Istanbul "under attack"
Ich wollte heute vormittag wieder einmal ins archäologische Museum von Istanbul zurückkehren, um mich an den Ursprüngen der Weltkultur zu laben : dem ältesten Liebesgedicht der Geschichte, dem ältesten bilateralen "Vertrag" zwischen den Hethitern und den Ägyptern, dem Sarkophag Alexanders des Grossen und vielen herrlichen Zeugnissen der untergegangen Kulturen von Assyrern und Griechen : allesamt im Istanbuler Museum zu bewundern, das links neben dem Eingang zum Sultanspalast Topkapi liegt. Aber weil ich mich vertrödelte, kam es nicht dazu.
Noch während ich mich zum Ausgehen fertigmachte, hörten wir in meinem Wohnviertel Cihangir, auf der anderen Seite des Goldenen Horns, eine Explosion, die unsere Hauswände zum Erzittern brachte : ganz eindeutig ein Bombenattentat, eine Autobombe wie im Irak oder ein Kamikaze.
Dann: die ersten Sirenen der Polizei und der Krankenwagen. Die Bilder , die das türkische Fernsehen sendete, gaben keine Klärung der Vorgänge. Ersten Augenzeugenberichten hatte sich ein Kamikaze in die Luft gesprengt. Dann hiess es, eine Bombe, die unter dem Sitz der TRamstation Sulthanament versteckt war, sei explodiert.
Doch dann sah man plötzlich ein halb ausgebranntes Hotel , das allerdings im asiatischen Teil Istanbuls liegt.
Das Attentat erinnert an die letzten Massaker in Bagdad und in Libyien. Zu beiden hatte sich sofort Daesh bekannt. Nun ist abzuwarten, ob und wann sich die Terroristen des Islamischen Staaten melden.
Sonst nämlich beginnen die üblichen Schuldzuweisungen: die von Erdogan so vielgehassten Kurden sind ein beliebter Sündenbock oder völlig unbekannte Linksextremisten mit merkwürdigen Namen. Seltsamerweise werden nie die Terroristen der rechtsextremen "Grauen Wölfe" ins Spiel gebracht, die mit allen Mittel versuchen, den Kurden zu schaden und den Daesh zu flankieren.
Weil das Attentat im Herzen der Istanbuler Touristenattraktionen verübt wurde, muss den Hintermännern vor allem daran gelegen sein, der türkischen Fremdenverkehrswirtschaft einen weiteren schweren Schlag zuzufügen. Schon jetzt beklagen Tourismusunternehmen weltweit einen sehr deutlichen Rückgang an Türkei-Urlaubern.
Die grossen Kreuzfahrt-Unternehmen meiden Istanbul letzthin. Im Istanbuler Hafenviertel Karaköy stehen die Geschäfte leer. Wäre das Viertel letzthin nicht zum neuen Lieblings-Treffpunkt der europäisch ausgerichteten türkischen Jugend geworden , müssten viele Gaststätten und Geschäfte schliessen.
Wer also will die türkische Wirtschaft in die Knie zwingen, nachdem sie bereits durch die russischen "Sanktionen" schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde ? Vielleicht die Russen, die sich weiterhin am Abschuss eines ihrer Kampfjets im November in Syrien rächen wollen? Oder die mit Russland verbündeten Iraner, die mit Sorge beobachten, wie sich der türkische Präsident letzthin wieder mit Israel und Saudi Arabien angefreundet hat, den Erzfeinden des Regimes in Teheran?
Die vielen Attentate, die in den letzten beiden Jahren die Türkei erschüttert haben, sind nie wirklich aufgeklärt worden. Vielleicht gelingt es den Geheimdiensten diesmal, die Schuldigen ausfindig zu machen.