Politics | Demokratie 2.0
Der moderne Verführer und die Demokratie
Foto: upi
Obwohl spätestens nach seinem Sieg bei der Präsidentenwahl vorausgesagt, ist der neuerliche Wahltriumph von Emmanuel Macron doch beeindruckend, für viele besorgniserregend. Die französischen Medien überschlagen sich mit erstaunt-bewundernden, aber auch warnenden Superlativen: Geniestreich, Meisterstück, Höhenflug, erdrückende Mehrheit, OPA (feindliche Übernahme) und Macronmania. Wer hätte noch vor kurzem gedacht, dass der 39ig-jährige Ärztesohn und Eliteschüler mit einer vor 16 Monaten gegründeten Bewegung die Hälfte der politischen Klasse Frankreichs einfach austauscht, verjagt und zu einem guten Teil durch unbekannte Nichtpolitiker ersetzt.
Die konstitutionelle Wahlmonarchie
Ein kurzer historischer Rückblick hilft – zumindest teilweise – den Ausgang der jüngsten Wahlen zu verstehen. Nach dem 2. Weltkrieg litt das befreite Frankreich unter extremer politischer Instabilität, auch dank eines rein proportionalen Wahlrechts. In nur 10 Jahren lösten sich 24 Premierminister und 28 Regierungen ab. Wegen des Kolonialkrieges in Algerien und der herrschenden Dauerkrise wurde 1958 der als Held des Widerstandes und Befreier des Vaterlandes gefeierte General Charles de Gaulle zu Hilfe gerufen. Dieser schuf per Referendum die Fünfte Republik. Um das „chaotische Gezänk der Parteien“ zu überwinden wurde die direkte Volkswahl des Präsidenten eingeführt, eines Präsidenten, der mit den größten Kompetenzen und Sondervollmachten aller derzeitigen Demokratien inklusive USA ausgestattet ist. Seit de Gaulle ist der Präsident der Angelpunkt der politischen Ordnung, der sich über die Parteien erhebt und ein direktes Sonderverhältnis zum Volk und zur Nation pflegt – eine Art Führer und Wahlmonarch.
Macron: rottamatore, Machiavell und neuer starker Mann
Emmanuel Macron hat geschickt auf diese Tradition der 5. Republik und zugleich auf die in den meisten Demokratien herrschende Skepsis gegenüber „den Politikern“ gesetzt. Bewegung statt Partei, nicht links oder rechts, sondern beides, 40% der Kandidaten Nicht-Politprofis aus der Zivilgesellschaft.
Indem Macron gleich nach seiner Wahl zum Präsidenten einen prominenten Konservativen zum Regierungschef sowie weitere Schwergewichte der Républicains, der Zentristen und Sozialisten zu Schlüsselministern machte, gelang ihm die Spaltung dieser Parteien. Zusätzlich verzichtete er auf eigene Kandidaten in rund 40 Wahlkreisen, in denen moderate Konservative Aussicht auf Erfolg haben – die Überläufer häuften sich, der Zerfall der althergebrachten Parteienlandschaft war perfekt.
Neben dem einfachen Mehrheitswahlrecht ohne Zweitstimme oder Restman-daten sorgte bisher die fixe Terminsetzung der Parlamentswahlen gleich im Anschluss an die Präsidentenwahl immer für eine komfortable Mehrheit. So auch diesmal. Wenn sie ihn schon zum Präsidenten gemacht haben, wollen die Franzosen, dass er auch eine Regierungsmehrheit hat, um seine Versprechen umzusetzen. Am kommenden Sonntag sollte Macron mehr als 400 von 577 Sitzen einfahren. Das hat mit der tiefen Krise der übrigen Parteien zu tun, aber auch damit, dass dieser Sieg so klar vorausgesagt worden war und damit viele Gegner schlicht und einfach in die Resignation getrieben wurden. Denn nicht das große Übergewicht in der Nationalversammlung allein ist bedenklich – solche Mehrheiten hat es in der Vergangenheit sowohl auf konservativer wie sozialistischer Seite gegeben. Neu und geradezu schockierend ist die historisch niedrigste Wahlbeteiligung – keine 49%! Deshalb wird Macron mit rund 32% der Stimmen über etwa 70% der Abgeordneten verfügen. Dabei haben gerade einmal acht von 47 Millionen Wahlberechtigte für Macrons „La Republique en Marche!“ gestimmt.
Alles `raus und alles neu!
Fälschlicherweise werden heute sehr häufig sämtliche Bewegungen, die außerhalb der langgedienten Volksparteien große Aufmerksamkeit und oft schwunghaften Wählerzuspruch ernten, als Populisten bezeichnet. Ein in der Regel abschätzig bis warnend verwendeter Begriff. Trump, UKIP, Le Pen, Geert Wilders, Wahre Finnen und Schwedendemokraten, Strache, AFD und Salvini sind dann die Rechtspopulisten, Bernie Sanders, Jeremy Corbyn, Jean-Luc Mélenchon, Die Linke, Podemos, Syriza und bis zu einem gewissen Grad sogar Renzi die Linkspopulisten und Grillos M5s ganz einfach Populisten schlechthin. Dabei handelt es sich um eine verwaschene Hilfskategorisierung, die wenig über die jeweiligen Bewegungen und deren Anführer aussagt, noch weniger über deren Anhänger und Wähler.
