Arbeitsplätze. Was noch?
“Frauenpower braucht das Land: Stopp der Abwanderung” – “Why young women say no to rural Australia” – “Wenige junge Frauen im ländlichen Raum” – “Young men increasingly outnumber young women in rural Great Plains” – “Was ist dran am Exodus der Frauen vom Land?”
Dies einige Schlagzeilen, die aus einer kurzen Suche im Internet zu den Begriffen “Frauen”, “ländlicher Raum” und “Abwanderung” resultieren. Wird dieselbe Suche mit den Begriffen “Männer”, “ländlicher Raum” und “Abwanderung” durchgeführt, ist das Ergebnis dasselbe: Presseberichte und wissenschaftliche Studien dokumentieren die Abwanderung junger Frauen aus dem ländlichen Raum in städtische Zentren. Zurück bleibt eine überwiegend männlich geprägte Bevölkerung im ländlichen Raum*.
Auch in Südtirol scheint sich der Trend, nachdem es Frauen überwiegend in städtische Zentren zieht, zu bestätigen. Eine aktuelle Studie der EURAC und der Plattform Land hat deren Motive untersucht und so den Grundstein für den Beschlussantrag gelegt, der am heutigen Donnerstag im Landtag debattiert – und angesichts des breiten Konsens im Vorfeld aller Voraussicht nach angenommen – wird. Was macht den städtischen und was den ländlichen Raum in den Augen junger Frauen attraktiv? Und sind ihre Motive mit jenen der männlichen Bevölkerung vergleichbar?
Abwandererinnen – auch in Südtirol?
Das Kartogramm des ISTAT bildet die 116 Südtiroler Gemeinden nach dem Verhältnis zwischen der Anzahl an Frauen und der Anzahl an Männern in den Gemeinden ab. In den weißlich und lachsfarben eingefärbten Gemeinden überwiegt die Anzahl der Frauen, während in allen anderen Gemeinden die Anzahl der Männer leicht oder deutlich überwiegt. Auffallend sind vor allem die städtischen Gemeinden über 10.000 Einwohner: In Bozen, Brixen, Bruneck und Meran leben deutlich mehr Frauen als Männer, in Leifers etwas mehr Frauen als Männer.
Sieht man von den städtischen Gemeinden über 10.000 Einwohnern ab, haben die meisten Gemeinden eine überwiegend männliche Bevölkerung. Die angeführten Ergebnisse könnten ein Indiz dafür sein, dass sich der Trend, nachdem verhältnismäßig viele Frauen aus dem ländlichen in den städtischen Raum abwandern, auch in Südtirol manifestiert. Als Beweis kann das Kartogramm jedoch nicht angeführt werden (unter anderem deshalb nicht, weil Faktoren wie das Alter der Bevölkerung eine einschneidende Rolle spielen könnten**). Weder eine rezente WIFO-Studie zur Attraktivität des ländlichen Raums noch die Studie der EURAC und Plattform Land zu den Motiven von Südtiroler*innen, im ländlichen Raum zu leben – beide stammen aus dem heurigen Jahr –, konnten genaue genderspezifische Daten zur Ab- und Zuwanderung im ländlichen und städtischen Raum erheben.
Gezielte Studien vorerst nicht geplant
Genau an diesem Punkt soll der Beschlussantrag zur Förderung junger Frauen in Südtirols ländlichen Gemeinden ansetzen. Das Problem müsse, so die Erstunterzeichnerin Brigitte Foppa (Grüne), zuallererst südtirolspezifisch erfasst werden, um darauf aufbauend gezielte Maßnahmen setzen zu können. Auf Druck der Mehrheit wurde dieser Punkt jedoch bereits im März gestrichen. Die geschlechtsspezifischen Daten zum Thema seien zwar noch nicht vollständig, so die SVP-Abgeordnete und Mitunterzeichnerin des Antrags Magdalena Amhof, man wisse aber genug, um direkt zur Handlung – der Förderung junger Frauen im ländlichen Raum – übergehen zu können.
“Junge Frauen schätzen den ländlichen Raum”
Wie Foppa betont, geht es im Beschlussantrag ‘Frauenköpfe fördern’ um mehr als demografische Entwicklung, Raumplanung und Bevölkerungspolitik: “Es geht vor allem auch darum, die Lebensentwürfe von jungen Frauen, von denen viele gerne im ländlichen Raum leben würden, zu vervollständigen." Dass viele junge Frauen den ländlichen Raum schätzen und unter Umständen auch gerne dort leben würden, zeigen die Ergebnisse der EURAC-Studie. Vor allem Natur, Lebensqualität und Freizeitmöglichkeiten sowie die Möglichkeit der Familienplanung und Kinderbetreuung – häufig durch die Großeltern oder Tagesmütter – bewegen junge Frauen dazu, den ländlichen Raum als Wohnort zu schätzen. Für viele bleibt die Attraktivität des urbanen Raums jedoch ungleich größer.
