Environment | Interview
„Würde Flughafen Bozen schließen“
Foto: Privat
salto.bz: Frau Cologna, Klimaaktivist:innen der „Letzten Generation“ kleben sich auf die Autobahn oder beschmutzen berühmte Gemälde. Wie beurteilen Sie diese Aktionen?
Viktoria Cologna: Wir brauchen soziale Bewegungen, die sich aus aktivistischer Perspektive mit dem Klimawandel befassen. Solche Aktionen haben sehr viel Potential, das Thema an die Öffentlichkeit zu bringen, weil dadurch mehr darüber gesprochen wird. Auf der anderen Seite gibt es wenig wissenschaftliche Evidenz, ob sich solche konkreten Ereignisse positiv oder negativ auf die öffentliche Wahrnehmung des Themas auswirken. Es braucht auf jeden Fall mehr Forschung, ob dadurch Menschen abgeschreckt werden oder nicht.
Kleben Sie sich auch manchmal an eine Autobahn?
Ich mache keinen zivilen Ungehorsam. Ich bin oft bei Demonstrationen anwesend, beispielsweise bei Fridays For Future in Bozen oder Zürich. Da bin ich gerne dabei, weil ich es wichtig und schön finde. Über 20.000 Wissenschaftler:innen haben in Deutschland, Österreich und der Schweiz eine Erklärung unterschrieben, in der sie Fridays For Future unterstützen. Gerade als Wissenschaftlerin finde ich es wichtig, mich dafür einzusetzen.
Auch die Politik handelte schnell, weil sie das Risiko wahrgenommen hat.
Welche Unterschiede gibt es in der öffentlichen Debatte zum Klimawandel zwischen den USA und Europa?
In den USA gibt es zum Beispiel das Sunrise Movement, das sich viel mit dem Klimawandel beschäftigt. Fridays For Future ist hingegen nicht so stark präsent wie in Europa. Nach meiner persönlichen Einschätzung sind auch Themen wie Nachhaltigkeit und Klimawandel in den USA nicht so stark präsent wie in Europa.
Der Ukraine-Krieg und die Folgen der Pandemie haben die Inflation weltweit steigen lassen. Wie kann die Krisenstimmung für mehr Klimaschutz genutzt werden?
Es gibt viele Parallelen zwischen der Corona-Pandemie und dem Klimawandel. In beiden Fällen betrifft das Risiko die gesamte Menschheit und es sind politische Entscheidungen notwendig. Es unterscheidet sie aber, dass in der Corona-Pandemie wirklich jede:r betroffen war und es beim Klimawandel wahrscheinlich noch etwas dauert, bis jede:r die Folgen direkt spürt. Zwar gibt es auch schon in Europa Hitzewellen und der Alpenraum erwärmt sich laut Eurac im Vergleich zum europäischen Durchschnitt doppelt so schnell, aber die Regionen weltweit sind vom Klimawandel unterschiedlich stark betroffen. Wir können von der Pandemie trotzdem lernen, dass Menschen ihr Verhalten schnell ändern können, beispielsweise beim Tragen von Masken. Auch die Politik handelte schnell, weil sie das Risiko wahrgenommen hat.
Könnte die Klimakrise durch die anderen Krisen nicht auch in den Hintergrund geraten?
Einige Studien, die sich mit dieser Frage außeinander gesetzt haben, sind zu dem Schluss gekommen, dass die Sorge um den Klimawandel auf Grund der Covid-Pandemie nicht abgenommen hat. Der Klimawandel scheint also im Bewusstsein der Öffentlichkeit zu einem unumstößlichen Anliegen geworden zu sein.
Wie schaffen wir gesellschaftlichen Konsens, dass es bestimmte politische Maßnahmen braucht?
Hat die Klimawissenschaft ein Kommunikationsproblem?
Prinzipiell nicht. Wir wissen seit Jahrzehnten, dass wir die Treibhausgasemissionen drastisch reduzieren müssen. Hier hat die Wissenschaft gute Arbeit geleistet. Etwa hat sie bei den Weltklimagipfeln der Vereinten Nationen die Informationen vorbereitet, die notwendig sind, um handeln zu können. Auf der anderen Seite könnte die Wissenschaft noch viel mehr tun, um das Thema in der Öffentlichkeit zu kommunizieren. Laut unseren Studien wünscht sich die Öffentlichkeit das sogar. Ich finde es wichtig, dass Wissenschaftler:innen, die wie ich zum Klimawandel forschen, viel in der Öffentlichkeit kommunizieren, damit das Thema präsent bleibt und noch präsenter wird.
Welche Rolle spielt interdisziplinäre Forschung dabei?
