr setzt das erste Südtiroler Bergsteigerdorf, eine Initiative der Alpenvereine, ein klares Zeichen für Regionalität und Nachhaltigkeit.