"Ich bin jetzt irritiert"
„Ich bin jetzt irritiert. Das ist ja beinahe, wenn man die Ironie weglässt, ein Nazimaterial. Ich bin jetzt wirklich irritiert. Vom Drehbuch aus konnte man nichts erahnen. Der Regisseur hat es sicher ironisch gemeint, aber es kann sofort umgedreht werden“ kommentierte Josef Bierbichler den BFFB-Überraschungsfilm Fraktur von Regisseur Hans Steinbichler mit Bierbichler selbst in der Hauptrolle. Die Produktion, die im Rahmen des Projekts Deutschland 09 - 13 Filme zur Lage der Nation vor 10 Jahren entstand, erschien Bierbichler aus heutiger Sicht zu wenig klar: „Ich hätte gern hier mit Steinbichler zu diesem Film diskutiert.“ Dieser hatte allerdings am Dienstag über E-Mail sein Kommen zum Bozner Festival absagen müssen: „es tut mir sehr leid, aber ich bin morgen aus beruflichen gründen verhindert nach bozen zu kommen.“ entschuldigte sich der Regisseur des bekannten Films Hierankl und meinte weiter: „da ich ja „nur“ die fraktur als überraschung beitrage, ist der „schaden" übersichtlich, denke ich.“ Steinbichler hatte die Rechnung ohne Bierbichler gemacht.
salto.bz: Sie wurden in Bozen mit dem Kurzfilm „Fraktur“ überrascht. Es geht in diesem Film um das Handeln des Herrn Beintl, einem Industriellen, wohnhaft in Obersalzberg, dem die Fraktur-Schrift seiner Zeitung (Frankfurter Allgemeine) besonders am Herzen liegt. Was hat Sie an diesem Film – in welchem Sie die Hauptrolle spielen – so gestört?
Josef Bierbichler: „Wer die Fraktur nicht lesen kann, der kann das deutsche Wesen an sich nicht lesen.“ Wenn der Regisseur diesen Satz die Figur seines Films sagen lässt, bleibt alles offen. Dann kann sich natürlich der Steinbichler auch zurückziehen auf die Behauptung, dass er so etwas in der Gesellschaft sieht, dass es solche Menschen gibt, die behaupten, wenn die Frakturschrift weg ist, dann ist die ganze deutsche Geschichte weg. Es bleibt aber offen, ob er es selbst auch so meint. Das hat mich irritiert, weil ich mir gedacht hab, er, Steinbichler, spricht selber. Eine Figur, die einen bestimmten Satz mit bestimmten Inhalten sagt, das ist dann die Haltung der Figur, da leg ich schon sehr großen Wert darauf. Ohne dass ich jetzt von meiner Irritation weggehe.
Hätten Sie am liebsten den Kinosaal verlassen?
Nein. Ich schau mir Filme auf jeden Fall zu Ende an, um mit dem ganzen umgehen zu können. Rausgehen, das würde ich nie machen. Außer beim Film Der Schuh des Manitu, da bin ich nach einer Stunde hinausgegangen. Und das war immerhin der erfolgreichste deutsche Film aller Zeiten.
Die Arbeit die man nicht als Arbeit empfindet, ist doch eigentlich die, die man anstreben sollte.
Besteht ein Unterschied zwischen einer Interpretation von "Fraktur" im Jahr 2009 zu 2019? War eine solche Art der Ironie, der Satire, 2009 eher noch möglich?
Ich weiß nicht, ob das Satire ist. Hans Steinbichler hat vor der letzten Wahl in Bayern, wo Horst Seehofer noch einmal zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, für diesen Kurzfilme gemacht. Da hab ich schon gefragt: Warum macht der das? Was soll das? Und Steinbichler meinte, er sei von dessen Politik überzeugt.
Sie ärgert also das Engagement des Regisseurs für parteipolitische Filme?
Es gab bei Deutschland 09 auch die Kritik einer Journalistin, die damals geschrieben hat, dass die Filme auf angenehme Weise keine Position beziehen und damit die Struktur von rechts und links aufgehoben wird. Das halte ich für ganz gefährlich, denn die beiden unterscheiden sich meines Erachtens beträchtlich. Ich finde rechts und links sind zwei verschiedene Positionen, die müssen aufeinanderprallen, die kann man doch nicht egalisieren. Vielleicht ist aber Hans Steinbichler ein Egalisierer. Ich habe ihn lang nicht mehr getroffen und wir haben auch diese Gespräche viel zu wenig geführt. Ich halte ihn trotzdem für einen talentierten Filmemacher – auch wenn ein bisschen sentimental.
Wie wurden Sie in Ihrer Jugend politisch sozialisiert?
