Herbstnachtsträume

Zwischenbilanz zur Autonomiedebatte, mit Aussichten
Note: This article is a community contribution and does not necessarily reflect the opinion of the salto.bz editorial team.
     

Das Autonomiethema nimmt im Wahlkampf eine große Rolle ein und begleitet uns durch sämtliche Diskussionen. Ich wage eine Zwischenbilanz.

Es gibt offensichtlich ein „Unbehagen“ in Teilen der deutschsprachigen Bevölkerung. Vermutlich kommt es aus einem Mitsprachedefizit, gemischt mit der von der SVP seit Jahrzehnten aufrecht gehaltenen Inszenierung von Italien als Hauptfeind der Südtiroler Bevölkerung. Das Gegensteuern in den letzten Jahren (kurioserweise genau dann, als Italien, bzw. die Mitte-Rechts-Regierungen sich zunehmend arrogant gegenüber Südtirol verhalten hat), begann zu spät. Heute, wo die Ministerbesuche aus Rom Propagandaauftritte der Landesregierungsparteien geworden sind, ertönt der Ruf nach Ablösung von diesem Staat immer lauter. Und die SVP argumentiert aus einer totalen Defensivposition und ziemlich hilflos mit zaghaften Wiederholungen des immer Gleichen: Mehr Kompetenzen von Rom, dann wird’s schon werden.

Die Illusionisten der deutschen Rechtsparteien ihrerseits reiten dieses Unbehagen und machen es sich leicht.

Die freiheitliche Republik nimmt mit fortschreitendem Wahlkampf immer mehr Züge eines Schlaraffenlandes an. Alles ist dort möglich: friedliches Zusammenleben, Steuergerechtigkeit, Mehrsprachigkeit... (wobei, wie Generalsekretär Demanega auf Nachfrage versicherte, die drei Schulämter getrennt blieben und die „gemischtsprachige Schule“, wie er sie hartnäckig nennt, keine Option wäre). Die Einwanderung wäre wohl so geregelt, dass nur integrationswillige (da gibt es dann sicher eine Prüfstelle?), gut bezahlte, perfekt zweisprachige und vollzeitbeschäftigte Menschen hier wohnen würden, die Sozialleistungen erst in Anspruch nehmen, wenn die angestammte Bevölkerung ausreichend versorgt wäre.

Die Südtiroler Freiheit indessen hat nicht das Ziel, sondern die Methode (Selbstbestimmung) zum Mittelpunkt ihres aufwändigen Wahlkampfs gemacht. Wenn es nicht so bewusst täuschend aufgemacht wäre, ein netter Gag und natürlich als Umfrage durchaus gerechtfertigt. Dass allerdings Selbstbestimmung als Allheilmittel dargestellt wird, wie K&K bei jeder Gelegenheit tun – ich warte nur drauf, dass irgendwann gesagt wird, mit Selbstbestimmung gehe es den Menschen auch gesundheitlich besser – das ist schon sehr einfach und erschöpft auf Dauer ziemlich.

Die italienischen Parteien sind in dieser Diskussion nicht daheim. Die Rechten sind zu lauen Verfechtern der Autonomie mutiert,  von ein paar Fascionostalgikern abgesehen, die mit geschmacklos aufgemachten Plakaten und makkeronischem Deutsch die verächtliche italianità auf einem Siegesdenkmal verteidigen und dem Tolomei noch Kränze darbieten. Mitte und Links hat zu diesem Thema einfach nichts zu sagen. Man ist wohl damit beschäftigt, die eigene Vormachtstellung als Koalitionspartner zu halten und antichambriert zu diesem Zwecke fleißig in Rom.

Insgesamt eine wirklich traurige Abwesenheit von Visionen für die italienische Sprachgruppe in Südtirol, die sich, vielleicht auch dadurch, immer bedeutungsloser fühlt.

In diesem desolaten Bild heben wir Grüne uns, so glaube ich, positiv ab. Wir haben in den letzten Jahren das Thema, das lange Zeit auch bei uns rein defensiv gespielt wurde, zusammen mit wichtigen GesprächspartnerInnen neu gedacht.

In unserer Sicht kann Autonomie nur im Doppel mit Demokratie überhaupt bestehen. Folglich muss die neue Autonomie in einer ganz neuen Form gedacht werden. Dabei liegt der Fokus nun auf der Vorgangsweise. Von der Autonomie der „Väter“ wollen wir zu einer „Autonomie der vielen Hände“ gelangen (Hände, die abstimmen UND Hände, die mitschreiben!).

Der Autonomiekonvent sollte eine neue „verfassungsgebende“ Versammlung sein, in der Delegierte der Bevölkerung, der Interessensvertretungen, der Verbände, der Politik etc. (schauen wir uns an, wie Verfassungen geschrieben worden sind in der Geschichte!) ergebnisoffen (!) die Bedürfnisse erheben, die in Südtirol vorherrschen und die Richtungen vorgeben.

Die neue Legislatur soll diesem Ziel gewidmet sein: eine Autonomie 2.0 zu schreiben, als BürgerInnen. Warum nicht mit einer mehrsprachigen Schule als Zusatzangebot? Mit der Aussetzung des Proporzes für eine Probezeit? Mit mehr Autonomie für die Gemeinden und die Schulen? Mit einer dezentralisierten Energiepolitik und ohne die Diskriminierungen, die aus einer versemmelten Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung entstehen?

Wir können uns die Freiheit nehmen, in diese Richtung denken, anstatt uns mit verwirrenden und verwirrend verwendeten Konzepten herumzuschlagen, die Unsicherheit verbreiten und uns letztlich davon abhalten, das zu ändern, was wir bereits ändern könnten.

Mein Gefühl ist, dass die Heilsversprechungen auf der einen Seite und das peinliche Hinterherhecheln auf der anderen genau diese produktive Auseinandersetzung verhindern. Dazwischen braucht es einen gangbaren Weg, der Lust macht, Ideen zu generieren. Die Biologie macht es vor, wir man es machen muss: Neues gibt es nur, wenn sich Lebewesen zusammen tun, ansonsten wird, wie in der ungeschlechtlichen Fortpflanzung der Einzeller, immer das Alte reproduziert. Nur durch gemeinsames Tun kommt das Neue in die Welt. Das gilt auch für unsere kleine Welt Südtirols.