Politics | Diplomatie

Mittelmeer zu, Brenner auf

Sebastian Kurz in Bozen. Österreichs Außenminister fordert die Schließung der Mittelmeerroute und sagt: “Österreichs Vorbereitungsmaßnahmen an den Grenzen sind richtig.”

“Österreich ist bereit, die eigenen Grenzen zu schützen.” Ja, auch der Brenner könne dicht gemacht werden, “wenn es notwendig ist”. Kritik oder leiser Tadel an den Worten von Sebastian Kurz, der bereits vor wenigen Tagen gemeint hatte, “Wir werden unsere Brenner-Grenze schützen”, kommt auch heute keine. Zumindest nicht von Landeshauptmann Arno Kompatscher, der am späten Donnerstag Vormittag gemeinsam mit dem österreichischen Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres an die Mikrofone des Pressesaales im Palais Widmann tritt. Sie präsentieren sich als gute Freunde, man ist per Du und spricht sich gegenseitig Worte des Dankes und des Lobs aus.

In einem ausführlichen Vier-Augen-Gespräch haben Kompatscher und Kurz am Vormittag eine Reihe von Themen besprochen: Südtirol-Autonomie (“Mit dir als Landeshauptmann hat Südtirol seine beeindruckende Entwicklung fortgeführt”, sagt Kurz zum Kompatscher), Euregio (Kurz ist “froh über die starke Kooperation”), Interreg und Eusalp. Ein Thema stellt bei der anschließenden Pressekonferenz alle anderen in den Schatten: der Brenner, als Symbol für die Notwendigkeit, gesamteuropäische Lösungen in der Flüchtlingsfrage zu finden. Sebastian Kurz wird es einen “Systemwechsel” nennen, den die EU bei ihrer Flüchtlings- und Migrationspolitik braucht. Doch zunächst zeigt der Südtiroler Landeshauptmann Verständnis für die Drohungen aus Österreich, seine Grenzen und damit auch den Brenner zu schließen: “Es ist nachvollziehbar, dass ein Staat die Migrationsströme auf seinem Territorium unter Kontrolle haben will und muss.” Derzeit bestehe zwar kein Anlass für verschärfte Grenzkontrollen am Brenner, “aber mit Besorgnis beobachten wir die Entwicklungen hinsichtlich der stetig steigenden Anlandungen an den italienischen Küsten. Es ist notwendig, auf EU-Ebene neue Maßnahmen zu setzen, auch damit das Sterben im Mittelmeer ein Ende haben kann”, zeigt sich Kompatscher überzeugt – und überlässt die Bühne Sebastian Kurz.

 

Kurz vor Mittag

Eine knappe halbe Stunde gibt sich Österreichs Außenminister Zeit, seine in seinem Heimatland hinlänglich bekannte Positionen zum Thema Flucht- und Migrationsbewegungen auch den Südtiroler Medienvertretern kundzutun und auf deren Fragen zu antworten. Was müsse denn konkret passieren, damit Österreich am Brenner tatsächlich wieder verschärfte Grenzkontrollen einführt? Eine ausweichende Antwort: “Solange der Zustrom und die Zahl der Ankünfte in Italien weiter ständig steigt, sind wir bereit, die Entscheidung zu treffen. Das Innen- und Verteidigungsministerium bereiten sich darauf vor, und das ist richtig so.” Für Kurz gibt es nur eine Lösung, um eine “EU ohne Grenzen nach innen” zu garantieren: funktionierende Außengrenzen, sprich, “die Schließung der Mittelmeerroute”. Denn “so wie die Situation derzeit ist, kann sie nicht bleiben”.

“Es kann nicht sein, dass Schlepper entscheiden, wer zu uns kommt und nicht die EU-Mitgliedsstaaten selbst”, sagt Kurz. Und: “So lange die Fährenverbindungen zwischen den Inseln und dem italienischen Festland bestehen bleiben, werden sich immer mehr Menschen auf den Weg machen, und immer mehr im Mittelmeer ertrinken.”


