Society | Barrierefreiheit
Wenn man aus dem Zug befreit werden muss
Foto: Pixabay/Privat
Fahrkarte kaufen, einsteigen und losfahren – mit dem Zug fahren, so wie jeder andere auch, ist für körperbeeinträchtigte Menschen in Südtirol nicht gerade einfach. Zahlreiche Bahnhöfe wie jener am Brenner, in Sterzing, Franzensfeste, Brixen und Bozen verfügen nicht über barrierefreie Zugänge. Zwar wurde vom italienischen Eisenbahnbetreiber RFI ein eigener Dienst – Sala Blu – eingerichtet, welcher beim Ein- und Aussteigen behilflich ist, doch auch dieser funktioniert nicht einwandfrei. Simon Guichard, der in Brixen lebt und arbeitet und öfters mit dem Zug unterwegs ist, erzählt aus seinem Alltag.
Salto.bz: Herr Guichard, wie sieht es mit der Barrierefreiheit in Südtirol im Vergleich mit der Schweiz und Österreich aus?
Simon Guichard: Also im Vergleich mit der Schweiz schneidet Südtirol eher schlecht ab, weil in der Schweiz fast alle Bahnhöfe barrierefrei sind sowie die meisten Züge ohne Hilfe befahren werden können. Jeder Zug hat eine mobile Rampe. Die Bahnhöfe der Schweiz sind entweder über Rampen oder Lifte erreichbar. Auf den meisten Strecken braucht es keine Voranmeldung. Nur im überregionalen Verkehr ist eine Anmeldung bis zwei Stunden vor Abfahrt nötig, im Fernverkehr sind es 24 Stunden. In Italien müssen Fahrten mindestens drei Tage vorher angemeldet werden und selbst die Anmeldung klappt oft nicht oder der gesamte Dienst. In Österreich ist es ähnlich wie in der Schweiz, wobei in Österreich noch hinzukommt, dass selbst der kleinste Dorfbahnhof mindestens einen Beamten oder eine Beamtin beschäftigt, d.h. eine Person vor Ort ist die hilft und Informationen gibt. In Österreich und der Schweiz sind sämtliche Linienbusse barrierefrei, d.h. sie verfügen über Rampen oder Hebebühnen und das Personal ist sehr gut geschult.
Könnten Sie die dringlichsten Probleme schildern? Fehlt es an der Organisation des Dienstes Sala Blu oder an der Absprache zwischen den Bahnbetreibern?
Es spielt wohl beides eine Rolle. Es ist so, dass das Personal des Sala Blu-Dienstes nicht vor Ort ist, zum Beispiel in Brixen, sondern meines Wissens aus Bozen oder sogar Verona anreisen muss. Hinzu kommt, dass zugeigene Vorrichtungen, wie beispielsweise die Hebebühne im Railjet der ÖBB, auch nur von ÖBB-Mitarbeitern bedient werden darf. Die italienischen Schaffner und Schaffnerinnen, die den Zug bis zum Brenner begleiten, haben keinen Schlüssel für die Hebebühne. Das größte Problem in Sachen Barrierefreiheit stellt aber der Bahnhof am Brenner dar. Dieser ist überhaupt nicht barrierefrei und verfügt auch über keine Einrichtungen wie Hebebühnen oder Lifte.
Strandet dort ein Rollifahrer, muss dieser quasi aus dem Zug „befreit“ werden bzw. stundenlang warten, bis der Zug weiter fährt.
Strandet dort ein Rollifahrer, muss dieser quasi aus dem Zug „befreit“ werden bzw. stundenlang warten, bis der Zug weiter fährt. Durch diese Verspätung passiert es dann, dass der Sala blu-Dienst in Brixen nicht mehr für den Ausstieg verfügbar ist und man damit gezwungen ist, bis Bozen weiter zu fahren oder im schlimmsten Fall sogar bis Verona. In meinen Augen ist das Nötigung und ich werde als Rollifahrer im Zug quasi „festgehalten“. In der Vergangenheit musste ich dann mit einem Taxi von Bozen nach Brixen zurückgebracht werden. Zudem hat man durch die fehlende Barrierefreiheit am Brenner weniger Verbindungen zur Verfügung.
Die Barrierefreiheit an den Südtiroler Bahnhöfen soll ca. 2026 umgesetzt werden. Welche Maßnahmen könnten bis dahin gesetzt werden, um zumindest eine Erleichterung zu schaffen?
Die Einführung eines Südtiroler Dienstes für Menschen mit besonderen Bedürfnissen könnte eine kurzfristige Lösung sein. Ich denke da an einen Dienst wie die Bahnhofsmission in Deutschland, die dort von Vereinigungen wie der Lebenshilfe, Caritas, Maltesern oder dem Roten Kreuz durchgeführt wird. So würde die komplizierte Anmeldung über den Sala Blu-Dienst wegfallen und das Personal müsste nicht extra von weit her geholt werden.
Was würden Sie sich zukünftig wünschen?
Dass bei Um- und Neubauten im öffentlichen Dienst, sei es in der Gemeinde oder auf Landesebene, die Betroffenen bei Entscheidungen bezüglich Barrierefreiheit in die Planung miteinbezogen werden. Es darf nicht passieren, wie jüngst beim neuen Brixner Bahnhof bzw. dem dortigen Mobilitätszentrum, dass das Blindenleitsystem, das für viel Geld installiert wurde, ins Nirgendwo führt und für Betroffene deshalb nicht nutzbar ist. Abgesehen davon, dass der Brixner Bahnhof von einer Barrierefreiheit noch weit entfernt ist, wie auch der Bozner Bahnhof oder jener in Franzensfeste.
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