Gehören Gemeingüter wirklich allen?
Energie, Wasser, freie Software, Menschenrechte, Demokratie, Partizipation, Wissen: Die Gemeingüter erleben angesichts der aktuellen Klima-, Finanz- und Ernährungskrise eine Renaissance. Das ist ein Fazit des 500 Seiten starken Sammelbandes „Commons - Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat“, der von der Commons-Expertin Silke Helfrich und der Heinrich-Böll-Stiftung herausgegeben wird. Sie ist eine Commonsaktivistin und Publizistin, Mitgbegründerung der Commons Strategies Group und betreibt das Blog www.commonsblog.de. Über die Commons wird sie im Rahmen der Tage der Nachhaltigkeit "think more about" (15.-17. Mai in Brixen und Neustift) referieren. Hier ein Kurzinterview.
Wie kann man kurz und bündig die materiellen Gemeingüter bezeichnen?
Ich mag ja diese Einteilung in materielle und immaterielle Gemeingüter nicht. Aber wenn die Rede von „materiellen Gemeingütern“ ist, dann geht es meist um endliche, natürliche Ressourcen wie Rohstoffe, Energieträger, Wasser, Wald, Saatgut.
... im Gegensatz zu den immateriellen Gemeingüter?
Genau. Das meint in der Regel nicht fassbare, intellektuelle Ressourcen wie Wissen und Ideen – die codes der Informationsgesellschaft (Software) und die codes des Lebens, die Wissensallmende.
Und warum mögen Sie diese Begriffe nicht?
Weil sie den Kern der Gemeingüteridee nicht treffen. Der liegt nicht bei materiell oder immateriell. Der liegt noch nicht einmal bei den Gütern.
Das müssen Sie erklären!
Ganz einfach. Historisch wurden vor allem die in tatsächlichem Gemeindebesitz befindlichen Gewässer, Wiesen und Wälder als Gemeinschaftsgüter, bzw. Allmende (All+Gemeinde) bezeichnet. Das war als mittelalterliche Eigentumsform ein wesentlicher Bestandteil bäuerlichen Wirtschaftens und Lebens, auch in Südtirol. Denken Sie nur an die Waale. All-mende bedeutet soviel wie: „allen in der Gemeinde abwechselnd zukommend“. Jeder hat also ein Anrecht auf die Nutzung.
Aber auch Erhalt und Pflege „kommen den Nutzern abwechselnd zu“?
So ist es. Bei Allmende/ Commons geht es also im Kern um das Gemeinsame Tun. Wir nennen das Commoning. Es geht um einen fairen Umgang miteinander, um selbstbestimmte Normen und Regeln, so dass sich niemand über den Tisch gezogen fühlt. Im Fokus steht das "gemein-" im Gemein-gut, weniger das Gut. Will man nun das, was wir gemeinsam nutzen müssen gut organisieren, dann spielen Wissen, Ideen und Kultur immer eine entscheidende Rolle. Insofern ist das Immaterielle vom Materiellen nicht trennbar.
Gemeingüter sind also nicht einfach da, sondern sie müssen irgendwie erst organisiert werden?
Richtig. Man kann zum Beispiel Wasser zur Ware machen, indem man es in eine Flasche füllt, behauptet "jetzt ist es mein" und dann im Supermarkt verkauft. Man kann es aber auch zum Gemeingut machen und als solches nutzen und pflegen. Ich sage immer: Gemeingüter fallen nicht vom Himmel. Sie SIND nicht. Sie werden gemacht.
Und wie?
Dafür gibt es kein Patentrezept, aber ein paar Eckpunkte kann man skizzieren. Elinor Ostrom hat das im Ergebnis ihrer jahrzehntelangen Forschungen getan. Menschen brauchen Freiräume, um Regeln selbst auszuhandeln, Sie müssen an Problem- und Konfliktlösungen beteiligt sein. Transparenz und Fehlerfreundlichkeit sind Trumph. Die Selbstorganisationskraft der Menschen muss vom Staat respektiert werden und so weiter. Erst das führt zu einer hohen Akzeptanz von Regeln und Normen.
Warum sind Gemeingüter/ Commons so wichtig?
Weil es zugleich um Fairness und Freiheit geht. Keine Kleinigkeit! Und das müssen wir uns uns immer wieder erarbeiten, basierend auf dem Wissens, dass alles miteinander verbunden ist.
Neu ist das nicht?
Nein, Commons haben in allen Kulturen eine lange Tradition. Teilen, tauschen, gemeinsam nutzen: das ist eine Realität, aber sie muss immer wieder neu praktiziert werden. Commons sind die schwarze Materie unseres Wirtschaftssystems. Überall vorhanden und doch unsichtbar. Die Idee erlebt nun angesichts der aktuellen Klima-, Finanz- und Ernährungskrise eine Renaissance.
Commons bedeutet, dass Ressourcen von einem begrenzten Nutzerkreis nach selbst ausgehandelten Regeln genutzt werden. Commons und Allmende werden synonym gebraucht. Erneut bekannt geworden ist die Idee durch die Arbeit der US-Politologin Elinor Ostrom, die dafür 2009 den Wirtschafts-Nobelpreis erhielt.
Silke Helfrich und die Böll-Stiftung haben das Buch „Commons. Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat" herausgegeben. Über 90 Autoren beschreiben Perspektiven der Allmende im Transcript-Verlag. Silke Helfrich arbeitet zu Allmenden. Sie betreibt das Blog www.commonsblog.de. Von 1999 bis 2007 hat sie das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Mittelamerika/Mexiko-Stadt geleitet.