Für eine weitergehende Reform
Im Zentrum der Debatte steht die Sperrklausel (Prozenthürde), auf die man sich vorläufig einigen konnte, aber auch die Stichwahl des Bürgermeisters ist in Frage gestellt worden, weil angeblich zu teuer. Auch die Rückkehr zur Wahl des Bürgermeisters durch den Gemeinderat mit Vertrauens- und Misstrauensvotum hat Brigitte Foppa ins Spiel gebracht, um den Gemeinderat in seiner politischen Rolle zu stärken.
Dabei ist die Direktwahl des Bürgermeisters 1993 mit einer Volksabstimmung eingeführt worden, gerade um die Bürgermeister aus der Vormundschaft der Parteigranden zu befreien. Die Wahl des Bürgermeisters durch den Gemeinderat würde die Trennung von Exekutive und Legislative wieder vermischen. Man könnte aber der Wählerschaft das Recht auf Abwahl des Bürgermeisters einräumen.
Die Stichwahl kommt einer Art Bestätigung des ersten Wahlgangs gleich. Viele Wähler werden angeregt, sich für das „kleinere Übel“ zu entscheiden, damit verleihen sie der mehrheitlich gewählten Person mehr Legitimation. Immerhin hat der Bürgermeister mit der Reform von 1993 auch mehr Macht erhalten. Würde er mit 20-25% der Wählerstimmen gewählt, würde seine Legitimation ständig in Frage gestellt.
Uneinigkeit im Regionalrat auch bei der künftigen Zahl der Räte im Bozner Gemeinderat. Der Umfang eines Gemeinderats muss zwei Anforderungen entsprechen: eine effiziente und produktive Ratstätigkeit gewährleisten, andererseits auch den politischen Pluralismus in der Bevölkerung widerspiegeln, also auch kleineren politischen Kräften eine Chance auf Vertretung sichern. Wenn dies der Landtag mit 35 Abgeordneten und einem wesentlichen größeren Aufgabenbereich für ganz Südtirol schafft, ist nicht einzusehen, warum Bozen das nicht mit gleich vielen Räten bewerkstelligen soll.
Alles konzentriert sich in der Reformdiskussion im Regionalrat auf die Sperrklausel. Eine Sperrklausel hat ihren Sinn, wenn sie die exzessive Fragmentierung der politischen Formationen in kleine Listen (Personenfanclubs) verhindern und die Bildung stabilerer Bewegungen mit echten politischen Projekten fördern kann. Eine klare Listenbildung mit echten politischen Programmen ist für die Transparenz und Qualität der Demokratie allemal von Vorteil, also auch im Sinn der Wählerinnen. Man sollte ein klares Prinzip einführen: wer immer im Gemeinderat vertreten sein will, muss einen Mindestkonsens beim Wähler erzielen. Diese Hürde muss für alle gleich sein, also kein Splitting in Einzellisten (derzeit Vorschlag: 3,5%) und Listenverbindung (Vorschlag 7%), die oft nur eine technische Funktion haben. 2-3 kleine Listen tun sich zusammen – ohne programmatischen Zusammenhalt – ziehen in den Gemeinderat ein und lösen ihre Verbindung wieder. Nicht die „Listenverbindungen“ (=temporäre Krücken zur Wahl von Personenfanclubs), sondern echte politische Kräfte mit einem Programm sollen gefördert werden. In Deutschland gibt es keine differenzierte Sperrklauseln für Listenverbindungen, doch sind Sperrklauseln im kommunalen Wahlrecht abgeschafft worden (mit Ausnahme von Berlin, Hamburg und Bremen).
Bozen steht jetzt im Brennpunkt, doch wenn eine Reihe von Korrekturen am Gemeindewahlgesetz Sinn machen, warum nur für die Landeshauptstadt? Vieles davon könnte auch für andere, kleinere Stadtgemeinden gelten. Auch bei den neuen Regeln der Volksabstimmungen ist in der Gemeindeordnung eine neue Kategorie von Gemeinden geschaffen worden, nämlich jene ab 20.000 Einwohnern.
Zu beklagen ist überhaupt ein solches ad-hoc-Gesetz in Bozen unter hohem Zeitdruck, denn weitere Reformen für ein freies und faires Wahlrecht wären angesagt. Diese bräuchten freilich mehr Zeit. Das Panaschieren etwa, also die listenübergreifende Vorzugsstimmenabgabe, eine verpflichtende Wahlbroschüre für alle Wahlberechtigten, die vor allem in Gemeinden höchst praktikable Briefwahl, der Rechenschaftsbericht des Bürgermeisters am Ende der Amtsperiode, das Recht auf Abwahl des Bürgermeisters usw.
Noch ein gravierendes Manko zeigt diese von der SVP und PD gewollte Hauruck-Reform des Regionalgesetzes vom 30. November 1994, Nr.3 auf: im Grunde genommen ist dieses Gesetz ein doppeltes Gesetz, eines für Südtirol und eines fürs Trentino, zweigeteilt, übermäßig lang, für den Normalbürger fast unlesbar. Es ist höchst an der Zeit, die Zuständigkeit für die Gemeindeordnung und das Gemeindewahlrecht komplett den Autonomen Provinzen zu übertragen. Dann könnte der Südtiroler Landtag in aller Ruhe ein durchdachtes und für Südtirol passendes Wahlgesetz ausarbeiten.