Nicht verzagen, Kurz fragen

Sein Rezept, um illegale Migration einzudämmen: “Den Fährenbetrieb stoppen.” Damit meinte Kurz die Rettungsaktionen verschiedener NGOs, die er in letzter Zeit heftig kritisiert hatte. Er begrüßte daher auch den Vorstoß von Innenminister Marco Minniti, der angekündigt hatte, NGO-Schiffe zu beschlagnahmen, wenn sich die Hilfsorganisationen sich nicht an die Regeln halten: “Ich halte es für wichtig, dass NGOs ihre Finanzen offenlegen müssen, dass sie in libyschen Gewässern nicht verkehren dürfen und dass sie nicht mit Schleppern zusammenarbeiten.”

“Die Rettung aus dem Mittelmeer darf kein Ticket nach Europa sein”, stellt Kurz anschließend klar. Anstatt die geretteten Menschen nach Italien zu bringen, von wo aus sie nach Mitteleuropa weiterreisen – “aus menschlicher Sicht verständlich”, sagt Kurz –, sollten sie in Auffanglagern auf Inseln wie Lampedusa erstversorgt und dann wieder in ihre Herkunfts- oder die Transitländer zurückgeschickt werden. Beziehungsweise gelte es, die Menschen bereits an den Außengrenzen zu stoppen, erklärt Kurz – und nennt ein weiteres Mal das Beispiel Australien. Allerdings ist die australische Regierung auch wegen der teilweise menschenunwürdigen Zustände, die in Versorgungslagern auf seinen Inseln herrschen, unter Kritik geraten. Für Kurz ist Australien dennoch ein Vorbild: Die EU müsse sich davor hüten, “sich moralisch überlegen zu fühlen ohne es zu sein”: “Zu glauben, dass das europäische System funktioniert, ist falsch. In Australien stirbt niemand mehr auf dem Wasser und über Resettlement-Programme werden Menschen auch im Land aufgenommen. Das System der EU ist schlecht: Es sterben mehr Menschen und die Überforderung ist offensichtlich.”


Immer wieder betont Kurz, dass die Mittelmeerrroute geschlossen gehöre. Damit werde in erster Linie Italien geholfen, einem jener Länder, die laut Kurz die Unterstützung der EU dringend notwendig haben. “Mit Weiterwinken ist es nicht getan, denn das führt dazu, dass wieder Grenzen hoch gezogen werden. Das Ziel muss sein, die Situation an den Außengrenzen zu lösen.” Dafür will der österreichische Außenminister kämpfen, wie er es schon einmal getan hat: “Ich werde weiter Druck machen, damit die Mittelmeerroute geschlossen wird, schließlich war ich auch mit der Schließung der Westbalkanroute erfolgreich. Dafür bin ich massiv kritisiert worden, doch es hat funktioniert. Der Zustrom dort ist um 98 Prozent gesunken.”
Auch dank des Flüchtlingsabkommens mit der Türkei. Einen solchen Partner, der Flüchtlinge von der EU fern hält, hat Europa in Nordafrika allerdings nicht. Politische Instabilität, Unruhen und zum Teil Verhältnisse wie in Diktaturen machen die Staaten der Zone zu unzuverlässigen Nachbarn. So ganz stimme das nicht, meint Kurz, es gäbe durchaus auch in Afrika Kooperationsbereitschaft mit der. Damit die Zusammenarbeit funktionieren könne, brauche es jedoch “ein ordentliches Angebot vonseiten der EU”. Außerdem müsse die Union “den Druck erhöhen, denn es kann nicht sein, dass gewisse afrikanische Länder nicht bereit sind, ihre Staatsbürger zurückzunehmen”. Gegebenenfalls sollten, so Kurz, auch Entwicklungsgelder, die von der EU nach Afrika fließen, gestrichen werden.

 

Kurz zusammengefasst

Außengrenzen schließen, damit die Grenzen innerhalb der EU offen bleiben (können). Falls der politische Wille auf europäischer Ebene fehlt und die Zahl der Menschen, die in Italien ankommen weiter steigt, werden Österreichs Grenzen – auch am Brenner – dicht gemacht. Das bleibt vom Besuch des österreichischen Außenministers in Bozen hängen. Kurz nach 12 Uhr steigt Sebastian Kurz in den Wagen mit Wiener Kennzeichen, der vor dem Palais Widmann auf ihn wartet. Nicht ohne sich vorher von Arno Kompatscher zu verabschieden, der “dir, lieber Sebastian” für die “hervorragende Zusammenarbeit” dankt.