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Silvio, der Schwänzer

Silvio Berlusconi ist bei über 99 Prozent aller Senatssitzungen abwesend. Dennoch droht er mit Sturz der Regierung, wenn ihm das Mandat entzogen wird. Die Kaste läßt grüßen.

In Italien gibt es -  wie anderswo auch -  Bürger erster und zweiter Klasse. Jene zweiter Klasse gehen fünf Tage pro Woche zur Arbeit, jene erster Klasse tun das fünf Mal pro Jahr. Zu ihnen gehört Silvio Berlusconi, der bisher laut Statistik im Senat 99,2 Prozent aller Sitzungen geschwänzt hat. Für diesen tatkräftigen Einsatz zum Wohl des italienischen Volkes kassiert der Cavaliere monatlich rund 12.000 Euro - ein Schlag ins Gesicht von Millionen Normalbürgern, die nur mit Mühe bis zum Monatsende kommen.

Bei den hitzigen Dauerpolemiken um den Ausschluß Berlusconis aus dem Senat spielt dieser Umstand keine Rolle. Die Italiener haben sich längst an die Arroganz der Casta gewöhnt. Als das Doppelmandat noch erlaubt war, gehörte Berlusconi gleichzeitig auch dem EU-Parlament in Brüssel an, wo er mit seinem Freund Marcello Dell'Utri die Rangliste der abwesenden Abgeordneten anführte. In jedem anderen Beruf wird andauerndes Fernbleiben vom Arbeitsplatz mit Entlassung bestraft - nicht so im römischen Parlament. Dort werden auch Dauerschwänzer gut bezahlt. Daß Berlusconi das Parlament mißachtet, weiß jeder. Dennoch unternimmt er alles, um den Entzug seines Mandats zu vermeiden. Seine Chancen sind dabei minimal. Am kommenden Mittwoch wird der zuständige Senatsausschuß gegen Berlusconis Verbleib im Senat votieren und den vorliegenden Bericht des rechten Senators Augello ablehnen. Dann wird der Berichterstatter ausgetauscht und durch einen linken Senator ausgetauscht, dessen Antrag auf Ausschluß schon einen Tag später angenommen werden könnte. Der Beschluß des Ausschusses muß vom Plenum des Senats bestätigt werden. Der PDL setzt seine letzten Hoffnungen auf einen Werbefeldzug unter unsicheren PD-Senatoren, die Gnade vor Recht ergehen lassen könnten.

Ein (unwahrscheinlicher) Sieg des PDL wäre gleichzeitig das Ende des Partito Democratico. Doch auch in diesem Falle hätte Berlusconi keine Chance. Bereits am 16. Oktober wird das Mailänder Berufungsgericht die Dauer des Ausschlusses von allen öffentlichen Ämtern neu festsetzen - zwischen einem und drei Jahren. Bis dahin muß Berlusconi bereits zwischen Hausarrest und Sozialarbeit entschieden haben, vermutlich für letztere. Eine Arbeit im Drogen-Rehabilitationszentrum CEIS von Don Picchi könnte seine Popularität sicher noch steigern, der Eingang wäre täglich von Kamerateams umlagert.

Der Cavaliere wird als resigniert beschrieben, gewährt nur engsten Vertrauten Zugang zu seiner 114 Zimmer-Villa in Arcore. Das Vorhaben seiner Kinder, ein Gnadengesuch beim Staatspräsidenten einzureichen, scheint er zu mißbilligen. Der angedrohte Sturz der Regierung würde die juridische Lage des Ex-Premiers in keiner Weise verändern. Er wäre nichts weiter als ein Racheakt. Und eine vermutlich teure Entscheidung: allein die Drohung kostete den Medientycoon vergangene Woche in zwei Stunden fast 250 Millionen Euro - durch das Absacken der Aktien von Mediaset und Mediolanum. Der Wegfall seiner Senatorengehalts wird ihm da kaum schlaflose Nächte bereiten.