Hoffnungslos utopisch
-
Thomas Feuerstein, der gebürtig aus Innsbruck stammt, ließe sich gut ins Feld führen, wenn man der aktuellen zeitgenössischen Kunst in Mitteleuropa ein Problem mit Dimensionen unterstellen möchte. Der Multimedia Künstler nutzt dafür den Raum im NOI-Techpark, der gegen Ende der diesjährigen Ausgabe von Transart ein Orchester, samt Publikum gefasst hat.
„Metabolica (Moby Dick)“ ist dabei das erste - und noch nicht abgeschlossene - Kapitel einer Pentalogie, dem mal eben so Herman Melvilles „Moby Dick“ in fast unleserlich kleiner Spiralschrift zu Grunde gelegt wird. Die Form weist dann auf einen biologisch durch Algen und Bakterien erzeugten Kunststoff, der in der Ausstellung produziert und in weiteren Kapiteln zu Objekten verarbeitet werden soll. Feuerstein bewegt sich in einer Schnittmenge zwischen Wissenschaft und Kunst, Hoch- und Popkultur. In letzterer ist Moby Dick dabei ebenso anzutreffen, wie im Kanon der Literaturklassiker, steht für Feuerstein aber auch exemplarisch für den Beginn eines nicht länger nachhaltigen Ressourcen-Verbrauchs und der Industrialisierung.
Er imaginiert - erfindet nicht - eine alternative, nachhaltigere Zukunftsvision einer Welt, die biologisch aufgebaut und wieder zersetzt wird und wie in der viergeteilten Maschinerie mit ihren zahllosen Schläuchen, greifen dabei auch bei Feuerstein verschiedene Ebenen eines Großprojekts ineinander , es entstehen unter anderem auch Hörspiele, Graphic-Novels, irgendwo zwischen deadmau5 Ästhetik und illuminierten Schriften, welche der utopischen Rube-Goldberg-Maschine weitere Textebenen zur Seite stellen, die noch weiter in Richtung Science Fiction abdriften. Anschauen kann man sich das Feuersteinsche Technik-Kunst-Konvolut jedenfalls bis 11. November. Aber, wieviel Komplexität ist zu viel?
-
Lasst alle Hoffnung (mit)fahren
Der Beitrag von Thomas Feuerstein ist nur einer von vielen zum Großprojekt „Hope“, dem dritten und letzten Kapitel der „Techno Humanities“, und der Österreicher ist nur einer von über 30 Künstler:innen aus einem globalen Einzugsfeld. „Hope“ ist überwältigend, im besten und im schlechtesten Sinne des Adjektivs. Da verliert sich auf halbem Weg, wer nicht tief genug eintaucht, wer aber nur einmal durchrauscht, der kann sich auch berauschen lassen. Liest man sich einmal durch das Büchlein zur Ausstellung, dann kann sich das mitunter auch nach Hausaufgaben anfühlen, weswegen ich Leser:innen, die neugierig auf „Hope“ sind, fürs erste empfehlen möchte, es langsam anzugehen.
Allein die Eröffnungsreden bei der Vernissage, welche, heillos überlaufen, vor dem Museion stattfand, dauerte eine Stunde. Die Wahl des Ortes und die resultierte Dauer darf man auch kritisch hinterfragen, auch, da ein guter (hinterer) Teil nicht für Reden, sondern das kurz darauf im Untergeschoss angesetzte DJ-Set im Untergeschoss zum Museion gekommen ist. Das ist legitim und ich will niemandem die Freude am Tanzen absprechen, logistisch gestaltet es das aufmerksame Zuhören bei ausschweifenden Reden aber schwierig. Auch empfiehlt es sich nicht, lange und breit über Kunstwerke zu sprechen, die der Besucher der Vernissage noch nicht vor Augen hat. Marion Piffer Damiani orientierte sich an den beiden Sternen an der Außenfassade (die ins Jahr 2022, nach Pristina strahlen, Petrit Halilajs „When the sun goes away we paint the sky“), Bart van der Heide stellte einen Bezug zur Arbeit im Eingang her, die herausstrahlte: das großformatig strahlende „Open“ von Riccardo Previdi, welches mit einem vorangestellten „H“ das niederländische Wort für „hoffen“ ergibt. Kuratorin Leonie Radine verlor sich etwas in zahlreichen Danksagungen und den oberen Stockwerken, ähnlich erging es dem vielseitig tätigen DeForrest Brown Jr., der ebenfalls an der Ausstellung mitwirkte. Ihre Ausführungen waren sicherlich auch interessant, aber in Abwesenheit jener Argumente, die sie thematisierten.