Einer der Gründe, der auch in anderen Studien häufig zitiert und von der Präsidentin des Frauenbeirats der Handelskammer, Marina Rubatscher Crazzolara, betont wird, ist der höhere Bildungsgrad vieler junger Frauen. Viele übersiedeln schon in jungen Jahren ausbildungsbedingt in die (Groß-)Stadt und bleiben aufgrund von Karriere- und anderen Möglichkeiten dort. Auch die Offenheit einer Gesellschaft, die häufig in urbanen Zentren angetroffen werden kann, spielt für Frauen eine ungleich größere Rolle als für Männer.
Während die EURAC-Studie die vielschichtigen Beweggründe junger Frauen aus den ländlichen Gebieten abzuwandern, nur limitiert erfassen konnte, wurden Unterschiede in den Prioritäten zwischen Männern und Frauen deutlich: Während Frauen häufig Familie und Partnerschaften als ausschlaggebende Motive für Ab-, Zu- oder Rückwanderungen in den ländlichen Raum angaben, überwogen bei Männern die berufsspezifischen Motive und Wohnmöglichkeiten. “Frauen sind sehr flexibel”, so Rubatscher Crazzolara, "berufsspezifische Standortfaktoren sind für viele zweitrangig. Einige Frauen, die in kreativ-technischen Sektoren tätig sind, können auch von zu Hause aus arbeiten; andere wenden sich rollenspezifischen Berufen zu, in denen sie auch im ländlichen Raum eine Anstellung finden”.
Mehr als nur Arbeitsplätze
Aufbauend auf diesen Erkenntnissen wird deutlich, dass die Förderung junger Frauen im ländlichen Raum gezielter Eingriffe bedarf, die über die Schaffung von Arbeitsplätzen hinausgehen: Maßnahmen zur Vereinbarung von Familie und Beruf oder der Ausbau einer offenen Gesellschaft zum Beispiel. Natürlich sind Familie und Kinderbetreuung keine reine Frauensache. Wie Foppa betont, gibt es jedoch Hinweise darauf, dass die Familienplanung bei jungen Frauen im Moment noch immer eine wichtigere Rolle spielt als für Männer, wenn sie eine Rückkehr in die dörfliche Heimatgemeinde erwägen. Rubatscher Crazzolara nennt in diesem Sinne das Angebot flexibler Kinderbetreuung und die Modernisierung des Schulsystems als wichtige Reformansätze, um Frauen in ländlichen Gemeinden zu unterstützen. Letzteres müsse auch eine Hausaufgabenbetreuung am Nachmittag anbieten.
Einige Lösungsansätze brachte die Landtagsdebatte im März. Die SVP-Abgeordnete Jasmin Ladurner verwies auf das Potenzial von Co-Working-Spaces – also geteilte Arbeitsplätze für Menschen, die in verschiedenen Sektoren vor allem online tätig sind –, während Myriam Atz Tammerle (Südtiroler Freiheit) forderte, dass jenen, die sich bewusst dafür entscheiden, ihre Kinder selbst zu betreuen und auszubilden oder kranke Familienmitglieder zu pflegen, die aufgebrachte Zeit für die Pension anerkannt werden sollte. Auch die Förderung von spezifischen Berufsausbildungen wurde genannt.
Der Beschlussantrag sieht vor, in Zusammenarbeit mit Vertretungen der Frauen, der Jugend und des ländlichen Raums nötige und mögliche Rahmenbedingungen zu identifizieren, um der Abwanderung im Hinblick auf Südtirol im Allgemeinen und auf den ländlichen Raum im Spezifischen entgegenzuwirken. Die daraus folgenden Handlungsanleitungen sollen anschließend in die Erarbeitung der Strategieziele der Politik der Landesregierung einfließen.
*Armutsbetroffene Regionen im globalen Süden bilden vielerorts eine wichtige Ausnahme zu diesem Trend.
** Die Gesamtbevölkerung in Südtirol ist überwiegend weiblich geprägt, wobei hier auch die höhere Lebenserwartung von Frauen eine entscheidende Rolle spielen dürfte.