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Auf der Seufzerbrücke

Das Landesgericht Venedig hat die Sammelklage des Südtiroler Aktionärskomitee gegen die Volksbank zugelassen. Damit kommt auf die Südtiroler Bank eine Lawine zu.
Volksbank Hauptsitz
Foto: Oskar Dariz
  • Massimo Cerniglia ist keiner, der sich leicht aus der Ruhe bringen lässt. „Es ist das erste Mal in Italien, dass eine solche Sammelklage überhaupt zugelassen wird“, sagt der römische Anwalt, der seit über einem Jahrzehnt auch Südtirols Verbraucherschützer in Verfahren gegen die lokalen Banken vertritt. Cerniglia fügt nicht ohne Stolz hinzu: „Das ist ein historischer Moment“.
    Am Mittwoch hat das Landesgericht Venedig eine Sammelklage des Aktionärskomitees Südtirol und der Verbrauchschutzorganisationen Robin und Centro Consumatori Italia zugelassen. Hunderte von Südtiroler Sparern und Volksbank-Aktionäre ziehen damit vor Gericht, um jenen Schaden wieder gutzumachen, der ihnen durch den Kauf von Volksbank-Aktien entstanden ist. 
    Die Stimmung auf der Gegenseite dürfte damit weit düsterer sein. Denn auf die Südtiroler Volksbank kommt jetzt eine Sammelklage zu, bei der es um viel Geld geht. Es ist der Super-GAU für eine Südtiroler Bank. Dabei lag in der Hand der Bankenführung den Schnellball vorzeitig zu stoppen. Doch das wollte man nicht.

  • Die Kapitalerhöhung

    Ausgangspunkt der Klage ist die Kapitalerhöhung und die Umwandlung der Volksbank in eine Aktiengesellschaft 2015/2016. Ende 2015 hat die Südtiroler Volksbank zur Aufstockung ihres Eigenkapitals fast fünf Millionen neue Aktien ausgegeben; über 95,7 Millionen Euro brachte diese Aktion. 28.000 Menschen kauften die Aktien. 26.800 davon waren bereits Volksbank-Aktionäre, 1.200 stiegen neu ein. Der Preis der Aktie: 19,20 Euro. Festgelegt nicht etwa durch ein unabhängiges Schätzgutachten, sondern per Beschluss des Verwaltungsrates.
    Wenige Monate später folgt dann die Ernüchterung. Bei der Umwandlung der Genossenschaftsbank in eine Aktiengesellschaft können Gesellschafter von einem gesetzlich festgelegten Rücktrittsrecht Gebrauch machen. Ein Sachverständigengutachten legt den Aktienpreis, den die Bank diesen scheidenden Gesellschaftern zahlt, auf 12,10 Euro fest.

  • Anwalt Alessandro Caponi, Verbraucherschützer Walter Andreaus und Massimo Cerniglia: „Das erste Mal in Italien, dass eine solche Sammelklage überhaupt zugelassen wird“. Foto: Salto.bz
  • Spätestens damit wird klar, dass der Aktienpreis 10 Monate zuvor deutlich zu hoch angesetzt worden war. Es brandet ein Sturm der Empörung auf, und Hunderte Volksbank-Aktionäre wenden sich an das Südtiroler Aktionärskomitee und Massimo Cerniglia.
    Die Verbraucherschützer und der römische Anwalt nehmen sich der Fälle an und fahren von Anfang an eine zweigleisige Strategie.
    Zum einen reicht man einige wenige Musterklagen gegen die Volksbank beim Landesgericht Bozen ein. Zum anderen aber hinterlegt man im Namen der Aktionäre hunderte Beschwerden beim Finanzschiedsgericht (ACF) der italienischen Börsenaufsicht Consob.