Gemeinsam ist all den Genannten, dass sie reale Sorgen, Schwierigkeiten, Probleme und Ängste breiter Bevölkerungsteile aufgreifen. Gemeinsam ist ihnen ebenfalls, dass sie gegen die bisher regierenden und oft privilegierten Parteien und Wirtschaftseliten ankämpfen. Gemeinsam ist ihnen schließlich, dass sie versprechen „auf eine neue, andere, gerechtere Art“ Politik machen zu wollen und dass sie entweder „das Volk“ verkörpern oder zumindest dessen Sprachrohr sind. Gemeinsam ist ihnen also dass sie „antisystem“ sind, Außenseiter gewissermaßen, aber eben „gute Außenseiter“. Nur wenn die seit langem dominierenden Kräfte, „die Kaste“, verjagt und alles neu geordnet wird, sei eine positive Veränderung möglich, verkünden sie.
Gemeinsam ist ihnen schließlich, dass sie versprechen „auf eine neue, andere, gerechtere Art“ Politik machen zu wollen und dass sie entweder „das Volk“ verkörpern oder zumindest dessen Sprachrohr sind.
Radikale und extreme Rechte wollen die nachteiligen oder bedrohlichen Auswirkungen der permanenten Umbrüche infolge der alles erschütternden Globalisierung mit Turbo-Finanzkapitalismus und technologischer Revolution im Wesentlichen durch die Rückkehr zu Werten und Gesellschaftssystemen des 19. und 20. Jahrhunderts abwenden: zurück zur beschützenden Nation, wenn möglich zu einer ethnisch und religiös homogenen. In der Regel fordern diese Bewegungen auch die plebiszitäre „Volksdemokratie“ und den starken Mann.
Die „authentischen“ oder radikalen Linken fordern hingegen, die Rückkehr zu einem Staat, der den globalisierten Kapitalismus bändigen und knebeln soll, um die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Interessen der Mehrheit der Gesellschaft zu schützen, anstatt sie der reinen Wachstums- und Profitlogik zu opfern. Wohin die rechten Heilssehnsüchte mit Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, Abschottung und Autoritarismus führen – diese Erfahrung haben wir schon zur Genüge gemacht. Die radikal linken Forderungen sind zwar ein legitimer Versuch, die teils katastrophalen Wirkungen und Gefahren der längst entglittenen Globalisierung wieder einzubremsen, wie Brennstäbe in einem Nuklearreaktor, aber auch sie bleiben hilflos defensiv. Defensiv, weil sie kaum zukunftstaugliche Antworten auf die Herausforderungen der technologischen und gesellschaftlichen Modernisierung geben.
Macron oder die Quadratur des Kreises
Womit wir wieder bei Macron angelangt wären. Er verspricht nämlich nichts Minderes als das: die genannten Widersprüche zu überwinden. Deshalb nicht rechts und nicht links, sondern von beiden das Beste. Ein starkes Frankreich in einem starken Europa, die Globalisierung als Chance sehen, eine offene Gesellschaft, die das Fremde nicht fürchten braucht, wenn sie selbstsicher und stark ist. Die Wirtschaft (neo-)liberal deregulieren und modernisieren, aber nach dem skandinavischen Konzept der „Flexicurity“ – also mehr Flexibilität bei den Rechten für Arbeiter und Angestellte, dafür bessere soziale Abfederung. Weniger Regulierung und Bürokratie für die Unternehmen, aber mehr Staat bei der Förderung von Infrastruktur und Innovation etc. Zugegebenermaßen genial gelungen ist Macron bisher seine Methode einer „neuen Dialektik“ bei der Revolutionierung der politischen Landschaft. Ebenso – und das ist nicht zu unterschätzen – hat er sich als „Antisystem-Erneuerer“ profilieren und im über Jahre niedergeschlagen wirkenden Frankreich wieder Zuversicht und Optimismus wecken können. Wie lange dieser Schwung anhalten wird, bleibt abzuwarten.
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Ob sich die Franzosen noch
Ob sich die Franzosen noch darüber wundern werden, was sie da im Gesamtpaket alles gewählt haben? Macrons Politik wurde kürzlich in der Repubblica mit den drei Schlagworten "Mercato del lavoro, fisco e riforma della scuola" zusammengefasst. Der erste Punkt bedeutet nichts anderes als irgendeine Variante der Agenda 2010 und der zweite Steuersenkungen für Unternehmen. Und irgenwann wird Macron wohl auch die überfällige Reform des großzügigen frz. Rentensystems angehen müssen...
Ja, es gibt wirklich
Ja, es gibt wirklich beachtliche Ähnlichkeiten zu Renzis Dialektik. Aber es gibt auch einen großen Unterschied, aus dem Macron wahrscheinlich gelernt hat. Nämlich besser alles auf eine Karte zu setzen, seine eigene Partei gründen und nicht versuchen eine ganze Partei zu erneuern - zu italienisch "rottamare".
Würde mich freuen, wenn mir jemand erklären könnte, ob es in Italien auf Grund der unterschiedlichen Wahlgesetze und institutionellen Grundprinzipien, für Renzi möglich gewesen wäre, eine eigene starke Partei zu gründen, oder eben nicht.