Culture | Salto Weekend

Happy Birthday, Mulholland Drive!

David Lynchs Magnus Opus feiert in diesem Jahr sein 20-jähriges Jubiläum. Im Filmclub ist es an zwei Tagen zu sehen.
Mulholland Drive
Foto: Studio Canal

 

...and now I'm in this dream place.“

 

Mulholland Drive ist wie ein Fiebertraum. Der Film von David Lynch, dem amerikanischen Surrealisten aus Montana erzählt die altbekannte Geschichte vom Märchenland Hollywood neu. Anhand des Schicksals der jungen Betty, verkörpert von der damals noch recht unbekannten Naomi Watts, führt Lynch durch einen vermeintlichen Traum, der nur allzu schnell ins Albtraumhafte kippt. Nach Los Angeles ziehen, dort eine Karriere als Schauspielerin anstreben, hoffen, dass dieses Unterfangen gelingt, und ja, dies tut es, ein großer Star werden, von allen geliebt und begehrt und verehrt. Betty lebt dieses Leben, sie taucht ein in das Hollywood ihrer idealisierten Vorstellung und erlebt ein Abenteuer. Dazu gehören neben dem ohnehin schon aufregendem Alltag einer Schauspielerin Dinge wie eine verlorengegangene, von Amnesie geplagte Femme Fatale, ein mysteriöser Cowboy um Mitternacht, dubiose Produzenten im Hintergrund, ein Nachtclub, in dem nichts ist wie es scheint, unfähige Auftragsmörder, und Doppelgänger wohin man blickt.

 

It'll be just like in the movies. Pretending to be somebody else.”

 

Dass der Film die Wege der konventionellen Erzählung alsbald verlässt, sollte angesichts des Regisseurs nicht verwundern. Es ist der wohl komplexeste Lynch-Film, auch wenn der Regisseur selbst dem wohl widersprechen würde. Doch die verschachtelte Struktur der Geschichte, gepaart mit seiner Traumlogik, die zu ergründen nötig ist für das Verständnis des Films, macht ihn zu einem Enigma sondergleichen. Nach offiziellen Interpretationen sucht man vergeblich, da sich Lynch stets bedeckt hält und eine lückenlose Auslegung seiner Werke ohnehin ablehnt. Es gehe weniger darum, den Film zu verstehen, als ihn zu fühlen. Was gefühlt wird, sei richtig, eine sehr willkommene Einstellung für das Publikum. Doch es ist keineswegs so, als wäre der Albtraum unmöglich zu entschlüsseln. Gängige Interpretationsansätze (auf die an dieser Stelle nicht eingegangen werden soll) gibt es zuhauf. Beim Versuch, das Rätsel zu lösen, kann helfen, hinter die Fassade der Halbwelt Hollywoods zu blicken, und damit auch hinter die karikaturartigen Figuren des Films. Wie bereits geschrieben ist nichts und niemand das was er scheint zu sein – eine klassische Eigenschaft des Traums. Namen sind nicht Namen und Gesichter sind nicht Gesichter, austauschbar sind sie alle, je nachdem, aus welcher Perspektive man eine Situation betrachtet. Im Traum wird, genauso wie in Hollywoods „Traumfabriken“ so getan als ob. Es wird gespielt, inszeniert, und nicht zuletzt, verhüllt und entstellt, was, etwa im Verständnis von Freud, eine Kerneigenschaft jedes Traums darstellt.

