„Beim Bergsteigen gibt es keine Könige“
Es ist dunkel und nieselig, minimalistisch designte roststählerne Straßenlampen säumen den Weg hoch nach Schloss Sigmundskron. Das Messner Mountain Museum Firmian wettert vor dem Anstieg mit einer Reihe an Verbotsschildern (RollstuhlfahrerInnen, Stöckelschuhe, Hunde, Kameras, Rucksäcke, Kinderwagen, Rauchen) und zwei Gebotsschildern: Essen und Parken.
Zu Fuß geht man einen steinernen Weg hoch, bevor man durch das Tor in der massiven Schlossmauer ins Innere gelangt. Dort öffnet sich der Blick auf ein weitläufiges Konglomerat an einzelnen Skulpturen aus verschiedenen Kulturkreisen, kurzgetrimmten, hügeligen Rasen, einer Felswand zur Rechten und einem beleuchteten Gasthaus zur Linken, alles von Mauern umringt. Dort findet heute, wie jeden Dienstag Abend im August, ein „Gespräch am Feuer“ mit dem Extrembergsteiger Reinhold Messner statt.
Das Ambiente ist optisch gehoben. Der Südtiroler Architekt Werner Tscholl, sein „damaliger Lieblingsarchitekt“ hat das Schloss mit Glas, Stahl und Eisen in Rostoptik, die sich farblich an den Porphyr der Mauern angleichen, aufpoliert. Nicht Zaha Hadids geschwungenes Museum am Kronplatz ist Messners Favorit, sondern dieses hier. Ein kurzer Blick in die Schlossräume, die auf abenteuerlichen Pfaden im Halbdunkeln erklommen werden, zeigt die berüchtigten Exponate, die er flapsig als „Mitbringsel“ von seinen Reisen bezeichnet - unangemessen kurz gehalten sind die Informationen über sie. Das aus einem Raum erklingende „Blowin’ in the Wind“ von Bob Dylan bläst die Tibetfähnchen ein wenig ins Seichte.
Um kurz vor 21 Uhr sind bereits alle Plätze besetzt, obwohl es leicht regnet. Reinhold Messner und sein Publikum sind keine, die sich vom Wetter abhalten lassen, schon gar nicht von ein paar Tropfen – die Goretex-Ganzkörper-Outfits müssen das schon aushalten. In der Mitte des teils überdachten Platzes brennt ein Feuer; der Gastgeber sitzt aber nicht davor, sondern steigt auf die eiserne Treppe an der Schlossmauer und wird in den nächsten knapp zwei Stunden von dort oben einige Anekdoten aus seiner bewegten Vergangenheit zum Besten geben und auf alle Anliegen aus dem Publikum geduldig eingehen.
Der gebürtige Brixner spricht wie geschrieben, streut Lebensweisheiten und humorvolle Einsichten in seine Reden. Deshalb hören auch alle ganz aufmerksam zu. Außerdem verliert er die Werbetrommel für seine Museen und weiteren Projekte nie aus den Augen. Als Einstieg erzählt er von der Eiger-Direttissima, der Erstbegehung der Eiger-Nordwand mitten im Winter und auf einer neuen direkten Linie im Jahr 1966. Es sind sogar Team-Kollegen von damals an diesem Abend anwesend, sie werden einzeln begrüßt.
Reinhold Messner will kein Guru sein, aber die Leute, an diesem Abend vor allem TouristInnen aus Deutschland, wollen einen Guru haben, und deshalb machen sie ihn zu einem. Er wird auf ihre Fragen Antworten geben, wenn es um die Panik geht, bevor man zu einer großen Tour, dem Unbekannten, aufbricht, er wird übers Scheitern sprechen und über Erfolge. Dass es beim Bergsteigen nicht darum geht, den Gipfel zu erreichen, denn dort sei es langweilig, so langweilig, dass er nie länger als eine Stunde dort oben verbracht hat. Es ginge nur um den Akt selber, um das Tun, den Aufstieg, um die Umsetzung einer vorher nur im Kopf vorhandenen oder erträumten Idee. Ideen müsse man in die Wirklichkeit umsetzen, daran misst er Erfolg. Dass er in den Neunzigern Managertrainings abhielt, das hört man irgendwie noch ein wenig heraus. Messner will motivieren. Er wünscht sich recht wirtschaftsliberal mehr UnternehmerInnen, weniger Bürokratie und regt sich beiläufig über die gegen den Flughafen ausgegangene Abstimmung der Südtiroler Volksbefragung auf. Gleichzeitig ist er ein Verfechter des Anarchismus, wenn es um kleine Strukturen geht. Seine Teams waren immer anarchistisch koordiniert: der oder die „psychophysisch Stärkste“ (O-Ton) führt instinktiv die Gruppe an, wenn diese/r verletzt wird oder sonstwie beeinträchtigt ist, folgt der oder die nächste psychophysisch Stärkste. Im Team habe er auch nie gestritten, wenn, dann erst nachher, und das auch nur, weil sich Dritte eingemischt hätten: „Ich hasse die Funktionäre, die hinter den SportlerInnen stehen und mit ihnen Millionen machen wollen“ - ein Seitenhieb auf die derzeitige Olympiade in Rio. In der Familie hingegen lebe er das Matriarchat: die Frau habe schlussendlich das Sagen, ohne zu Verschweigen, dass die Aufzucht seiner Kinder dann doch bei ihr hängengeblieben ist.
Der Filmemacher in spe bezeichnet sich romantisierend gerne als Abenteurer, und beruft sich auf eine Tradition des Bergsteigens, die vor 250 Jahren begründet wurde. Es ist spannend, sich vorzustellen, wie es wäre, wenn man selber die Antarktis durchqueren würde oder die Wüste Gobi oder auf einem Achttausender hinaufzukriechen. Wie es sich anfühlen würde, wenn einem sieben Zehen oder das Kiefer friert, wenn man „hundehechelt“ (schnelles Atmen) in den Höhen oder sein Geschäft in der Früh in ein Loch im Schnee erledigt. Wie man sich dem Wetter ausliefert und der Natur in Extremen, und sich damit selber am nächsten kommt. Das ist ein kurzer Kitzel, den Messner uns da bietet, obwohl wir wissen, dass wir andere Berge zu besteigen haben, und morgen früh wieder in einem warmen Bett statt einem Zelt auf 6.000 Metern aufwachen werden.
Gespräche am Feuer: noch am 16., 23. und 30.08.2016, jeweils ab 21 Uhr
Eintritt mit Museumsbesuch: 15€