Politics | Mehr demokratische Gewaltenteilung in der EU überfällig

Wann wird das Europaparlament zum echten Parlament?

Am 25. Mai wählen wir das Europaparlament, das einzige direkt gewählte Organ der EU. Die EU ist nicht nur in ihrer Politik, sondern auch in ihrer institutionellen Architektur zu wenig demokratisch. Beredtes Beispiel dafür war die Stabilisierungspolitik gegenüber den Euro-Krisenländern seit 2010, die am EU-Parlament vorbei und gegen den Widerstand breiter Teile der betroffenen Bevölkerung durchgesetzt worden ist. Auch die EZB, eine Bank, mischt sich massiv in die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Mitgliedsländer ein, ohne demokratische Legitimation.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.

Die EU mag auch ein Friedens- und Wohlstandsprojekt sein, ist heute aber auch ein marktradikales Projekt, eine Union des Standortwettbewerbs, der Privatisierung, der Haushaltskürzungen und Defizitbegrenzung, der Bankenrettung mit Steuergeld, der Schaffung neuer Privilegien für Konzerne, wie etwa mit dem geplanten Investitionsschutzabkommen mit den USA TTIP. Dass der freie Warenverkehr vor allem auf der Straße über die Interessen auf Gesundheitsschutz der Anrainer der Verkehrsachsen gestellt wird, wissen wir an der Brennerachse zur Genüge. Die EU-Bürgerschaft hat zu wenig Mittel in der Hand - weder direkte noch indirekte - um auf diese Prozesse Einfluss zu nehmen.

In der EU fehlt das Gegengewicht eines echten Parlaments, das der Regierung das Vertrauen entziehen kann und einzige, legitime Instanz der Gesetzgebung ist. Der Vertrag von Lissabon ist bezeichnenderweise von den Regierungen erstellt und abgesegnet worden, nicht vom EP, nicht von einem Europakonvent. Dieser Grundlagenvertrag hat 2009 die Rechte des EP zwar gestärkt und die Rechte des Parlaments beim EU-Haushalt erweitert. Doch ist das EP im Rahmen der institutionellen Architektur der EU immer noch kein echtes Parlament. Hier einige der deutlichen Mängel:

  • Das EP wird nicht von einer europäischen Wählerschaft mit gemeinsamem Wahlrecht gewählt. So gibt es in einem Land Sperrklauseln (z.B. in Italien), in anderem Land keine (z.B. Deutschland), in einem Land Verhältniswahlrecht (Österreich), im anderen Mehrheitswahlrecht (Großbritannien).

  • Das Parlament ist nicht befugt, mit einfacher Mehrheit eine Regierung zu installieren. Parlamente wählen in der Regel Regierungen, sofern diese nicht direkt gewählt werden. Gemäß Lissaboner Vertrag hat das EP nur das Recht, die EU-Kommission zu bestätigen, während der Europäische Rat deren Mitglieder benennt. Das EP kann dann nur diesen Vorschlag blockieren, nicht jedoch eine eigene Wahl treffen.

  • Auch die ureigenste Aufgabe eines Parlaments, die Gesetzgebung, ist in der EU nicht primär Sache des Parlaments, sondern vor allem der Kommission (Art. 289,1 EU-Vertrag), wobei EU-Rat und EP den Vorschlag der Kommission annehmen oder ablehnen. Kein Wunder, dass die Lobby-Maschinerie in Brüssel die Kommission belagert, nicht so sehr das EP. Nicht zufällig richten sich Europäische Bürgerinitiativen nicht ans EP, sondern an die Kommission.

  • Das EP arbeitet nicht nach dem klassischen Schema Regierungsmehrheit versus Opposition, sondern es überlagern sich verschiedenste transversale Interessen: nationale Interessen, Lobby-Interessen, Parteiinteressen. Das EP drückt keine klare Regierungsmehrheit aus, sondern eine für den Wähler schwer durchschaubare "nach Mitgliedsländern sortierte große Koalition".

  • Für viele Wähler sind vermutlich auch die Verantwortungsbereiche nicht klar: wird die EU-Politik bei entscheidenden Beschlüssen vom Rat oder der Kommission bestimmt? Müssen alle EU-Rechtsakte vom Parlament abgesegnet werden? Die Exekutive und wichtigste Stätte der EU-Normenproduktion ist die Kommission: warum wird diese dann nicht vom Parlament gewählt und bei Bedarf abgewählt?

Wie man es dreht und wendet, es gibt in der EU noch keine klare Gewaltentrennung zwischen Exekutive und Legislative. EU-Politiker würden entgegnen, dass die EU eben kein Bundesstaat, sondern nur ein Verbund von Staaten sei. Die nationalen Interessen müssten immer wieder unter einen Hut gebracht werden. Deshalb gebe es keine konsequent parlamentarische Konstruktion, zumal verschiedene Mitgliedsländer sie auch offen ablehnen. Das ist ein Scheinargument: denn auch ein Verbund von Staaten kann sich im Interesse seiner Bürger einen durchgängig demokratisch-parlamentarischen Aufbau geben. Ein direkt gewähltes Parlament ist das Herz der Demokratie, somit muss es auch die eigentliche Quelle der Rechtsnormen sein. Das zum Schutz der nationalen Interessen erforderliche Korrektiv kann durch eine zweite Kammer eingerichtet werden, der "Staatenkammer", die wie der Bundesrat in Deutschland von den nationalen Parlamenten gewählt würde. Eine dritte Kammer, zuständig für alle irgendwie die Regionen betreffenden Fragen, könnte die "Kammer der Regionen" sein, besetzt mit Delegierten der Regionalparlamente. Die Übermacht des Europäischen Rats und der von ihr benannten Kommission könnte dadurch ein demokratisch besser legitimiertes Gegengewicht erhalten.

Thomas Benedikter

Zu diesem und anderen Themen diskutieren übrigens am kommenden Donnerstag, 15.5., 20 Uhr, im Bozner Kolpinghaus die Südtiroler EP-Spitzenkandidaten Dorfmann (SVP), Brugger (Tsipras-Liste mit SEL und Grünen), Leitner (Freiheitlichen und Lega) und Gruber (Italia dei Valori-Südtirol der Werte). Moderation: Georg Schedereit. Veranstalter: POLITiS und Netzwerk für Partizipation.

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Harald Knoflach Tue, 05/13/2014 - 08:40

"Die Übermacht des Europäischen Rats und der von ihr benannten Kommission könnte dadurch ein demokratisch besser legitimiertes Gegengewicht erhalten."

Wobei gesagt werden muss, dass der Europäische Rat keine Rechtsvorschriften erlassen kann. Er veröffentlicht nur "Schlussfolgerungen" nach denen dann der Rat der europäischen Union im Verein mit dem EP für die eigentliche Gesetzgebung sorgt.

Tue, 05/13/2014 - 08:40 Permalink