  • Problematische Information

    Das Finanzschiedsgericht der Börsenaufsicht hat inzwischen 40 Entscheidungen gefällt, in denen ein unkorrektes Verhalten der Südtiroler Volksbank zum Schaden der Aktienkäufer festgestellt wird.
    Das unabhängige Expertengremium kommt zum Schluss, dass die Volksbank beim Verkauf ihrer Aktien nicht die Verhaltensregeln des Einheitstextes für das Kreditwesen und der Consob-Verordnungen eingehalten hat, mit denen die MiFID-Richtlinien (2004 und 2006) umgesetzt wurden. Vor allem aber wurde in den gesetzlich vorgeschriebenen Broschüren wörtlich erklärt, dass der Preis der Aktien im Laufe der Zeit nicht niedriger sein kann bzw. wird als der bei der Platzierung der Aktien gezahlte Ausgabepreis.
    Diese Erklärung wurde vom Finanzschiedsgericht als irreführend angesehen und „habe die notwendige, freie und bewusste Entscheidung der Sparer vereitelt.“ Daraus sei laut dem Schiedsgericht den Betroffenen ein schwerer Schaden entstanden, da die Aktien im Vergleich zum Kaufpreis fast 50 % an Wert verloren haben.
    Dieses Urteil einer institutionellen und von den Banken anerkannten Schiedskommission ist jetzt auch der Kernpunkt der ersten Sammelklage. „Hier wurden alle 28.000 Käuferinnen und Käufer mit falschen Informationen in die Irre geführt“, sagt Massimo Cerniglia.

  • „Unmögliches Verhalten“

    Die amtierende Führung der Volksbank hat einiges dazugetan, dass es überhaupt zu diesen zwei Sammelklagen gekommen ist. „Die Zermürbungstaktik der Südtiroler Volksbank gegenüber ihren geschädigten Aktionären hat den Ausschlag gegeben, diesen Schritt zu tun“, sagt Walter Andreaus.
    Denn die Volksbank hat nicht nur den Großteil der Schiedssprüche des Finanzschiedsgericht (ACF) mehr oder weniger ignoriert. Die Bank hat auch einen Schritt getan, den man als böses Foul auf dem Spielfeld für Kontroversen dieser Art bezeichnen kann.

  • Versammlung der Volksbank-Aktionäre: 2.000 Schriftliche Beschwerden eingereicht. Foto: aaa

    Das Aktionärskomitee hat bisher 2.000 schriftliche Beschwerden bei der Volksbank eingereicht. Normalerweise setzen sich die Bankverantwortlichen spätestens in dieser Situation mit den Vertretern der Kläger - dem Aktionärskomitee - in Verbindung, um eine einvernehmliche Lösung auszuloten.
    Doch die Volksbank hat sich bisher nicht gemeldet. Im Gegenteil: Die Beschwerdeführer werden von der Bank einzeln vorgeladen und zu einer Mediation vor der Anwaltskammer geladen. Dort handelt man dann individuelle Entschädigungen aus, die weit unter dem Wert liegen, der den Klageführern zustehen dürfte.

  • Das Verhalten der Bank erinnert an das 18. Jahrhundert“, kanzelte Massimo Cerniglia bereits vor einem Jahr diesen Versuch der Volksbankführung ab, die Kläger auseinander zu dividieren.
    Diese Aktion der Bank sei der berühmte Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen brachte und letztlich mit ausschlaggebend für die Sammelklagen ist.

  • Zugelassene Klage

    Im Dezember 2022 reichten die Anwälte Massimo CernigliaAlessandro Caponi und Roberto Ciammarughi schließlich die Sammelklage ein. Zuständig für Südtirol in Bankangelegenheiten ist dabei das Landesgericht Venedig.
    Dabei ist von Anfang an, eines klar. Die schwierigste Hürde ist die Frage, ob das Gericht die Sammelklage überhaupt zulassen wird. Die erste Verhandlung ging am 11. Mai 2023 in Venedig über die Bühne. Dabei brachten beide Parteien - die Verbraucherschützer und die Bank - vor Gericht ihre Beweggründe vor. Am 13. Juli 2023 wurden schließlich die Schriftsätze hinterlegt und mündlich erläutert. Der Richtersenat bestehend Silvia Bianchi, Tania Vettore und Sara Pitinari zog sich daraufhin zur Beratung zurück, um über die Zulassung der Sammelklage zu entscheiden. Am 11. September 2023 wurde jetzt die Entscheidung zugestellt. Die Klage ist zulässig.

