Politics | Bozen

Armer Waltherplatz

Wie die Gemeinde Bozen den Waltherplatz zum permanenten Heidi-Land und Rummelplatz degradiert.

"Für ein knappes Monat erfüllt weihnachtlicher Duft die Straßen und malerischen Gassen der Südtiroler Landeshauptstadt; der schillernde Glanz romantischer Leuchten und flackernder Kerzen taucht Bozen für kurze Zeit in zauberhaftes Licht".
So beschreibt ein Werbetext den "größten Weihnachtsmarkt Italiens". 
Doch für einen "knappen Monat weihnachtlichen Duftes" müssen Bozens Bürger für gut zwei Monate auf ihren schönsten Platz verzichten. In diesem Jahr hat die Gemeinde Rekordverdächtiges geleistet. Mit dem Aufbau des Marktes, der am 26. November beginnt, wurde am 5. November begonnen. Seither ist der Platz eingezäunt.
Drei Wochen zum Aufbau der Stände - ein Musterbeispiel von Effizienz. Rechnet man eine weitere Woche zum Abbau nach dem 6. Jänner dazu, nimmt der Weihnachtsmarkt Bozens schönsten Platz rund 70 Tage lang in Beschlag.

Drei Wochen zum Aufbau der Stände - ein Musterbeispiel von Effizienz. 

Doch das werbeträchtige Ereignis ist nur die Krönung einer langen Serie von Veranstaltungen, mit denen die übereifrige Gemeinde die Bürger beglückt. Die Besessenheit, mit der städtische Bürokraten Bozens schönsten Platz seit Jahren zum Rummelplatz begradieren, kennt keine Grenzen. Vom Oldtimer-Treffen bis zur Modeschau, vom Basketballspiel bis zum billigen Klamottenmarkt, von der Werbeveranstaltung bis zum Defilee der neuen Strandmoden beweist die ansonsten eher phantasiearme Stadtverwaltung beachtliche Kreativität, die sie letzthin erfolgreich auch auf den Rathausplatz ausgedehnt hat.

Die Besessenheit, mit der städtische Bürokraten Bozens schönsten Platz seit Jahren zum Rummelplatz begradieren, kennt keine Grenzen

Über öffentliche Plätze verfügen die Gemeindebeamten wie über ihren persönlichen Besitz - bei der Privatsierung öffentlichen Raumes sind der Willkür keine Grenzen gesetzt. Woche für Woche fahren am Waltherplatz große Lastwagen auf, werden Tribünen, Podien, Zelte und Gerüste auf- und abgebaut - mit schwerwiegenden  Folgen. Viele der großen Porphyrplatten weisen Sprünge auf oder sind zerbrochen, fehlende Teile werden notdürftig mit Asphalt gefüllt.
 
Schäden an Porphyrplatten: Privatsierung öffentlichen Raumes

Der vielgepriesene decoro urbano ist für Bozens Stadtväter ein Fremdwort. Ein Platz, auf dem kein Rummel abgeht, ist ihnen offenbar ein Dorn im Auge. Das äußert sich auch  in der Wahl des einzigen Musikers, der am Waltherplatz über eine Dauergenehmigung verfügt. Im Sommer und Winter sitzt Klaus Walter in Tracht auf seinem mitgebrachten Hocker und erfreut die Gäste mit dem Königsjodler, mit Heidi-Melodien und Heimatliedern wie “Wenn in Bozen die Geranien blühen.” Walther von der Vogelweide zeigt dem Musiker ungerührt den Rücken. 
Nichts könnte die provinzielle Zwiespältigkeit dieser Stadt trefflicher repräsentieren als der Jodler auf ihrem Hauptplatz. Ihre ängstliche Skepsis gegenüber Urbanität, ihren ständigen Rückfall ins Ländliche, ihren Eifer, Transart und Jazzfestival mit Geranien und Zitherklängen zu konterkarieren. Und ihre Manie, Bozens schönsten Platz zum permanenten Heidi-Land zu degradieren.
Natürlich darf auch der Christbaum nicht fehlen, der am 10. November bei einer gefühlten Temperatur von 25 Grad dort aufgestellt wurde - zur Unterhaltung der sommerlich gekleideten Gäste in den Kaffegärten. Bleibt nur noch auf das zu warten, was der Werbetext verspricht: 
 "Wenn sich dann auch noch Frau Holle einen Ruck gibt und Bozen mit leise vom Himmel purzelnden Schneeflocken beglückt, dann ist das Wintermärchen am Fuße des Bozner Doms perfekt."

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Thomas Benedikter Thu, 11/19/2015 - 21:47

C. Franceschini spricht mir aus dem Herzen. Es bleibt einem nichts übrig, als zwei Monate - und sonst auch oft, die alljährlichen Shows des Militärs könnte man auch erwähnen - lang einen großen Bogen um diesen eigentlich schönen Platz zu machen. Mögen die italienischen Marktl-Gäste diese Romantik genießen!

Thu, 11/19/2015 - 21:47 Permalink