Culture | Salto Afternoon

Gefangen im Hyperobjekt

Ein Hyperobjekt, Wassermelonen-Schnee, Goldlöckchen-Zonen, der Tod von Hummern und weitere Wissenschaftsfakten. „(Kein) Weltuntergang“ kämpft mit der eigenen Komplexität.
Kein Weltutergang
Foto: Luca Guadagnini/VBB
Bei bloßem Fact-Dropping bleibt man nicht, die ausgewählten „Wussten Sie schon?“-Momente erfüllen einen Zweck als Metaphern und werden, vorgezogen oder verzögert aufgeschlüsselt in der anachronistischen Erzählung des VBB-Stücks unter der Regie von Sophia Aurich. Das Stück der jungen Britin Chris Bush von 2021 (Aus dem Englischen von Gerhild Steinbuch übertragen) entwickelt sich, aus Verhören, Erinnerung und quantenphysikalischen Ansätzen (Multiversums- oder Parallelwelten-Theorie) heraus zu einem Variantenspiel, das eine oberflächlich einfache Erzählung in ihrer unterschwelligen, tatsächlichen Komplexität zeigt. Die Geschichte, die um die junge Dr. Anna Vogel (Karin Yoko Jochum) und eine prominente Klimaforscherin der Vorgänger-Generation Prof. Uta Oberdorf (Patrizia Pfeifer) entsteht, wird zum Hyperobjekt aufgeblasen.
Den Begriff hat der Publizist, Literaturwissenschaftler und Philosoph Timothy Morton geprägt, für ein Phänomen, welches in Größe und interner Komplexität, nur über Zeit und Raum gedacht erfasst, aber nicht im Ganzen verstanden werden können. Als Beispiel nannte Morton bereits 2013 den Klimawandel, der auch im Stück als „Das Hyperobjekt“ gesehen wird. Die Perspektive, dass hier ein mensch-gemachtes Problem das menschliche Verständnis übersteigt kann auf den einen oder anderen verstörend wirken, mit der Macht und Ohnmacht des Einzelnen hadert man für die Aufführungsdauer auf der Bühne. 
 
 
Da sich das multimediale Stück auch bei Hauptprobe 2 am gestrigen Abend noch in einem Fließzustand befand, will ich auf die Handlung nicht zu sehr eingehen. Auch von anderen Enden als dem gestrigen war die Rede. Heute wird vor der morgigen Premiere (20 Uhr, Studiobühne) noch fieberhaft geprobt und Änderungen am Stück sind deshalb nicht auszuschließen.
Erzählerisch vorgegangen wird auf vielen parallel zu einander verlaufenden Ebenen: Da sind die Tatsachen-Handlung, die von einem Vorstellungsgespräch ausgeht, die Stimme einer erst gegen Ende als Figur greifbaren Erzählerin (Margot Mayrhofer), eine Verhörsituation (geführt von Corinne Thalmann) und eine werdende Mutter Erde (ebenfalls Thalmann).
Hinzu kommen Projektionen auf drei Bildschirmen und einem Plastik-Asteroiden, der als bedrohliches Element über dem Bühnenraum (Ayşe Gülsüm Özel, Bühne und Kostüme) hängt. In Farben und Details verstecken sich Metaphern, stimmungsvolles Licht (Jan Matthias Wagner) und sphärische Musik (Friederike Bernhardt) versuchen ihr Übriges dazu beizutragen den verknoteten Handlungsfaden atmosphärisch zusammen zu halten. Viel Raum für Heiterkeit bleibt angesichts der Thematik Klimawandel nicht, nur immer wieder kleine Trostmomente und die unterhaltsamen bereits erwähnten Wissenschaftsfakten. Das Stück ist lehrreich, streift pädagogisches Terrain allerdings nur leicht. Man bietet keine einfachen Antworten zu komplexen Fragestellungen.
Nach der Aufführung, die, um nicht zu viel zu verraten, unter einer „Quanten-Schmusedecke“ endete, sprach ich mit Patrizia Pfeifer, deren Figur, Uta Oberdorf, über den Abend in besonderer Weise unscharf bleibt.
 
 
Frau Pfeifer, was können Sie mir über Prof. Oberdorf erzählen?
 
Patrizia Pfeifer: Uta Oberdorf ist mit Sicherheit eine Karrierefrau, im positiven Sinne. Sie ist Wissenschaftlerin, Klimaforscherin und eine Frau, die ihre Arbeit immer an erste Stelle stellt. Da kommt die Arbeit und dann lange nichts. Ich bin mir sicher, dass Uta Oberdorf kein Privatleben hat, sie stellt ihr Leben in den Dienst der Wissenschaft und ist überzeugt von dem, was sie macht.
 