  • Der nächste Schritt

    Dabei könnte dieses Verfahren nur der erste Schritt sein. Denn schon von Beginn an, haben Cerniglia und Andreaus, zwei verschiedene Sammelklagen gegen die Volksbank in Aussicht gestellt. In diesem Verfahren geht es um den Informationsprospekt beim Aktienverkauf. Dazu aber hat man sich auch auf einem zweiten Schauplatz vorbereitet. 
    In einer  zweiten Class Action will man gegen den anläßlich der Kapitalerhöhung 2015 von der Bank festgelegten Wert von 19,20 € je Aktie. Im Rechtsstreit der ausgeschiedenen Aktionäre vor dem Bozner Landesgericht wurde ein Gerichtssachverständiger ernannt, der den Wert der Volksbank-Aktien zum fraglichen Zeitpunkt mit 11,04 Euro je Aktie ermittelte. Walter Andreaus: „Die Volksbank scheint daher bei der Platzierung einen überhöhten Preis verlangt zu haben, einen Aufpreis von mehr als 73% gegenüber dem realen Wert der betreffenden Aktien.

  • Landesgericht Venedig: Hat die Sammelklage der Verbraucherschützer jetzt zugelassen. Foto: Ministero della Giustizia

    Alles das mache deutlich, dass die Bank den europäischen Grundsatz des ehrlichen und fairen Handelns nicht beachtet habe und dementsprechend den Sparern ein erheblicher Schaden entstanden ist. Derzeit wird die Volksbank-Aktien auf der Hi-MTF-Plattform mit rund 9,00 € gehandelt. De facto ist die Aktie aber fast unverkäuflich. „Wir haben einen konkreten Fall, wo ein Sparer in den letzten drei Jahren 21-mal vergeblich versucht hat, seine Aktien auf diese Plattform zu verkaufen“, plaudert Alessandro Caponi aus der Schule.

  • Mit der Sammelklagen will man jetzt erreichen, dass das Gericht den Aktionären zumindest einen Schadenersatz in Höhe der Differenz zwischen dem Kaufpreis der Aktien und ihres tatsächlichen Wertes - wie vom Gerichtssachverständigen des Landesgerichts Bozen festgestellt- zuspricht.
    Wir werden aber zuerst den Ausgang dieser Sammelklage abwarten“, sagt Massimo Cerniglia, „bevor wir diesen zweiten Schritt machen“.

  • Glückliche Sparkasse

    In einem anderen Südtiroler Bankhaus hingegen, wird man jetzt lachen: In der Südtiroler Sparkasse.
    Auch dort hatten Massimo Cerniglia und das Aktionärskomitee in ähnlichen Streitfällen hunderte Kläger und Aktionäre vertreten, die sich bei den Kapitalerhöhungen 2008 und 2012 hinters Licht geführt fühlen. Auch dort bereitete man vor zwei Jahre eine Sammelklage vor. Doch dann kam es zu Gespräche auf Augenhöhe zwischen den Anwälten der Verbraucherorganisationen und der Sparkassenführung und zu einer Einigung. 

     

  • Südtiroler Sparkasse: Einvernehmlichen Weg gewählt.
  • Man hat für rund 250 Sparer, die sich als Geschädigte der Kapitalerhöhung 2008 ansehen, eine einvernehmliche Lösung gefunden haben. Man spricht von rund 4 Millionen Euro, die die Sparkasse den Sparern freiwillig rückerstattet hat. Zudem scheint man auch für den größeren Brocken, der die Kapitalerhöhung 2012 betrifft, still und leise eine einvernehmliche Lösung gefunden zu haben.
    Auch so kann man die Fehler der Vergangenheit auswetzen.