Culture | Lyrik

N.C. Kaser-Preis geht nach England

Auf dem Vigiljoch wurde der 13. Kaser-Lyrikpreis an den englischen Dichter Tom Raworth übergeben, für seine „kühne und erfrischend unberechenbare Dichtung“.

Seit 1988 gibt es den Kaser-Lyrikpreis, der 10 Jahre nach dem Tod des Brunecker Ausnahmeliteraten von Paul Flora, Markus Vallazza, Paul Valtiner und den Bücherwürmern Lana begründet wurde; ein Preis, der immer wieder Ausschau hält nach Dichtern und Autoren die bockig und kaserisch den gesellschaftlichen und politischen Weltzuständen ihre Stirn bieten.

Diese Autoren hat man letzthin im nordeuropäischen Raum gefunden, doch das sei reiner Zufall, sagt Christine Vescoli, Leiterin von Literatur Lana/Bücherwürmer. Seit drei Jahren wird der Kaser-Lyrikpreis  im Staffelmodus vergeben. Das heißt, der Preisträger des Vorjahres schlägt seinen Nachfolger vor. Damit wird die Auszeichnung einer einzelnen dichterischen Entscheidung anvertraut und wandert so von Land zu Land, von Schweden nach Norwegen, weiter nach Schottland und ist jetzt in England angelangt, wo Tom Raworth zwischen Brighton und London lebt.

Einzige Auflage für den Preis ist die, dass er in ein jeweils anderes Land gehen muss. Daran hat sich der Vorjahrespreisträger gehalten, der Schotte Tom Leonard hat die mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung nach England weitergegeben, denn Ausland ist für den Schotten sämtliches Gebiet jenseits von Hadrian’s Wall, der antiken römischen Grenzmauer. „Eine witzige und im Sinne des Preises widerständige Entscheidung“, findet Christine Vescoli: „Der Staffel-Modus hat sich bisher sehr gut bewährt, denn wir glauben, die Dichter sind die besten Kenner und Kritiker ihres Fachs und die Vorschläge die uns ins Haus flattern, sind immer wieder Überraschungen.“ Der rote Faden des Preises bleibt jener im Andenken an Norbert Conrad Kaser, seiner experimentierfreudigen, berserkernden und feinfühligen Dichtkunst, eine Dichtung die nicht behauptet und gängigen Sprachmustern folgt, sondern die einübt „in das Unerhörte und Unbehauste, in das Gegenläufige und Widersinnige von Sprache“, wie Vescoli im Nachlese-Band zu den Preisträgern der letzten Jahre schreibt.

"Mein Konzept ist es, ganz leer zu sein, und dann zu schauen, was sich klanglich tut." Tom Raworth

Tom Raworth, geboren 1938, steht in guter Tradition zu Kaser, er schreibt „mit unglaublichem Furor und sozialem Zorn auf eine Klasse die den Herrschaftsanspruch in fixer und rigider Form an sich gepresst hält“, wie Vescoli sagt. Raworth unterwandere diesen Herrschaftsanspruch sprachlich, indem er die Floskeln und Redemuster dieser Herrschenden auf den Kopf stellt, lächerlich macht und demaskiert. Dabei tut er dies mit einer Redlichkeit, die ihresgleichen sucht, findet Laudator Tom Leonard, der Schotte

„Seine (Raworths, Anm.d.Red.) Grenzüberschreitungen im Leben wie in der Kunst, seine unablässigen Befragungen der Form geschahen mit großer Beharrlichkeit, ohne dabei aufzutrumpfen, ohne das Licht der Scheinwerfer zu suchen, in keiner Weise als Projektion eines romantischen, nach Öffentlichkeit lechzenen Dichter-Egos. Stattdessen eine stille, vergnügte, intelligente, neugierige, unendlich einfallsreiche, forschende Befragung, direkt an den Schnittstellen der Kulturen: ein schöpferischer Künstler, ein Makar, um den schottischen Ausdruck für „Barde“ zu verwenden…"

Die Preisverleihung fand im Vigilius Mountain Resort auf dem Vigiljoch statt, einem abgeschiedenen und mondänen Ort, der einen guten Rahmen für die Veranstaltung abgibt; Tom Raworth konnte leider nicht dabei sein, da er schwer krank in London blieb und „bisher noch nicht stärker als seine Krankheit war“, wie Elmar Locher, Präsident der Bücherwürmer/Literatur Lana anmerkte. In einer Videobotschaft übermittelte Raworth seine Grußbotschaft auf deutsch und englisch und Südtirols junge Autoren antworteten ihm. „5 for Tom“ hieß die Aktion, in der Maria C. Hilber, Louis Schropp, Gerd Sulzenbacher, Matthias Vieider und Jörg Zemmler ihre Texte vortrugen und so mit den Beiträgen von Tom Leonard und Ulf Stolterfoht den Zuhörern Gelegenheit gaben, sich für einige Stunden in die wohltuende Welt der Worte zu versenken.

Zum Schluss hier noch eines der Gedichte von Tom Raworth:

Die Vergangenheit oben, die Zukunft unten

Und die Gegenwart, die herunterströmt: das Brüllen,

das Brüllen der Gegenwart, eine Rede –

das ist, worum es bei mir geht, und kann gar nicht anders sein

(Übersetzung von Josephine und Anselm Hollo)