Das Stück präsentiert sich dem Publikum irgendwo zwischen verschiedenen Teilen eines Multiversums und der Unzuverlässigkeit von Erinnerung. Wie schwer macht es das für Sie, die Figur greifen zu können? Da es doch verschiedene Versionen von Uta Oberdorf gibt…
 
Als Schauspielerin arbeitet man hier nicht mit einem Stück, wo es nicht einen durchgehenden Faden der Figur gibt, wie in vielen anderen Produktionen, wo man sich in die Rolle versetzen kann, weil es einen logischen Weg durch das Stück gibt. Durch die Sprünge, Varianten und Änderungen ist das Stück zum Teil sehr formal. Das lässt bestimmte Emotionen zum Teil gar nicht zu. Man ist als Schauspielerin zum Teil auch damit beschäftigt, daran zu denken, was als nächstes kommt. Bei den Gesprächsfragmenten muss man sich sehr darauf konzentrieren, dass man in der gleichen Höhe einsteigt, auf der man ausgestiegen ist, dass man nicht absackt. Man achtet darauf, dass man nicht zu steif wirkt, trotzdem noch ins Spielen kommt und eine Figur greifen kann. Stücke wie dieses sind da schon eine Herausforderung.
 
Was ich pervers finde ist, dass der Fokus jetzt darauf geleitet wird, was sie machen, was sie zerstören und dass sie sich an die Straße kleben und - oh, Hilfe! - den Verkehr blockieren
 
Sie haben die Gesprächsfragmente angesprochen und es gibt sehr viele Brüche in den Dialogen. Ist das ein Problem, das auch für die Thematik Klimawandel emblematisch ist, wo es Kommunikationsschwierigkeiten, vielleicht auch zwischen den Generationen gibt?
 
Dass es Kommunikationsschwierigkeiten zwischen den Generationen gibt, sieht man momentan sehr deutlich an den Klimaaktivist:innen, die wahnsinnig kritisiert werden, von der Generation, zu der ich zähle. Das ist eine Generation - zu einem guten Teil Kinder der 80er - die wenig bis nichts getan haben, die weitergemacht haben, die Welt zerstört und ausgebeutet haben. Ich finde die junge Generation, der es natürlich um etwas geht, toll. Wie die Figur der Anna im Stück sagt: „...trotzdem werden wir die sein, die dann den Dreck wegräumen.“ Sehr wahrscheinlich wird das die Aufgabe dieser Generation sein.
Wenn wir zu den Kommunikationsschwierigkeiten, zurückkommen… Ich habe vor kurzem eine Diskussion im Fernsehen gesehen, ich glaube bei Markus Lanz, wo die junge Generation kritisiert wurde. Sie würden übertreiben und ob das denn sein müsse, Tomatensoße an Bildern. Ich denke mir, sie müssen radikal reagieren, denn was sollen sie denn sonst machen? Was ich pervers finde ist, dass der Fokus jetzt darauf geleitet wird, was sie machen, was sie zerstören und dass sie sich an die Straße kleben und - oh, Hilfe! - den Verkehr blockieren; Statt dass man sich ums Wichtige kümmern würde und fragt, warum machen sie das? Weil sie etwas verändern wollen.
 
 
Wie einfach oder schwer ist es den „Schuldigen“ in einer Verkettung von Umständen, im großen Ganzen, dem Hyperobjekt, wie es auf der Bühne genannt wird, auszumachen? Welche Perspektiven bietet da das Stück, das ja nicht hoffnungsfroh stimmen kann?
 
Eine schöne Perspektive gibt es ja eigentlich gar nicht, das könnten wir auf der Bühne gar nicht machen und wäre irgendwie kitschig. Man lernt aber immer etwas dazu: Dieser Blick, dass die Umweltkatastrophe ein Hyperobjekt ist und mit vielen - kleinen und großen - Katastrophen zusammen hängt, mit der Ausbeutung von Natur und Menschen immer schon zu tun hatte. Die Klimakatastrophe lässt sich nicht allein dadurch aufhalten, dass wir weniger Auto fahren oder fliegen, sondern auch durch die Überwindung sozialer Ungleichheiten.
Ich bin allerdings mittlerweile der Meinung und das ist einer der Sätze, bei welchen ich auch privat mit Uta Oberdorf übereinstimme; Sie sagt, jetzt können wir. Wir können uns jetzt aber nicht auf all diese Dinge konzentrieren, weil wir uns dann verlieren. Wir müssen jetzt wirklich zusehen, die zwei Grad Erderwärmung zu vermeiden. Da muss man dies, das und jenes machen und für den Ausgleich sozialer Ungerechtigkeit kann ich mich jetzt nicht hergeben. Wir müssen erst das Feuer löschen und dann weiter sehen. Ich werde darüber nachdenken, ob ich diese Haltung beibehalte, aber momentan ist mir das im Stück so aufgegangen.
 
Wir müssen erst das Feuer löschen und dann weiter sehen.
 
Wie haben Sie das erlebt: Musste dieses Stück aus Ihrer Sicht weiblich sein, oder hat sich das ergeben?
 
Das hat sich in dem Stück ergeben, es muss nicht zwingend weiblich sein, nein.
 
Also trägt die alleinige Schuld am Klimawandel nicht das Patriarchat?
 
Nein. Das Patriarchat ist Teil des Hyperobjekts und trägt sicher dazu bei. Aber man kann nicht allein dem Patriarchat die Schuld dafür geben, es ist ein Problem von uns Menschen.