Ich war mit einem Medizinstudenten aus meinem Dorf befreundet, der während seines Studiums ein Praktikum für drei Monate in Südafrika absolvierte, weil er einen Arzt aus unserem Dorf kannte der dort eine Krankenstation führte. Als dieser Medizinstudent zurückkam, war er hochgradig politisiert, er hat die Apartheit erlebt und hat sich sofort der Anti-Apartheit-Bewegung angeschlossen. Das war für mich eine Initialzündung.
Sind Sie ein 68er?
Ich bin ein Nach-68er. Mit den 68ern ist bei mir gar nichts. Ich hab nicht studiert, ich war am Land und nicht in den Städten. Das ging alles völlig an mir vorbei. Vielleicht war das eh ganz gut.
Sie hatten ab Mitte der 1970er Jahre große Erfolge am Theater, waren später auch beim sogenannten Mitbestimmungstheater…
Ja, das war in Frankfurt. Da ging ich aber nicht gezielt wegen des Modells hin, sondern mich haben zwei, drei Regisseure dorthin gebracht, die dort arbeiteten. Ich hatte ja eigentlich mit Theater nie was zu tun gehabt und bin erst in der Schule von einem Mann besetzt worden, der sich um das Theater in der Schule gekümmert hat. Das war im Internat, wo ich vier Jahre, also zwischen 13 und 17 Jahren, gewesen bin. Dieser Mann war ein Südtiroler, der Pater Buzzi. Der hatte eine latente Zuwendung zu mir, die er vielleicht als körperlich empfunden, aber nie annähernd realisiert hat. Über ihn kam ich zum Theater. Daraufhin habe ich zu Hause, in meinem Dorf, eine Theatergruppe gegründet. Wir haben damals alles selber gemacht, und ich habe diese ganze Arbeit nicht als Arbeit empfunden. Daraus hab ich dann die These entwickelt: Die Arbeit die man nicht als Arbeit empfindet, ist doch eigentlich die, die man anstreben sollte.
Sie geben nicht gerne Interviews. Ein bayrischer Kollege, Gerhard Polt, hat mir einmal gesagt: Ich mag das Wort Interview nicht, aber wir können gerne ein Gespräch führen. Wie stehen Sie zu dieser Feststellung?
Das würde ich auch so sagen, und weil sie auch Gerhard Polt ansprechen, ich habe ihn auf der Bühne gesehen, als ihn noch kaum jemand gekannt hatte und sah sofort, dass der durch nicht zu große Selbstkontrolle eine große Kraft ausstrahlt. Das war eine enorme Kraft und man glaubte, der denkt gar nicht nach was er sagt. Aber das stimmte ja gar nicht.
Hat Sie bei Polt auch die Kraft des Dialekts beeindruckt?
Ja, seine ganze Präsenz, das hat mich ziemlich beeindruckt. Gestört hat mich nur, dass ich in dieser Zeit gerade vom Gebrauch des Dialekts wegkommen wollte – das ist ja der Auftrag einer Schauspielschule. Ich hab sogar einen Sommer lang die ganzen Übungen gemacht, aber als dann kein Ergebnis da war, da dachte ich mir: Scheiß drauf.
Sie sind ein Schauspieler, der auch literarisch tätig ist. Wann ging es mit dem Schreiben los?
Im Rahmen des Laientheaters hab ich schon erste Schreibversuche gemacht, aber ohne jedes Bewusstsein für Qualität. Vielleicht hätte ich damals auch weitergemacht, aber dann lernte ich Herbert Achternbusch kennen und dachte mir, das macht keinen Sinn mehr, der kann das besser. Es hat mich dann lange von der Eigenständigkeit abgehalten.
Wann war das?
Das war unmittelbar nach dem Film mit Werner Herzog, Herz aus Glas, da stammte das Drehbuch von Achternbusch. Und dort hab ich ihn auch kennengelernt.
Wenn Sie sich angegriffen fühlen, können sie gerne zum Grantler werden...
Wenn Sie das beobachten konnten, dass ich mich, wenn meine Haltung angegriffen wird, zu einer Reaktion gezwungen sehe, dann haben sie das schon richtig beobachtet.
Sie suchen die politische Diskussion?
Nein, ich geh dieser sogar lieber aus dem Weg. Aber wenn es sein muss, dann ja. Beispielsweise 1985, da gab es einen riesigen Skandal, weil in einem Achternbusch-Stück der Satz vorkam: Der letzte Terrorist ist mir lieber als der erste von der CSU. Da habe ich auch einmal die Vorstellung unterbrochen, bin von der Bühne runter und hab erklärt, worin der aktuelle Kern des Satzes liegt. Da hatte ich schon Lust, mit der Kraft, die man hat, die die Bühne einem verleiht, diese auch zu nutzen und nicht nur den Text aufzusagen.