Warum erzähle ich das? Um zu verdeutlichen, dass es verschiedene Begegnungsebenen mit Kunst gibt. Wer sich einfach nur berauschen lassen möchte, kann durch „Hope“ durchrauschen. Wer bei der Kunst in die Tiefe gehen muss, der möge das über 80-seitige Büchlein zur Hand nehmen; und ins Museion gehen.
-
Mythen und Helden
Hoffnung ist ein menschliches Grundbedürfnis und damit ein ausgesprochen weites Feld. Dass man im Museion alle denkbar nutzbaren Räume verwendet (im Aufzug stößt man etwa auf Ulrike Bernard und Caroline Profanters Klangistallation „AUI OI“), verdeutlicht dies noch einmal. Was genau die Arbeit mit Hoffen zu tun hat, ist offen. War die Ausstellung „Techno“ vor zwei Jahren thematisch dicht und als Parcour gestaltet, so taten sich im Vorjahr bei „Kingdom of the Ill“ verschiedene Wege durch den Themenkomplex Gesundheit/Krankheit auf und nun, vor dem Prinzip Hoffnung, zerfasert die thematische Dichte der Ausstellung ein Stück weit an der Individualität der Erfahrung des „Hoffens“.
Verschiedene Hoffnungsstränge verlaufen dabei parallel. Die Komplexität wird dadurch genießbarer gestaltet, dass die Perspektive generell eine positive ist, auch wenn es der Ausgangspunkt seltener ist. Das erste Obergeschoss (Floor 2 im Ausstellungsheft), gerahmt von einer Sammlung an Plattencovern, welche einen durch das gleichnamige Techno-Ruo aus Detroit geschaffenen Mythos abbilden, der auf den klingenden Namen Drexciya hört, ist mehrheitlich poppiger aber auch hintergründiger Kunst vorbehalten, die Kunstwerke dazu stammen vorwiegend aus der Feder von AbuQuadim Haqq und zeichnen auch die künstlerische Entwicklung des Cover-Artists über einen langen Zeitraum nach.
Drexciya selbst ist so etwas wie ein Gegenentwurf für den Atlantis-Mythos, der seinen Ausgang mit auf den atlantischen Sklavenrouten über Bord geworfener Personen nimmt. Eine Übung in (Selbst-)Ermächtigung und der Schöpfung eigener Mythen, die im Angesicht kolonialer Gewalt tröstlich sind und alternative Vorbilder bieten. Ein spannender Kosmos, der bei anderer Gelegenheit schon für sich eine Ausstellung getragen hätte, auch wenn es sich nicht um „Hochkultur“ im klassischen Sinne handelt. Die Blickwinkel, von DeForrest Brown Jr. zusammengetragen und durch die Plattensammlungen von DJ-Velziped, bzw. Walter Garber auch um eine klangliche Dimension ergänzt, ist ein interessanter Blick über den Tellerrand. Es ist der Bezug zur Realität, der ein großes Universum mit fast cineastischen Qualitäten erdet: Ein Pfaddiagramm am Boden stimmt nicht hoffnungsvoll, sondern nachdenklich, denn es zeigt auf, dass nur ein - gemeinsam eingeschlagener - Weg am globalen Kollaps vorbei und hin zu einer nachhaltigen und zukunftsfähigen Zukunft führt.
-
Digitale Bildbausteine
Der Fokus zwischen (alternativer) Geschichtlichkeit und Zukunft wird auch im 2. Obergeschoss in mehr digitaler als haptisch greifbarer Form fortgesetzt. Die „Arcade“ getaufte Ausstellungsebene verweist sowohl auf einen ebenso bekannten utopischen Landstrich des Altertums als auch auf die Arkaden Videospiele, Automaten die bis in die 90er und frühen 2000er Kinder dazu brachten, ihre Eltern um „Gettoni“ anzubetteln, um noch eine Runde Bubble Bobble oder Metal Slugg im Lido oder am Ferienort spielen zu können. Ich spreche hier aus Erfahrung und auch aus einer gewissen Nostalgie.
