Die Saltner hüten Südtirols Cannabisfelder
Foto: Bio Hemp Südtirol
Society | Salto Paper

Hui oder pfui

2033 wird Südtirol super sein, zweifellos. Wenn da nur diese Alpträume nicht wären.
Zehn Jahre gibt’s SALTO jetzt also schon, und zweifellos wird es euch in zehn Jahren auch noch geben. Die Welt wird dann aber auch im schönen, eher behäbigen Südtirol eine andere sein. Die Optimistin in mir ist ja zuversichtlich, dass alles nur besser werden kann, weil wir uns ja ändern müssen, wenn wir weiter bestehen wollen, und der Selbsterhaltungstrieb bekanntlich die stärkste Antriebsfeder ist. Südtirol wird in zehn Jahren also ein durch und durch lebenswertes Platzl sein, von mir aus der begehrteste nachhaltige Ort zum Leben – aber nicht unbedingt zum Urlaubmachen. In zehn Jahren sind wir schon voll auf der klimaneutralen Schiene, wortwörtlich: Öffis benutzen ist Standard, weil billiger, bequemer und effizienter als die olle Karre, die man nur noch aus der Garage holt, wenn’s zum Großeinkauf geht. Der Flughafen Bozen ist ebenso Geschichte wie diese abgefahrenen, pseudo-minimalistischen Hotelhochburgen mit ihrem Tannenzapfen-Ayurveda-Hokuspokus, die den (zahlungskräftigen) Gästen vorgaukeln, sie machten einen authentischen, ökologisch vertretbaren Urlaub, weil die Handtücher nur mehr jeden zweiten Tag gewechselt werden. Der Tourismus hat sich gesundgeschrumpft, Klasse statt Masse lautet jetzt die Devise, und die bezieht sich nicht auf die Geldbörse: Willkommen ist, wer das Einfache schätzt, das wirklich Unverfälschte, und sich in familiär geführten Kleinbetrieben einquartiert statt im Baumhaus-Chalet mit Whirlpool. 
 
 
Der Joe ist Landeshauptmann, weil er versprochen hat, was der Großteil in meinen Alpträumen will: Flachwitze und den Status Quo erhalten.
 
Apropos familiär: Da hat sich dann auch einiges getan, weil beide Elternteile plötzlich relativ problemlos Erwerbs- und Erziehungsarbeit unter einen Hut bringen. Die Kleinkindbetreuung wurde ausgebaut, Öffnungszeiten von Schulen und Kindergärten verlängert, und zudem sind die Arbeitgeber herrlich flexibel. Ob Vier-Tage-Woche, 75-Prozent-Stellen, Home Office: Gewährt wird, was die Arbeitnehmer*innen brauchen, denn sind die happy, ist es auch der Chef bzw. die Chefin, von denen es in Folge plötzlich auch viel mehr gibt. Gleichstellung ist also gar keine weit entfernte Utopie mehr. In Pflege und Bildung wurde investiert, Löhne ordentlich aufgestockt, Bedingungen verbessert, sodass es endlich auch immer mehr Männer in diese Felder zieht, wo die menschliche Arbeitskraft, wenn wir zivilisatorisch etwas auf uns halten, nie ersetzbar sein wird. In der Landesverwaltung hingegen, im Banken- und Versicherungswesen, bei jeder Zettel-Hin-und-Her-Schieberei hingegen ist uns die Künstliche Intelligenz zu Diensten, und man wird sich fragen, was das doch eine Verschwendung war, solche Jobs jemals empathie- und emotionsbegabten Lebewesen aufgetragen zu haben.
 
Bei jeder Zettel-Hin-und-Her-Schieberei hingegen ist uns die Künstliche Intelligenz zu Diensten.
 