 

 

This is the girl.“

 

David Lynch drehte mit Mulholland Drive einen Film über das von ihm sehr geschätzte Hollywood. Wenngleich man hinzufügen muss, dass von dem glamourösen Hollywood der 50er Jahre, dem von Billy Wilders Sunset Boulevard etwa, nicht viel übrig ist, schon damals nicht, im nicht allzu fernen Jahr 2001. Heute wie auch damals reicht es nicht, nur die vermeintlich schönen Seiten der Traumfabrik zu zeigen, und konsequent verwehrt sich Lynch einer Idealisierung – vorausgesetzt man hält bis zum Ende des Films durch. Dass Hollywood nie ein organisches Netzwerk an Kreativen war, sondern vielmehr eine durch und durch kalkulierte Industrie, sollte längst kein Geheimnis mehr sein. Schauspielerinnen und Schauspieler werden nicht zu Stars, sie werden zu Stars gemacht. Das Casting gewinnt nicht die beste Darstellerin, sondern die, die dem System Hollywood am besten passt. Die Industrie selbst hört solche Dinge natürlich nicht gern. Umso wichtiger ist Lynchs Darstellung „seines“ Hollywoods, eine Vision, die zwar von einem eigenwilligen Kopf abseits des Systems, aber doch aus dessen Herz kommt.

 

Hey, pretty girl, time to wake up.“

 

Bettys Traum muss zwangsläufig enden, doch was bleibt? Das Erwachen, im Film und außerhalb? In gewisser Weise greift Lynch in Mulholland Drive #Metoo voraus, wesentlich subtiler als es viele aktuelle Filme tun. Er vermischt die Probleme der Industrie mit klassischen Motiven des amerikanischen Films, etwa die bereits erwähnte Femme Fatale oder der Cowboy, und zeigt all dies durch sein typisch „lynchiges“ Objektiv. Aus einem Traum bzw. Albtraum lernen wir selten, dazu sind sie häufig zu wenig eindrucksvoll. Dem Wachzustand und der Realität, die ihn umgibt, schenken wir wesentlich mehr Aufmerksamkeit, dabei liegen doch gerade die unterdrückten Gedanken weich gebettet und für jeden sichtbar im Traum begraben. Bettys Erlebnisse sprechen eine andere Sprache, und sie zieht sehr wohl Konsequenzen. Das Erwachen ist ernüchternd und man sehnt sich zurück in den Schlaf, der hoffentlich endlos sein wird.

 

 

Silencio

 

Im Club Silencio, den die Protagonistinnen des Films irgendwann aufsuchen, kommt die Musik vom Band, obwohl jemand auf der Bühne steht und singt. Das Gezeigte ist offensichtlich fake, und doch ergreift es die Figuren im Publikum, schüttelt sie regelrecht durch. Dasselbe gilt für den gesamten Film, der durch und durch fake scheint. Seltsam synchronisierte Stimmen zeugen etwa von einer bestimmten Künstlichkeit der Situation. Dennoch nehmen wir das Gesehene an. Mulholland Drive wurde von Kritikern der BBC zum besten Film des 21. Jahrhunderts gewählt. Zurecht, und mit der Wiederaufführung dürfen all jene in den Genuss des Films kommen, die ihn noch nicht kennen, oder aber jene, die einen erneuten Blick wagen wollen. David Lynchs Meisterwerk ist schön und verführerisch, erschreckend und unheimlich und traurig und rätselhaft zugleich.

 

Mulholland Drive | Official Trailer
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Martin Ancient Tue, 11/16/2021 - 16:17

Vor 16 oder 17 Jahren, während meiner Studienzeit, zappte ich aus Langeweile spät abends (es war bereits nach Mitternacht) durch die TV-Kanäle. Ich wollte gleich schlafen gehen, musste am nächsten Tag früh raus, eine Klausur schreiben. Irgendwie blieb ich just bei diesem Film, der mir bis dahin unbekannt war, hängen. … und konnte mich einfach nicht mehr dazu überwinden, ins Bett zu hüpfen. Selbst nach Ende des Films gegen 3 Uhr früh war an Schlaf nicht zu denken, zu sehr wühlte mich der Plot auf. Die Klausur schrieb ich am Morgen ohne eine Sekunde Schlaf fix und fertig dennoch, das war es aber wert. Der Film ist ein Meisterwerk, der Artikel auf Salto würdigt ihn entsprechend.

Tue, 11/16/2021 - 16:17 Permalink