Die naturwissenschaftliche Basis steht fest. Was wir jetzt brauchen, ist Forschung, die zeigt, wie wir effektiv Treibhausgase reduzieren können. Wie schaffen wir gesellschaftlichen Konsens, dass es bestimmte politische Maßnahmen braucht? Wie schaffen wir es, dass die Öffentlichkeit diese Maßnahmen unterstützt und die Bevölkerung ihr Verhalten ändert? In meiner Forschung arbeite ich beispielsweise mit Klimawissenschaftler:innen und Wissenschaftsphilosoph:innen zusammen. Da der Klimawandel so komplex ist, ist die Betrachtung aus verschiedenen Blickwinkeln und die Zusammenarbeit von Wissenschaflter:innen aus verschiedenen Disziplinen notwendig.
Uns muss also bewusst sein, dass es in einer Demokratie Akteur:innen gibt, die alles dafür tun werden, dass sich dieses System nicht ändert.
Klimaforscher Georg Kaser sagte kürzlich, dass die Wissenschaft nicht aufbereiten könne, wie die Klimaziele institutionell, sozial und kulturell umgesetzt werden können. Würden Sie diese Aussage unterschreiben?
Ja. Wissenschaftler:innen sind keine politischen Entscheidungsträger:innen. Das ist so und das ist auch richtig so. Max Weber soll gesagt haben, dass die Wissenschaft wie eine Landkarte ist. Sie kann uns nicht sagen, wo wir hingehen sollen, aber sie kann uns sagen, wie wir da hinkommen. Ich finde das wirklich treffend. Wenn wir ein gutes Leben für zukünftige Generationen sichern wollen, dann müssen wir laut Wissenschaft Treibhausgasemissionen reduzieren. Die Wissenschaft kann aber nicht sagen, dass das das Ziel der Gesellschaft ist. In einer Demokratie sollen diese Aufgabe Personen übernehmen, die demokratisch gewählt worden sind.
Manche sagen, dass die Demokratie dem Klimaschutz im Weg steht. Andere behaupten, es braucht mehr Demokratie für den Klimaschutz. Wie sehen Sie das?
Meiner Meinung nach wäre es theoretisch möglich, in einer repräsentativen Demokratie eine nachhaltige Gesellschaft zu erreichen. Das Problem ist aber, dass in unseren Gesellschaften gewisse Industrien, wie etwa Öl- und Gas-Industrien, sehr viel Macht haben und Lobby betreiben. Diese Akteure profitieren sehr von dem Status quo und beeinflussen die Politik sehr stark, weil sie viele finanzielle Mittel dafür haben. Damit stehen sie Klimaschutz-Maßnahmen aktiv im Weg, besonders in den USA. Deshalb ist es sehr wichtig, unsere Demokratien vor Gruppen zu schützen, die stark von dem jetzigen System profitieren, das auf fossilen Treibstoffen aufbaut. Uns muss also bewusst sein, dass es in einer Demokratie Akteur:innen gibt, die alles dafür tun werden, dass sich dieses System nicht ändert.
Weniger Auto fahren, mehr pflanzliche Nahrungsmittel konsumieren – wir haben es verstanden. Was können Individuen tun, um auf politischer Ebene Klimaschutz einzufordern?
Menschen können sehr viel tun und meistens mehr als sie denken. Neben Entscheidungen im Alltag, wie etwa weniger fliegen oder Fleisch essen, haben Individuen nicht nur als Konsument:innen Einfluss, sondern auch als Mitglieder von sozialen Gemeinschaften. Sie können Proteste organisieren oder sich an ihnen beteiligen. Auch beim Wählen kann man schauen, welche Parteien sich für Klimaschutz einsetzen. Ist man am Arbeitsplatz in einer Führungsposition, kann man die eigene Firma klimafreundlicher machen. Wenn sich Menschen nicht nur als Konsument:innen sehen, sondern auch als politische Akteur:innen und Bürger:innen, kann das eine große Veränderung hervorbringen.
Löst diese Aufgabe nicht Überforderung aus, da heute fast jedes Unternehmen und fast jede Partei mit Nachhaltigkeit wirbt? Wer ist noch glaubwürdig?
Es gibt auf jeden Fall sehr viel Greenwashing. Viele Industrien verkaufen sich als klimafreundlicher als sie sind. Bei politischen Parteien würde ich sagen, dass es schon Parteien gibt, die sich mehr für Klimaschutz einsetzen als andere. Ich kann durchaus nachvollziehen, dass sich Menschen mit dem Thema manchmal überfordert fühlen. Hier ist es wichtig, kleine Schritte zu machen, man muss ja nicht von einem Tag auf den anderen vegan werden, sondern kann den Konsum tierischer Produkte graduell einschränken.
