„Mehr als ein Wörterbuch“
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Wieviel Dialekt ist zumutbar? Bei Interviews auf internationalen Pressekonferenzen mit Südtiroler Spitzensportlern wie Jannik Sinner oder Dominik Paris fragen sich manche Menschen – die ebenfalls der deutschen Sprache mächtig – „Bitte was?“ Im Dialekt könne man sich besser ausdrücken, sagen die einen und sprechen selbstbewusst wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Andere sehen dialektale Trends kritisch, da solche nur auf „der eigene Insel“ oder im „eigenen Tal“ verstanden werden.
Die einstige Grand Dame der Mundart in Südtirol, Maridl Innerhofer (1921-2013), hat bereits wenige Jahre nach dem beinahe revolutionären Aufkommen von SMS-Mitteilungen festgestellt, dass die jüngere Generation sich um den richtigen Sprachgebrauch weniger zu scheren scheine, sondern lieber das mündlich Gesagte in knapper und archaischer Form (und ohne großes Regelwerk) ins Handy tippe. Die lokale und rurale Sprachfärbung in Südtirol (und in anderen Gegenden Europas) sei also nicht mehr so verpönt, wie in früheren Jahrzehnten, wo der Dialekt – lediglich als Umgangssprache der ländlichen Bevölkerung oder von "unteren sozialen Schichten" gesprochen – ein Schattendasein führte.
Dialekt ist, wie die Leute reden. Nicht wie im Bozen-Krimi
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Während Maridl Innerhofer ihre Gedichte in der Burggräfler Mundart verfasste und dieser ein Denkmal setzte, machte das Franz Lanthaler für das Passeiertal. „Dialekt ist, wie die Leute reden. Nicht wie im Bozen-Krimi, sondern, wenn sie unter sich sind und bei der Arbeit. Und da die Welt und die Leute sich verändern, verändert sich auch der Dialekt“, steht auf seiner Website nachzulesen. Am vergangenen Samstag stellte er mit anderen aus dem Tal ein besonderes Dialekt-Buch vor. Nicht zum ersten Mal. Gemeinsam mit Harald Haller hatte er vor 20 Jahren für den von beiden so geliebten und gern gesprochenen Passeirer Dialekt ein Dialektwörterbücher herausgegeben. „Das erste Passeirer Wörterbuch von 2004 sei nicht nur ein wichtiges kulturelles Signal gewesen, sondern bis heute unerreichtes Vorzeigewerk geblieben, um welches das Tal südtirolweit beneidet würde“, meinte dazu die derzeitige Landesrätin (und einstige Bürgermeisterin von St. Martin in Passeier) Rosmarie Pamer bei der Vorstellung.
Im Anschluss folgten „dialektale Appetizer“ durch Liedermacher Pepi Platter und einführende Worte des Verlegers und Herausgebers Albert Pinggera. Der Typograf – er zeichnet auch für die ansprechende und eigenwillige Gestaltung verantwortlich – stellte das Team hinter dem Wörterbuch vor und dankte der Lektorin Judith Schwarz für ihre Unterstützung.
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Max Siller, Professor für germanistische Mediävistik an der Universität Innsbruck im Ruhestand, lobte die „unermüdliche Erforschung des Passeirer Dialekts als Lebenswerk seines Fachkollegen Franz Lanthaler“ und wagte als Enderjocher eine Art "Grenzüberschreitung" über die Berge des Passeiertal ins naheliegende Ridnaun, wo das Rignaunerische als Dialekt auflauert. Siller spannte den Bogen vom „charakteristischen Endungs-e, das mitunter bei Begriffen wie der Foon (die Fahne) fehle.“ Hans Moser, ebenfalls emeritierter Professor an der Uni Innsbruck sowie ehemaliger Rektor dort, attestierte dem Buch „gute Lesbarkeit“ und freute sich besonders über den „Ausbau der grammatikalischen Feinheiten wie beispielsweise des Konjunktivs“, sowie die „Steigerung der Stichwörter um 25 Prozent im Vergleich zur Erstausgabe.“ Sein Fazit: „Das Wörterbuch sei mehr als ein Wörterbuch, an dem nicht nur das vierköpfige Team gearbeitet, sondern das ganze Tal beigetragen habe.“Redegewandt – in Dialekt und Hochsprache – skizzierte Mitherausgeber Harald Haller die Entstehung des Wörterbuchs und berichtete vom allerersten Stichworteintrag am PC mit dem Wörtchen pfent [eng sitzend], sowie über die „kongeniale Zusammenarbeit“ mit dem Lokalpionier Franz Lanthaler zu den rund 9000 Stichwörtern, die nun auch im Online-Wörterbuch eingesehen werden können. Samt praktischen Suchfunktionen.
In Sachen Dialekt haben die Passeierer und Passeirerinnen mitunter durchaus interessante und prominente Nachbarn. Die geografische Abgeschiedenheit des Ötztalerischen (als eine der ältesten Sprachformen im Alpenraum) führte im Jahr 2010 dazu, diesen Dialekt von der UNESCO adeln zu lassen. Treibende Figur war dort einst der umtriebige Volkskundler und Dialektforscher Hans Haid (1938-2019) gewesen.
Ob der Dialekt aus dem Passeiertal auch einmal zu ähnlich hohen Ehren kommt? Die Bezeichnung UNESC-HOU wartet diesbezüglich (für die nächste Auflage) bereits in der Warteschleife.Zum Buch
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