So denk ich vor mich hin, und freu mich drauf – wenn da nur nicht diese Alpträume wären. Die suchen mich hin und wieder nächtens heim und malen leider ein ganz anderes Bild davon, was in zehn Jahren bei uns so los sein könnte. Die Landesregierung hat sich darin eben nicht der Partizipation und Mitbestimmung verschrieben, mit dem Ziel, Südtirol sozial und ökologisch auf Vordermann zu bringen, wir haben auch keine Landeshauptfrau, nein: Es ist der Joe fa Afing, der uns regiert, und ja, er trägt immer noch sein Käppi. Der Joe wurde mit überwältigender Mehrheit gewählt, weil er „a Hetz mocht“ und weil er versprochen hat, dass alles beim Alten bleibt in Südtirol, und weil es das ist, was der Großteil der Südtiroler*innen in meinen Alpträumen will: Flachwitze und den Status Quo erhalten, um jeden Preis. Scheuklappen sind super, Veränderung ist bätsch. In Joes Südtirol gibt es das Menschenrecht auf das Gölfl, jede*r hat immer noch einen Verbrenner in der Garage stehen und nutzt ihn stolz, der ÖPNV ist was für Loser und wird auch nicht ausgebaut. Dafür ersticken wir in Stau und Abgasen, was aber so tragisch gar nicht ist, weil das die Lebenserwartung drastisch senkt, und wir ohnehin nicht imstande waren, den Pflegenotstand zu beheben. Krankenhäuser und Altenheime sind was für Schmattige, alle Anderen haben sich damit abgefunden, dass mit maximal 40 das letzte „Solbei!“ gesprochen ist, auch weil die Pestizide so richtig reinhauen: gegen den Borkenkäfer, den Prozessionsspinner und die 150 anderen Schädlinge, die uns die Klimakrise beschert hat, und die Wald und Apfelwiesen zusetzen. Ja, nach wie vor Apfelwiesen, und Milchwirtschaft auch, beides wird ordentlich bezuschusst, weil es ja unsere Identität ist, und wo kämen wir denn hin, wenn wir uns aus dieser, längst zu engen herausschälen und eine neue anprobieren müssten?
 
 
Der Tourismus ist auch wichtig, weil die Kinder ja irgendwo arbeiten müssen, nachdem die Schulpflicht wegen des Lehrer*innenmangels nach der Mittelschule endet.
 
Den Tourismus gibt’s natürlich auch noch, übertourig wie gehabt in Frühling, Herbst und Winter, im Sommer hingegen bleiben die Gäste immer öfter aus, weil es einfach zu heiß ist (bis auf die in der klimatisierten Luxus-Baumhaus-Bubble, natürlich). Der Tourismus ist auch wichtig, weil die Kinder ja irgendwo arbeiten müssen, nachdem die Schulpflicht wegen des Lehrer*innenmangels nach der Mittelschule endet. Oberstufe gibt’s nur mehr als Privatschule für die Hautevolee (garantiert migrantenfrei), alle anderen hackeln oder sitzen mit der VR-Brille auf bei Mutti zuhause auf der Couch, denn ja, Mutti ist wieder zuhause. Mutti pflegt, betreut, homeschoolt und schmeißt den Haushalt – jemand muss es ja machen, und dafür bekommt sie auch, wenn sie besonders aufopferungsvoll ist, vom Joe auf Schloss Tirol eine Mutti-Medaille umgehängt und ein Wellness-Wochenende geschenkt (ist für Normalsterbliche nicht mehr leistbar, Wasser ist kostbar). 
 
Die Optimistin in mir ist ja zuversichtlich, dass alles nur besser werden kann.
 
Etwas Gutes hat die ganze Misere dann doch, das darf man nicht verschweigen: Weil das Personal fehlt und Geld lieber andernorts investiert wird (Kühe! Äpfel!), gibt’s keine nach Sprachgruppen getrennten Bildungswege mehr. Es unterrichtet, kindergärtnert und kleinkindbetreut, wer zu haben ist, sodass die Kids nicht nur deutsch und italienisch, sondern gegebenenfalls auch Urdu, arabisch, mazedonisch etc. lernen. Und – oh Wunder! – sie tragen keinen größeren Schaden davon, wenn man nun davon absieht, die Mehrsprachigkeit selbst also solchen zu betrachten. Deutschsprachige Kinder können endlich italienisch, italienischsprachige endlich deutsch (inklusive Dialekt), und alle können somit problemlos alle Artikel auf SALTO lesen und zweisprachig unflätig kommentieren. Denn, wie bereits angemerkt, ob’s jetzt ganz gut (Szenario 1) oder ganz schlimm (Szenario 2) kommen wird, SALTO wird darüber berichten, aufzeigen, enthüllen, und das ist zumindest schon mal ein kleiner Trost.
 
Alexandra Kienzl schreibt die Kolumne Fritto Misto auf SALTO.

 

Bild
Profile picture for user Josef Fulterer
Josef Fulterer Wed, 06/14/2023 - 06:08

Die Befürchtungen / Alpträume der Frau Kienzl werden 2033 l e i d e r zum Teil zutreffen,
denn von den Politikern ist nicht zu erwarten,
dass sie sich von den Marionetten-Fäden der Verbände + Unternehmer befreien werden.

Wed, 06/14/2023 - 06:08 Permalink
Bild
Profile picture for user Peter Paul Pedevilla alias Verwunderlich
Peter Paul Ped… Thu, 06/15/2023 - 08:54

genau, kultur die sich überall breit gefächert auf der erde angesiedelt hat. südtirol ist halt gesellschatsmäßig ein klein wenig hinten. ansonsten, in der eigennützigen politik, natürlich immer volle kanne voraus.

Thu, 06/15/2023 - 08:54 Permalink