Sie vertreten als Mitbegründerin von „Degrowth Schweiz“ die Theorie von Postwachstum. Braucht es nicht wirtschaftliches Wachstum, um in einem kapitalistischem System Kredite zurückzahlen zu können?
Ich kann Folgendes sagen: Es braucht nicht unbedingt Wirtschaftswachstum, für die gesellschaftlichen Transformationen, die wir heute brauchen. Wirtschaftswachstum ist sehr stark an den CO2-Ausstoß und die Verwendung natürlicher Ressourcen gekoppelt. Je mehr unser Wirtschaftswachstum global steigt, desto mehr steigen global die CO2-Emissionen und der Ressourcenabbau. Ich und viele andere in der Postwachstumsbewegung glauben, dass es wichtig ist, dass Länder im globalen Norden die Produktion und den Konsum von Gütern einschränken, um Emissionen und Ressourcenverbrauch global zu reduzieren. Das muss kein Problem sein, wenn wir unsere Gesellschaften wachstumsunabhängig gestalten.
Wie soll das gehen?
Eine Postwachstumsgesellschaft zeichnet sich unter anderem durch die Versorgung der Grundbedürfnisse aller, zum Beispiel durch eine Arbeitszeitreduktion und eines bedingungslosen Grundeinkommens, das vom Staat gesichert werden würde, und durch Kreislaufdenken statt Verschwendung aus. Von einer Reduktion von Konsum und Produktion in einer Postwachstumsgesellschaft wären vor allem die reichsten Bevölkerungsschichten betroffen, die verhältnismäßig viel mehr emittieren als ärmere Bevölkerungsschichten und somit hauptsächlich für den Klimawandel verantwortlich sind.
Wenn Südtirol es wirklich ernst meinen würde, ein Klimaland zu werden, würde ich als erstes den Flughafen Bozen schließen.
Würde durch Postwachstum die Gesellschaft also nicht nur klimafreundlicher, sondern auch sozial gerechter?
Die soziale Gerechtigkeit ist für die Postwachstumsbewegung sicherlich zentral, weil der Klimawandel als eine der größten Ungerechtigkeiten angesehen werden kann. Menschen, die am meisten CO2 verursachen, büßen durch den Klimawandel aber nicht am meisten ein. Global gesehen ist der Klimawandel eigentlich ein ethisches Problem. Um das Thema anzugehen, ist es zentral, Maßnahmen einzuführen, die zu einer sozial gerechteren Gesellschaft führen. Außerdem führt bereits die Reduktion von Treibhausgasen dazu, eine sozial gerechtere Gesellschaft zu schaffen, weil dadurch auch die Folgen des Klimawandels auf andere Länder reduziert werden.
Was würden Sie machen, wenn Sie einen Tag lang Teil der Südtiroler Landesregierung wären?
Wenn Südtirol es wirklich ernst meinen würde, ein Klimaland zu werden, würde ich als Erstes den Flughafen Bozen schließen. Verbindungen wie Bozen-Zürich zum Beispiel sind kurze Strecken mit dem Zug und dafür braucht es keinen eigenen Flughafen. Zudem sind Flughäfen wie der von Verona leicht erreichbar. Ich würde viel mehr Bildung zum Klimawandel in die Schulen bringen, denn durch die Schule bin ich selbst auf dieses Thema aufmerksam geworden. Das Thema muss nicht nur in den Naturwissenschaften wie zum Beispiel Chemie besprochen werden, sondern auch in anderen Fächern, wie Geschichte und Philosophie. Neben Bildung und Forschung zum Klimawandel würde ich zudem den öffentlichen Verkehr noch viel mehr ausbauen als bereits getan wird.
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Dann sind wir schon zu zweit.
Dann sind wir schon zu zweit.
In reply to Dann sind wir schon zu zweit. by Dietmar Nußbaumer
Dem "S T E U E R-f r e i e n
Dem "S T E U E R-f r e i e n K L I M A-schädlichen U N F U G in der Luft,"
muss nicht nur in Bozen mit der Anrechnug der K L I M A-Belastungen
und der Auferlegung der Steuern,
wie sie "außer den aller-obersten Spekulanten,"
jedem Bürger mit einer Wohnadresse abgeknöpft werden, (... sogar ohne Wohnadresse für Essen und Getränke)
die L U F T gründlich abgelassen werden!
Der Flugplatz in Bozen ist
Der Flugplatz in Bozen ist eine fossil betriebene Verführung zu Kurzstreckenflügen. Deshalb ist er nicht zukunfstfähig.