Die digitalen Ausdrucksformen auf diesem, halb analog, halb digital gestalteten, gemischten Stockwerk sind allerdings sehr viel weiter entwickelt als die meist zwei-dimensionalen Pixelspiele von einst. Besonders eindrucksvoll im digitalen ist „Nepenthe“ von Lawrence Lek. Nepenthe, der Trunk des Vergessens, wahrscheinlich mit Opium gemischter Wein, war ein Trank, welcher der Sage nach Kriegern, etwa im Krieg um Troja verabreicht wurde, um physischen und psychischen Schmerz zu unterdrücken. „Nepenthe“ im Museion ist ein digitaler Raum, abgekapselt vom Rest der Ausstellung in dem wir uns auf Sitzsäcken für etwa 20 Minuten ausstöpseln können. Nach der Begrüßungsformel „You came here to forget, don’t you remember?“ bewegen wir uns in Ego-Perspektive durch eine digitale Flusslandschaft mit mehr oder weniger kryptischen Überlegungen zum Erinnern und Vergessen. Die Landschaft durch die wir uns bewegen, erinnert an die gebirgigen Ufer des Yangtze, der Endpunkt der Reise ist der 1860 im Opiumkrieg zerstörte Alte Sommerpalast.
Eine spannende und gleichzeitig entspannende Arbeit, welche im Dazwischen existiert: Einerseits verweist sie darauf, dass Videospiele als das klassisch eskapistische Medium gelten, andererseits zeigt sie auch Möglichkeiten zur Konservierung von verschwunden Orten auf, die im digitalen Raum noch auf gewisse Weise erfahrbar gemacht werden können.
-
Ein kurzer Ausblick
Im obersten Stock der Ausstellung findet sich eine anfänglich unüberschaubare Anzahl verschiedenster Werke, deren Verbindung zueinander weniger klar ist, als in den übrigen Stockwerken. Das „Observatory“ (Observatorium) des Museion verschließt einmal seinen Blick nach außen und lässt uns fragmentierte Hoffnungen und Ängste erblicken. Da ist regionaler Weltraumschrott von Sonia Leimer, Michael Flirts „gefakte“ Röntgenbilder, welche bereits im Pharmaziemuseum Brixen zu sehen waren, oder etwa auch Trisha Begas Öl-Bilder und Glaskeramiken, die einen Blick auf Computerbildschirme ad absurdum führen.
In „Shadow“ etwa, glauben wir auf den ersten Blick ein klassisches, einfach gehaltenes Landschaftsbild zu sehen, das sich auf den zweiten Blick als Desktop-Hintergrund entpuppt, Mouse-Cursor inklusive. Können wir digitale und wirkliche Räume in Zukunft überhaupt noch wirkungsvoll voneinader getrennt halten? Und wenn ja, werden wir das wollen? Durchdringt das Digitale nicht schon jetzt schleichend mehr und mehr unseren Alltag? Dieses Stockwerk wirft mehr Fragen als Möglichkeiten auf, bleibt deutungsoffener.
Die Gefahr ist allerdings real, dass man sich vor dieser feingliedrigsten Etappe der Ausstellung bereits „satt“ gesehen hat. Es bleibt zu hoffen, dass wir eines Tages die Zeit finden, um uns Ausstellungen dieser Größe in aller Ruhe anzusehen.
-
"Hope" (zu sehen bis zum 25. Februar 2024) umfasst auch ein umfangreiches Rahmenprogramm, dessen einzelne Punkte nach und nach auf der Webseite der Kulturinstitution vorgestellt werden. Als nächstes ist Literatur Lana am kommenden Sonntag, 19.30 Uhr, mit einem weiteren Mehrteiler (Teil 1 von 2) zu Gast. Es handelt sich um Musik zum Briefwechsel von Ingeborg Bachmann und Max Frisch.