„Sehen, Zeichnen, Verstehen“

-
SALTO: Sie tragen in Ihren Arbeiten häufig mehrere „Fundstücke“ für ein „mögliches Ganzes“ zusammen. Woher kommt die Lust am Zusammensetzen?
Raphael Mur: Das stammt aus meiner Kindheit. Meine ersten künstlerischen Überlegungen und die Faszination für Material haben sich auf meinem Schulweg am Ritten ergeben. Ich sammelte rostige Schrauben und lauter Kram. Es hat schon damals helle Freude in mir ausgelöst die Dinge dann vor mich zu legen und mich zu fragen, ob ich sie verbinden kann. Inzwischen habe ich neues Material, mit dem ich spielen kann. Heute ist aus dem kindlichen Spiel eine ernsthafte Beschäftigung geworden.
Alles wird zeichnerisch abgehandelt und miteinander verwoben. Dann folgt oft ein malerischer Eingriff.
Von welchen Geschichten lassen Sie sich gerne während dem Schaffen an Ihren Werken begleiten? Was inspiriert Sie?Generell bin ich in alle Richtungen hin hellhörig. Ich liebe Maschinen und Technik ebenso wie die Tierwelt, ich kann ein Sachbuch verschlingen oder eben ein Gedicht als Leitmotiv für eines oder mehrere Werke verwenden. Ich mag die Jäger der Tierwelt und die Unholde in Märchen, Sagen und Mythen. Ich schlage auch Brücken in die heutige Zeit und zweckentfremde Bekanntes, wie zuletzt zum Beispiel einen QR-Code. Alles wird zeichnerisch abgehandelt und miteinander verwoben. Dann folgt oft ein malerischer Eingriff. Sehr zufrieden bin ich vor allem, wenn durch eine gelungene Komposition mehrere neue Deutungsmöglichkeiten entstehen, das macht mich frei in der Kunst.
-
Auch Skulpturen finden sich in der Ausstellung „Aufwind“. Wie nisten diese sich in den Bilderreigen ein?
Diese beiden Werke markieren einen Wendepunkt in meinem Schaffen, denn entgegen meiner anfänglichen Sicherheit nur das Malen zur Disziplin zu machen, konnte ich dem Drang nicht widerstehen etwas Dreidimensionales anzugehen. Der Grad an Abstraktion, den man mit gewöhnlichen Gegenständen in einem Werk erreichen kann ist für mich Forschungsgegenstand und Spielball zugleich. So würde ich z.B. die schwarzen Bündel als Übersetzung einer meiner malerischen Signaturen ins Bildhauerische beschreiben.
Sie bewundern Vögel wegen deren "Design". Auch in der Ausstellung hängt ein gemalter Adler...
Vögel sind überall. Sie sind eine erfolgreiche Tiergruppe und mit ihrer Hilfe konnte die Menschheit wortwörtlich abheben. Vögel sind vielfältig spezialisiert, lernfähig und dem Menschen körperlich überlegen. Ich habe diese Faszination von meiner dänischen Oma, sie liebte Vögel und fütterte gern Möwen in Kopenhagener Hafen und beobachtete die Rotkehlchen in ihrem Garten in Gentofte. Ich bin einfach fasziniert von diesen Tieren.
In die Kunstwelt begebe ich mich derzeit immer tiefer...
Wie sind Sie eigentlich zur Kunst gekommen?
Früh haben meine Eltern gemerkt, dass ich weniger Interesse daran hatte Fußball oder Ähnliches zu einer Beschäftigung zu machen. Sie wunderten sich über meine Ausflüge, bei denen ich unangenehm lang außer Haus war und irgendwo im Wald am Boden lag und beobachtete. Damit ich etwas davon hatte, schenkte mir mein Vater meine ersten Bücher und Papier. Ich kann nicht sagen, wann das war, doch das war der Startpunkt. Sehen, Zeichnen, Verstehen. Zu meiner Schulzeit war immer klar, dass ich etwas Kreatives machen sollte. Die meisten meiner Lehrer ermutigten mich etwas aus dem Interesse zu machen. Ich habe auf sie gehört. Nach der Matura kam ein Studium der Kunst an der Akademie, dem folgte mein Austritt und ein intensiver Lehraufenthalt beim österreichisch-kosovarischen Maler Dalip Kryeziu. Ab da wurde es erwachsener Ernst. In die Kunstwelt begebe ich mich derzeit immer tiefer, doch dahin muss man nicht allein gehen, da habe ich viel Unterstützung.
Wie zieht sich das titelgebende „Aufwind“ durch die Schau? Welche Idee steckt hinter dem Titel?
Der Titel ergab sich im Gespräch mit meinem Bruder Philip, er hat mich bei der Organisation der Ausstellung unterstützt und auch die einführende Rede gehalten. Es sollte sich gut anfühlen und keine sperrige, abhandlungsgebundene Namensgebung geben. Lieber einen Titel, der mich tragen kann. Einen Titel, der zeigt, was ich liebe und was ich teilen möchte. Einen Titel, der unterhält und Unterhaltungen in eine gute Richtung führt. Nach oben. Genau wie die Vögel brauchen wir im übertragenden Sinne den Aufwind.
Die Ausstellung mit Arbeiten von Raphael Mur ist bis 22. Februar 2025 im Kunstforum Unterland in Neumarkt zu sehen.
More articles on this topic
Culture | KunstDialogue
Culture | KunstTatverdächtige Entschlüsselungen
Culture | Salto AfternoonDer verlorene Sohn