Politics | Soziales Europa

Ein soziales Europa in weiter Ferne?

Friedhelm Hengsbach SJ, Jahrgang 1937, ehemaliger Professor für Christliche Gesellschaftsethik an der Theologischen Hochschule in Frankfurt a.M. befasst sich im „kompass“ des Katholischen Verbandes der Werktätigen vom Mai d.J. mit der Schieflage der Einkommens- und Vermögensverteilung in Europa. Er stellt fest, dass der Wirtschaftsgemeinschaft, dem gemeinsamen Binnenmarkt und der Währungsunion die politische Architektur und eine gleichwertige soziale Dimension fehlen.
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Die Römischen Verträge bekunden zwar die Absicht, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt zu stärken und die Kommission beschließt verbindliche Richtlinien zur Arbeitszeitgestaltung und zur Gleichstellung der Frauen. Aber über die Gestaltung der Sozialpolitik entscheiden die Mitgliedsländer selbst. Folglich bleibt es vorerst beim nationalen Sozialstaat. Dieser soll die Bürger gegen Arbeitslosigkeit, Armut und Erwerbsunfähigkeit absichern. Der Typ Sozialstaat in Deutschland, Österreich und Italien gewährleistet eine gesetzliche Alterssicherung, die durch Beiträge finanziert wird, aber nach dem Familienmuster der Erwerbsarbeit für die Männer und der Familienarbeit für die Frauen gestaltet wird.

Der skandinavische, englische und niederländische Typ Sozialstaat hingegen ein erwerbsunabhängiges Existenzminimum, das aus Steuern finanziert wird und verpflichtet die Unternehmen zu einer Zusatzversicherung.

Unter dem Vorwand des demografischen Wandels haben die Regierenden in den 90er-Jahren die sozialen Sicherungssysteme demontiert. Das amtliche Werben um eine freiwillige private Altersvorsorge nimmt keine Rücksicht auf die Lebenslage der atypisch, unsicher und prekär Beschäftigten. Damit ist das Risiko einer dramatischen Altersarmut insbesondere der Frauen vorprogrammiert.

Ist die wachsende Polarisierung zwischen den europäischen Staaten zu stoppen? Erwerbsarbeit, Arbeit in der Privatsphäre und ziviles Engagement müssen auf Männer und Frauen fair verteilt werden. Die Erwerbsarbeit ist kollektiv zu verkürzen und auf personennahe Dienste im Bildungs-, Gesundheits- und Pflegebereich umzuschichten. Der Staat muss die Umverteilung von unten nach oben stoppen und die Schieflage der Einkommens- und Vermögensverteilung rückgängig machen. Erst wenn der Sozialstaat der Mitgliedsländer wiederbelebt wird, rückt ein soziales Europa näher.